eine fortlaufende Chrestomathie von patriotischen Stellen aus allen deutschen Klassikern sein, welche vor dem jetzigen deutschen Lustrum geschrieben. Einem solchen antediluvianischen Patriotismus könnte kein Zensor beikommen. -- Eine Menge kleiner Aufsätze -- für Almanache, Musea (in Frankfurt und bei Perthes) haben mich5 zersplittert und mir mehr Zeit und Kräfte weggefressen als ein einziges großes, nicht immer von vornen anfangendes Werk ge- than hätte. -- -- Jetzt aber will ich mein Sein und Treiben genießen.
354. An Villers in Göttingen.
Bayreuth d. 17 Sept. 181010
Geliebter Villers! Mein Schweigen sagte Ihnen das Nein des Herzogs voraus. Ich selber weissagte es Ihnen durch Mittheilen des Bittbriefes. Gleichwol schrieb ich an ihn, weil man auch bei kleinster Wahrscheinlichkeit des Erfolgs das Gute versuchen so wie bei ähnlicher das Böse vermeiden muß. Der Herzog ist ein per-15 sonifizierter Nebel -- bunt -- leicht -- schwül -- kühl -- in alle phantastischen Gestalten sich zertheilend -- zwischen Sonne und Erde schwebend -- bald fallend bald steigend; -- nur nie greife man nach diesem Nebel. Hätt' er ein Herz, sein dichterischer Kopf wäre der größte. Er schrieb mir auf einmal mit umgehender Post 3 dicke20 Briefe -- Witz -- Phantasie -- Zorn über die Daemmerungen und über die Levana, worin phantastische Fürsten getadelt werden -- Zürnen über das verschwendende Brautpaar -- Zürnen über mich, der ich mich nicht an die reiche Schwester gewandt -- u. s. w. erfüllten die Briefe. Sie lobt er als einen "Antikrites" wegen25 Ihres Patriotismus für Deutsche, welchen ich Krites ihm zu ent- behren scheine. --
Ich habe nicht geantwortet.
Jetzt werden Sie von Ihrer Reise zurück und wieder bei dem Schreibepult sein, aus welchem Sie mir eine Schöpfung ver-30 sprachen, welche für Frankreich nur von Ihnen kommen kann. Leben Sie nicht wie Sie schreiben, nämlich deutsch, sondern froh.
Jean Paul Fr. Richter
[Adr.] An den gelehrten Gelehrten Villers.
eine fortlaufende Chreſtomathie von patriotiſchen Stellen aus allen deutſchen Klaſſikern ſein, welche vor dem jetzigen deutſchen Luſtrum geſchrieben. Einem ſolchen antediluvianiſchen Patriotiſmus könnte kein Zenſor beikommen. — Eine Menge kleiner Aufſätze — für Almanache, Muſea (in Frankfurt und bei Perthes) haben mich5 zerſplittert und mir mehr Zeit und Kräfte weggefreſſen als ein einziges großes, nicht immer von vornen anfangendes Werk ge- than hätte. — — Jetzt aber will ich mein Sein und Treiben genießen.
354. An Villers in Göttingen.
Bayreuth d. 17 Sept. 181010
Geliebter Villers! Mein Schweigen ſagte Ihnen das Nein des Herzogs voraus. Ich ſelber weiſſagte es Ihnen durch Mittheilen des Bittbriefes. Gleichwol ſchrieb ich an ihn, weil man auch bei kleinſter Wahrſcheinlichkeit des Erfolgs das Gute verſuchen ſo wie bei ähnlicher das Böſe vermeiden muß. Der Herzog iſt ein per-15 ſonifizierter Nebel — bunt — leicht — ſchwül — kühl — in alle phantaſtiſchen Geſtalten ſich zertheilend — zwiſchen Sonne und Erde ſchwebend — bald fallend bald ſteigend; — nur nie greife man nach dieſem Nebel. Hätt’ er ein Herz, ſein dichteriſcher Kopf wäre der größte. Er ſchrieb mir auf einmal mit umgehender Poſt 3 dicke20 Briefe — Witz — Phantaſie — Zorn über die Daemmerungen und über die Levana, worin phantaſtiſche Fürſten getadelt werden — Zürnen über das verſchwendende Brautpaar — Zürnen über mich, der ich mich nicht an die reiche Schweſter gewandt — u. ſ. w. erfüllten die Briefe. Sie lobt er als einen „Antikrites“ wegen25 Ihres Patriotiſmus für Deutſche, welchen ich Krites ihm zu ent- behren ſcheine. —
Ich habe nicht geantwortet.
Jetzt werden Sie von Ihrer Reiſe zurück und wieder bei dem Schreibepult ſein, aus welchem Sie mir eine Schöpfung ver-30 ſprachen, welche für Frankreich nur von Ihnen kommen kann. Leben Sie nicht wie Sie ſchreiben, nämlich deutſch, ſondern froh.
Jean Paul Fr. Richter
[Adr.] An den gelehrten Gelehrten Villers.
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eine fortlaufende Chreſtomathie von patriotiſchen Stellen aus allen
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geſchrieben. Einem ſolchen antediluvianiſchen Patriotiſmus könnte
kein Zenſor beikommen. — Eine Menge kleiner Aufſätze — für
Almanache, Muſea (in Frankfurt und bei Perthes) haben mich 5
zerſplittert und mir mehr Zeit und Kräfte weggefreſſen als ein
einziges großes, nicht immer von vornen anfangendes Werk ge-
than hätte. — — Jetzt aber will ich mein Sein und Treiben genießen.
354. An Villers in Göttingen.
Bayreuth d. 17 Sept. 1810 10
Geliebter Villers! Mein Schweigen ſagte Ihnen das Nein des
Herzogs voraus. Ich ſelber weiſſagte es Ihnen durch Mittheilen
des Bittbriefes. Gleichwol ſchrieb ich an ihn, weil man auch bei
kleinſter Wahrſcheinlichkeit des Erfolgs das Gute verſuchen ſo wie
bei ähnlicher das Böſe vermeiden muß. Der Herzog iſt ein per- 15
ſonifizierter Nebel — bunt — leicht — ſchwül — kühl — in alle
phantaſtiſchen Geſtalten ſich zertheilend — zwiſchen Sonne und
Erde ſchwebend — bald fallend bald ſteigend; — nur nie greife man
nach dieſem Nebel. Hätt’ er ein Herz, ſein dichteriſcher Kopf wäre
der größte. Er ſchrieb mir auf einmal mit umgehender Poſt 3 dicke 20
Briefe — Witz — Phantaſie — Zorn über die Daemmerungen
und über die Levana, worin phantaſtiſche Fürſten getadelt werden
— Zürnen über das verſchwendende Brautpaar — Zürnen über
mich, der ich mich nicht an die reiche Schweſter gewandt — u. ſ. w.
erfüllten die Briefe. Sie lobt er als einen „Antikrites“ wegen 25
Ihres Patriotiſmus für Deutſche, welchen ich Krites ihm zu ent-
behren ſcheine. —
Ich habe nicht geantwortet.
Jetzt werden Sie von Ihrer Reiſe zurück und wieder bei dem
Schreibepult ſein, aus welchem Sie mir eine Schöpfung ver- 30
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Jean Paul Fr. Richter
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/151>, abgerufen am 04.12.2024.
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