Verehrtester Mitbürger in der deutschen Gelehrten- und in der bremischen Stadt-Republik! -- Ihre Antwort und Ihre Gabe hätten einen frühern Dank verdient. Ich bewunderte Ihre Intro-5 duction des Ambassadeurs philologiques quoique allemans bei den Franzosen; ein reiches Werk, wofür Ihnen zwei Nazionen zugleich zu danken haben, die belehrte und die dargestellte. Gleichwol haben Sie darin zwei Männer vergessen, eben weil sie Ihnen unvergeßliche sind; nämlich Herder und Lessing; denn10 wahrscheinlich stand Ihrem Geiste der philosophische und der dichterische Werth dieses Genius-Paares zu leuchtend vor als daß Sie an den untergeordneten philologischen hätten denken können.
Hier folgt, weil Sie es wollten, mein Blatt an den Prinzen15 von Pontecorvo.
Schon der schöne Titel Erhebungen und noch mehr Ihre Theil- nahme daran -- d. h. Ihre Flügel daran -- hätten mich zum Mit- fluge begeistern müssen, wenn ich näher gewesen wäre und wenn ich ferner die Proben aus den Daemmerungen nicht dem Verleger20 für sein Morgenblatt hätte versprechen müssen.
Noch immer heg' ich den schönen Traum und Wunsch, daß Sie mich Ihrer Nazion in einer Auswahl von Einfällen, Reflexionen, Herzens-Ergüssen darstellen; denn nur Sie als Kenner zweier Nazionen und Sprachen zugleich vermögen dieß am besten. Ich25 fand im Publizisten einmal ein Urtheil über meinen Geist, ohne allen Geist; warum soll ich nun blos als Karikatur präsentiert bleiben vor einer (geographisch-) so großen Nazion? -- Ihre Zeit ist freilich zu kostbar zum Übersetzen; ich wünsche aber auch nur Ihr Wählen und Korrigieren.30
Leben Sie wol, Edler Mann, und schreiten und fliegen Sie fort auf Ihrer Bahn, wo Sie noch keinen Vorgänger finden, der so geistig zwei Völker, ohne Krieg verband.
Ihr Jean Paul Fr. Richter35
231. An Charles Villers in Lübeck.
Bayreuth d. 13. Febr. 1810
Verehrteſter Mitbürger in der deutſchen Gelehrten- und in der bremiſchen Stadt-Republik! — Ihre Antwort und Ihre Gabe hätten einen frühern Dank verdient. Ich bewunderte Ihre Intro-5 duction des Ambassadeurs philologiques quoique allemans bei den Franzoſen; ein reiches Werk, wofür Ihnen zwei Nazionen zugleich zu danken haben, die belehrte und die dargeſtellte. Gleichwol haben Sie darin zwei Männer vergeſſen, eben weil ſie Ihnen unvergeßliche ſind; nämlich Herder und Lessing; denn10 wahrſcheinlich ſtand Ihrem Geiſte der philoſophiſche und der dichteriſche Werth dieſes Genius-Paares zu leuchtend vor als daß Sie an den untergeordneten philologiſchen hätten denken können.
Hier folgt, weil Sie es wollten, mein Blatt an den Prinzen15 von Pontecorvo.
Schon der ſchöne Titel Erhebungen und noch mehr Ihre Theil- nahme daran — d. h. Ihre Flügel daran — hätten mich zum Mit- fluge begeiſtern müſſen, wenn ich näher geweſen wäre und wenn ich ferner die Proben aus den Daemmerungen nicht dem Verleger20 für ſein Morgenblatt hätte verſprechen müſſen.
Noch immer heg’ ich den ſchönen Traum und Wunſch, daß Sie mich Ihrer Nazion in einer Auswahl von Einfällen, Reflexionen, Herzens-Ergüſſen darſtellen; denn nur Sie als Kenner zweier Nazionen und Sprachen zugleich vermögen dieß am beſten. Ich25 fand im Publiziſten einmal ein Urtheil über meinen Geiſt, ohne allen Geiſt; warum ſoll ich nun blos als Karikatur präſentiert bleiben vor einer (geographiſch-) ſo großen Nazion? — Ihre Zeit iſt freilich zu koſtbar zum Überſetzen; ich wünſche aber auch nur Ihr Wählen und Korrigieren.30
Leben Sie wol, Edler Mann, und ſchreiten und fliegen Sie fort auf Ihrer Bahn, wo Sie noch keinen Vorgänger finden, der ſo geiſtig zwei Völker, ohne Krieg verband.
