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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 5. Berlin, 1961.

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gerade als ich schrieb: § 2. "ähnlich der Zeit der Völkerwanderungen
rüstet sich unsere zu Geister- und Staatenwanderungen."

Ich lese eben wieder Demosthenes contra Philippum und bin so
sehr demosth. Meinung als ein Deutscher nur kann oder soll. --
Mein Trost ist, daß Ph. keinen Alexander zeugt.5

Köppens dritten Brief hab' ich gelesen -- so wie Bouterwek er-
rathen -- mit dem Wunsche, ein Heer solcher Gegner zu haben:
Himmel, wie müßte dieß bilden!


Zuletzt -- den 3 März -- werf' ich mir mein Parzial-Schweigen10
so sehr vor als mein ganzes; aber der Teufel hat seine Freude, Ab-
sätze und Datums in meine Briefe zu spielen.

Der Krieg will wieder sein Höllenfeuer speien. Aber eh' ich un-
bewehrt zuschaue der Entwaffnung des Germanismus: zieh' ich
wenigstens während des ehrlosen Jammers davon. Ich bitte auf15
diesen Fall deine guten Schwestern -- die gewis eiliger schreiben und
rathen als du -- mir zu sagen, ob man in München leicht 2 möblierte,
von einander entfernte Zimmer sammt Kabinette-Anhang bekom-
men kann für 1/2 Jahr in Vorstädten. Für den Frieden hab' ich wirk-
lich keine politische Hoffnung, aber doch eine ganz andere feste, die sich20
auf einen bisher bis zum Prophezeien ausreichenden Boden bauete.

Gestern hast du mich wieder innig über*) Gott gestärkt in deinem
2ten Taschenbuche. Du bist neben Haman der einzige neuere Philo-
soph, den ich mir unaufhörlich und immer so neu zulese, daß ich
nicht begreife, warum mir das neue Neue kein Altes ist. So las ich25
deine erste Polemik in 1ter Auflage gegen Moses Mendelssohn.
Himmel, wie knechtisch diente damals die philosophische Literatur
und wie frei und kühn griffest du durch und vor. Aergere dich daher
nicht, daß man dich jetzt -- nur gegen andere Gegner anders --
nachahmet und auf der Bahn rennt, deren Schnee du geschmolzen:30
sondern freue dich wie Epaminondas einer (wenn auch oft zügellosen)
Freiheit, die du in den Corso losgelassen.

*) Ich hatte eben in meinem Werke geschrieben: das Sein Gottes bezweifeln
oder läugnen, hieße die Existenz der Existenza) bezweifeln etc.
a) Hast du in dir schon das närrische unmögliche Gefühl beobachtet dabei,35
wenn man sich denkt, daß keine Existenz existiere, keine Welt und nichts? und doch
außer, hinter dem Nichts die Sache sein müsse?

gerade als ich ſchrieb: § 2. „ähnlich der Zeit der Völkerwanderungen
rüſtet ſich unſere zu Geiſter- und Staatenwanderungen.“

Ich leſe eben wieder Demoſthenes contra Philippum und bin ſo
ſehr demoſth. Meinung als ein Deutſcher nur kann oder ſoll. —
Mein Troſt iſt, daß Ph. keinen Alexander zeugt.5

Köppens dritten Brief hab’ ich geleſen — ſo wie Bouterwek er-
rathen — mit dem Wunſche, ein Heer ſolcher Gegner zu haben:
Himmel, wie müßte dieß bilden!


Zuletzt — den 3 März — werf’ ich mir mein Parzial-Schweigen10
ſo ſehr vor als mein ganzes; aber der Teufel hat ſeine Freude, Ab-
ſätze und Datums in meine Briefe zu ſpielen.

Der Krieg will wieder ſein Höllenfeuer ſpeien. Aber eh’ ich un-
bewehrt zuſchaue der Entwaffnung des Germaniſmus: zieh’ ich
wenigſtens während des ehrloſen Jammers davon. Ich bitte auf15
dieſen Fall deine guten Schweſtern — die gewis eiliger ſchreiben und
rathen als du — mir zu ſagen, ob man in München leicht 2 möblierte,
von einander entfernte Zimmer ſammt Kabinette-Anhang bekom-
men kann für ½ Jahr in Vorſtädten. Für den Frieden hab’ ich wirk-
lich keine politiſche Hoffnung, aber doch eine ganz andere feſte, die ſich20
auf einen bisher bis zum Prophezeien ausreichenden Boden bauete.

