Unvergeßne Helmine! (Verzeihen Sie diese vertrauliche An- rede, da sie zugleich eine Widerlegung Ihrer schönen Klage ist) Der Gartenmorgen, wo ich Sie zum ersten male sah, hat seine5 Blumen und seinen blauen Himmel noch nicht verloren; und Sie stehen mir noch immer darin mit Ihrer liebenswürdigen und freu- digen Unbefangenheit. -- Mein Schweigen auf Ihren Brief aus Heidelberg rechnen Sie meinem Unvermögen, Ihre Wünsche zu erfüllen, und auch meinem Zeitmangel zu, der mich nur auf wenige10 Briefe antworten läßt. Ich kann mir Sie gar nicht verändert denken, sondern Sie bleiben mir immer die vorige naive Grazie leiblich und geistig. Wenn ich Sie wiedersähe, würde eine schöne Vergangen- heit mit einer schönen Gegenwart in Einem Nu zusammen treffen. Da Sie aus einer großen Stadt nur in eine größere gezogen: so15 können Sie auch geistig nicht von Paris und Zeit verwandelt worden sein -- Und Sie sinds ja auch nicht, da Sie mir noch gut geblieben.
Ich beneide Sie um die Nachbarschaft des Großherzogs, die niemand so freudig theilen würde als ich. Es ist einer meiner ältesten Wünsche, zu diesem Fürsten zu reisen; aber dabei wird Er selber20 alt. Warum sind jetzt die Teufel so jung, und die Götter so alt? Sein Vergißmeinnicht an die Fuldaer wird dem ganzen Deutschland wolthun, bis zum Schmerze der Sehnsucht hinauf.
Ich hoffe, wir sehen uns wieder auf diesem närrischen Planeten, der alles auseinander sprengt, und alles zu einander führt.25
Können Sie mir etwas vom Großherzoge schreiben: es ist eine Gabe für mich, und ein Ersatz der Reise.
Es geh' Ihnen wol, gute Helmine! Und möge die ewige Wunde, die ein dahingegangnes Kind dem Mutterherzen geschlagen, durch die dableibenden Kinder gelindert werden! Es geh' Ihnen wol!30
Ihr alter Jean Paul Fr. Richter
Meine Frau grüßt Sie mit herzlicher Erinnerung. Ich habe 3 kräftige Kinder, worunter 1 kräftigster Knabe ist.35
*569. An Helmine von Chézy in Aſchaffenburg.
Bayreuth d. 24 Nov. 1811
Unvergeßne Helmine! (Verzeihen Sie dieſe vertrauliche An- rede, da ſie zugleich eine Widerlegung Ihrer ſchönen Klage iſt) Der Gartenmorgen, wo ich Sie zum erſten male ſah, hat ſeine5 Blumen und ſeinen blauen Himmel noch nicht verloren; und Sie ſtehen mir noch immer darin mit Ihrer liebenswürdigen und freu- digen Unbefangenheit. — Mein Schweigen auf Ihren Brief aus Heidelberg rechnen Sie meinem Unvermögen, Ihre Wünſche zu erfüllen, und auch meinem Zeitmangel zu, der mich nur auf wenige10 Briefe antworten läßt. Ich kann mir Sie gar nicht verändert denken, ſondern Sie bleiben mir immer die vorige naive Grazie leiblich und geiſtig. Wenn ich Sie wiederſähe, würde eine ſchöne Vergangen- heit mit einer ſchönen Gegenwart in Einem Nu zuſammen treffen. Da Sie aus einer großen Stadt nur in eine größere gezogen: ſo15 können Sie auch geiſtig nicht von Paris und Zeit verwandelt worden ſein — Und Sie ſinds ja auch nicht, da Sie mir noch gut geblieben.
Ich beneide Sie um die Nachbarſchaft des Großherzogs, die niemand ſo freudig theilen würde als ich. Es iſt einer meiner älteſten Wünſche, zu dieſem Fürſten zu reiſen; aber dabei wird Er ſelber20 alt. Warum ſind jetzt die Teufel ſo jung, und die Götter ſo alt? Sein Vergißmeinnicht an die Fuldaer wird dem ganzen Deutſchland wolthun, bis zum Schmerze der Sehnſucht hinauf.
Ich hoffe, wir ſehen uns wieder auf dieſem närriſchen Planeten, der alles auseinander ſprengt, und alles zu einander führt.25
Können Sie mir etwas vom Großherzoge ſchreiben: es iſt eine Gabe für mich, und ein Erſatz der Reiſe.
Es geh’ Ihnen wol, gute Helmine! Und möge die ewige Wunde, die ein dahingegangnes Kind dem Mutterherzen geſchlagen, durch die dableibenden Kinder gelindert werden! Es geh’ Ihnen wol!30
Ihr alter Jean Paul Fr. Richter
Meine Frau grüßt Sie mit herzlicher Erinnerung. Ich habe 3 kräftige Kinder, worunter 1 kräftigſter Knabe iſt.35
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*569. An Helmine von Chézy in Aſchaffenburg.
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Unvergeßne Helmine! (Verzeihen Sie dieſe vertrauliche An-
rede, da ſie zugleich eine Widerlegung Ihrer ſchönen Klage iſt)
Der Gartenmorgen, wo ich Sie zum erſten male ſah, hat ſeine 5
Blumen und ſeinen blauen Himmel noch nicht verloren; und Sie
ſtehen mir noch immer darin mit Ihrer liebenswürdigen und freu-
digen Unbefangenheit. — Mein Schweigen auf Ihren Brief aus
Heidelberg rechnen Sie meinem Unvermögen, Ihre Wünſche zu
erfüllen, und auch meinem Zeitmangel zu, der mich nur auf wenige 10
Briefe antworten läßt. Ich kann mir Sie gar nicht verändert denken,
ſondern Sie bleiben mir immer die vorige naive Grazie leiblich und
geiſtig. Wenn ich Sie wiederſähe, würde eine ſchöne Vergangen-
heit mit einer ſchönen Gegenwart in Einem Nu zuſammen treffen.
Da Sie aus einer großen Stadt nur in eine größere gezogen: ſo 15
können Sie auch geiſtig nicht von Paris und Zeit verwandelt worden
ſein — Und Sie ſinds ja auch nicht, da Sie mir noch gut geblieben.
Ich beneide Sie um die Nachbarſchaft des Großherzogs, die
niemand ſo freudig theilen würde als ich. Es iſt einer meiner älteſten
Wünſche, zu dieſem Fürſten zu reiſen; aber dabei wird Er ſelber 20
alt. Warum ſind jetzt die Teufel ſo jung, und die Götter ſo alt?
Sein Vergißmeinnicht an die Fuldaer wird dem ganzen Deutſchland
wolthun, bis zum Schmerze der Sehnſucht hinauf.
Ich hoffe, wir ſehen uns wieder auf dieſem närriſchen Planeten,
der alles auseinander ſprengt, und alles zu einander führt. 25
Können Sie mir etwas vom Großherzoge ſchreiben: es iſt eine
Gabe für mich, und ein Erſatz der Reiſe.
Es geh’ Ihnen wol, gute Helmine! Und möge die ewige Wunde,
die ein dahingegangnes Kind dem Mutterherzen geſchlagen, durch
die dableibenden Kinder gelindert werden! Es geh’ Ihnen wol! 30
Ihr
alter
Jean Paul Fr. Richter
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/249>, abgerufen am 24.11.2024.
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