Ihr Jean Paul Fr. Richter35
<TEI><text><body><pbfacs="#f0102"n="89"/><divtype="letter"n="1"><head>231. An <hirendition="#g">Charles Villers in Lübeck.</hi></head><lb/><dateline><hirendition="#right"><hirendition="#aq">Bayreuth d.</hi> 13. Febr. 1810</hi></dateline><lb/><p>Verehrteſter Mitbürger in der deutſchen Gelehrten- und in der<lb/>
bremiſchen Stadt-Republik! — Ihre Antwort und Ihre Gabe<lb/>
hätten einen frühern Dank verdient. Ich bewunderte Ihre <hirendition="#aq">Intro-<lbn="5"/>
duction des Ambassadeurs <hirendition="#g">philologiques</hi> quoique allemans</hi><lb/>
bei den Franzoſen; ein reiches Werk, wofür Ihnen zwei Nazionen<lb/>
zugleich zu danken haben, die <hirendition="#g">belehrte</hi> und die <hirendition="#g">dargeſtellte.</hi><lb/>
Gleichwol haben Sie darin zwei Männer vergeſſen, eben weil ſie<lb/>
Ihnen unvergeßliche ſind; nämlich <hirendition="#aq">Herder</hi> und <hirendition="#aq">Lessing;</hi> denn<lbn="10"/>
wahrſcheinlich ſtand Ihrem Geiſte der philoſophiſche und der<lb/>
dichteriſche Werth dieſes Genius-Paares zu leuchtend vor als<lb/>
daß Sie an den untergeordneten philologiſchen hätten denken<lb/>
können.</p><lb/><p>Hier folgt, weil Sie es wollten, mein Blatt an den Prinzen<lbn="15"/>
von <hirendition="#aq">Pontecorvo.</hi></p><lb/><p>Schon der ſchöne Titel <hirendition="#aq">Erhebungen</hi> und noch mehr Ihre Theil-<lb/>
nahme daran — d. h. Ihre Flügel daran — hätten mich zum Mit-<lb/>
fluge begeiſtern müſſen, wenn ich näher geweſen wäre und wenn<lb/>
ich ferner die Proben aus den <hirendition="#aq">Daemmerungen</hi> nicht dem Verleger<lbn="20"/>
für ſein <hirendition="#aq">Morgenblatt</hi> hätte verſprechen müſſen.</p><lb/><p>Noch immer heg’ ich den ſchönen Traum und Wunſch, daß Sie<lb/>
mich Ihrer Nazion in einer Auswahl von Einfällen, Reflexionen,<lb/>
Herzens-Ergüſſen darſtellen; denn nur Sie als Kenner zweier<lb/>
Nazionen und Sprachen zugleich vermögen dieß am beſten. Ich<lbn="25"/>
fand im Publiziſten einmal ein Urtheil über meinen Geiſt, ohne<lb/>
allen Geiſt; warum ſoll ich nun blos als Karikatur präſentiert<lb/>
bleiben vor einer (geographiſch-) ſo großen Nazion? — Ihre<lb/>
Zeit iſt freilich zu koſtbar zum Überſetzen; ich wünſche aber auch<lb/>
nur Ihr Wählen und Korrigieren.<lbn="30"/></p><p>Leben Sie wol, Edler Mann, und ſchreiten und fliegen Sie fort<lb/>
auf Ihrer Bahn, wo Sie noch keinen Vorgänger finden, der ſo<lb/>
geiſtig zwei Völker, ohne Krieg verband.</p><lb/><closer><salute><hirendition="#right">Ihr</hi><lb/><hirendition="#et">Jean Paul Fr. Richter</hi><lbn="35"/></salute></closer></div></body></text></TEI>
[89/0102]
231. An Charles Villers in Lübeck.
Bayreuth d. 13. Febr. 1810
Verehrteſter Mitbürger in der deutſchen Gelehrten- und in der
bremiſchen Stadt-Republik! — Ihre Antwort und Ihre Gabe
hätten einen frühern Dank verdient. Ich bewunderte Ihre Intro- 5
duction des Ambassadeurs philologiques quoique allemans
bei den Franzoſen; ein reiches Werk, wofür Ihnen zwei Nazionen
zugleich zu danken haben, die belehrte und die dargeſtellte.
Gleichwol haben Sie darin zwei Männer vergeſſen, eben weil ſie
Ihnen unvergeßliche ſind; nämlich Herder und Lessing; denn 10
wahrſcheinlich ſtand Ihrem Geiſte der philoſophiſche und der
dichteriſche Werth dieſes Genius-Paares zu leuchtend vor als
daß Sie an den untergeordneten philologiſchen hätten denken
können.
Hier folgt, weil Sie es wollten, mein Blatt an den Prinzen 15
von Pontecorvo.
Schon der ſchöne Titel Erhebungen und noch mehr Ihre Theil-
nahme daran — d. h. Ihre Flügel daran — hätten mich zum Mit-
fluge begeiſtern müſſen, wenn ich näher geweſen wäre und wenn
ich ferner die Proben aus den Daemmerungen nicht dem Verleger 20
für ſein Morgenblatt hätte verſprechen müſſen.
Noch immer heg’ ich den ſchönen Traum und Wunſch, daß Sie
mich Ihrer Nazion in einer Auswahl von Einfällen, Reflexionen,
Herzens-Ergüſſen darſtellen; denn nur Sie als Kenner zweier
Nazionen und Sprachen zugleich vermögen dieß am beſten. Ich 25
fand im Publiziſten einmal ein Urtheil über meinen Geiſt, ohne
allen Geiſt; warum ſoll ich nun blos als Karikatur präſentiert
bleiben vor einer (geographiſch-) ſo großen Nazion? — Ihre
Zeit iſt freilich zu koſtbar zum Überſetzen; ich wünſche aber auch
nur Ihr Wählen und Korrigieren. 30
Leben Sie wol, Edler Mann, und ſchreiten und fliegen Sie fort
auf Ihrer Bahn, wo Sie noch keinen Vorgänger finden, der ſo
geiſtig zwei Völker, ohne Krieg verband.
Ihr
Jean Paul Fr. Richter 35
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/102>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.