Geſtern haſt du mich wieder innig über*) Gott geſtärkt in deinem
2ten Taſchenbuche. Du biſt neben Haman der einzige neuere Philo-
ſoph, den ich mir unaufhörlich und immer ſo neu zuleſe, daß ich
nicht begreife, warum mir das neue Neue kein Altes iſt. So las ich25
deine erſte Polemik in 1ter Auflage gegen Moſes Mendelsſohn.
Himmel, wie knechtiſch diente damals die philoſophiſche Literatur
und wie frei und kühn griffeſt du durch und vor. Aergere dich daher
nicht, daß man dich jetzt — nur gegen andere Gegner anders —
nachahmet und auf der Bahn rennt, deren Schnee du geſchmolzen:30
ſondern freue dich wie Epaminondas einer (wenn auch oft zügelloſen)
Freiheit, die du in den Corso losgelaſſen.

*) Ich hatte eben in meinem Werke geſchrieben: das Sein Gottes bezweifeln
oder läugnen, hieße die Exiſtenz der Exiſtenza) bezweifeln ꝛc.
a) Haſt du in dir ſchon das närriſche unmögliche Gefühl beobachtet dabei,35
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[80/0095] gerade als ich ſchrieb: § 2. „ähnlich der Zeit der Völkerwanderungen rüſtet ſich unſere zu Geiſter- und Staatenwanderungen.“ Ich leſe eben wieder Demoſthenes contra Philippum und bin ſo ſehr demoſth. Meinung als ein Deutſcher nur kann oder ſoll. — Mein Troſt iſt, daß Ph. keinen Alexander zeugt. 5 Köppens dritten Brief hab’ ich geleſen — ſo wie Bouterwek er- rathen — mit dem Wunſche, ein Heer ſolcher Gegner zu haben: Himmel, wie müßte dieß bilden! d. 23 Febr. Zuletzt — den 3 März — werf’ ich mir mein Parzial-Schweigen 10 ſo ſehr vor als mein ganzes; aber der Teufel hat ſeine Freude, Ab- ſätze und Datums in meine Briefe zu ſpielen. Der Krieg will wieder ſein Höllenfeuer ſpeien. Aber eh’ ich un- bewehrt zuſchaue der Entwaffnung des Germaniſmus: zieh’ ich wenigſtens während des ehrloſen Jammers davon. Ich bitte auf 15 dieſen Fall deine guten Schweſtern — die gewis eiliger ſchreiben und rathen als du — mir zu ſagen, ob man in München leicht 2 möblierte, von einander entfernte Zimmer ſammt Kabinette-Anhang bekom- men kann für ½ Jahr in Vorſtädten. Für den Frieden hab’ ich wirk- lich keine politiſche Hoffnung, aber doch eine ganz andere feſte, die ſich 20 auf einen bisher bis zum Prophezeien ausreichenden Boden bauete. Geſtern haſt du mich wieder innig über *) Gott geſtärkt in deinem 2ten Taſchenbuche. Du biſt neben Haman der einzige neuere Philo- ſoph, den ich mir unaufhörlich und immer ſo neu zuleſe, daß ich nicht begreife, warum mir das neue Neue kein Altes iſt. So las ich 25 deine erſte Polemik in 1ter Auflage gegen Moſes Mendelsſohn. Himmel, wie knechtiſch diente damals die philoſophiſche Literatur und wie frei und kühn griffeſt du durch und vor. Aergere dich daher nicht, daß man dich jetzt — nur gegen andere Gegner anders — nachahmet und auf der Bahn rennt, deren Schnee du geſchmolzen: 30 ſondern freue dich wie Epaminondas einer (wenn auch oft zügelloſen) Freiheit, die du in den Corso losgelaſſen. *) Ich hatte eben in meinem Werke geſchrieben: das Sein Gottes bezweifeln oder läugnen, hieße die Exiſtenz der Exiſtenz a) bezweifeln ꝛc. a) Haſt du in dir ſchon das närriſche unmögliche Gefühl beobachtet dabei, 35 wenn man ſich denkt, daß keine Exiſtenz exiſtiere, keine Welt und nichts? und doch außer, hinter dem Nichts die Sache ſein müſſe?

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:13:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:13:57Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 5. Berlin, 1961, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe05_1961/95>, abgerufen am 21.11.2024.