nach dem Gletscher, der sich jetzo einschiffte; und doch sind die Fran- zosen harte Bestien, die neben seinem Trauer-Wagen herlaufen und vive le roi schreien können.
876. An Knebel in Jena.
Baireuth d. 17. Mai 18145
-- Und hat man einmal zu antworten verschoben: so hört die Sünde kaum auf; und es sollte mich gar nicht wundern, wenn mich einmal mein Pathchen selber zu Gevatter bäte und im Briefe mir mein Schweigen auf Ihren vorhielte.
Wirklich je mehr man zu sagen hat, desto weniger fängt man an,10 etwas zu sagen. Mit Ihnen könnt' ich ein Jahr über jetzige Jahre reden. Die Zeit gebiert jetzo schnell und viel; Drillinge, Fünflinge sind täglich das Wenigste. Doch erholet sie sich von ihrer poli- tischen Fruchtbarkeit durch ihre poetische Unfruchtbarkeit. Als ich Sie sah, war es umgekehrt.15
Aesthetische Unterhaltungen wie in Jena und Weimar, würden mir in Baireuth unter die 7 Wunder Jena's gehören; aber meine Muse vermisset sie sehr. Wie wollten wir erst jetzo, guter Dichter und Kunstrichter und Freund, so einträchtig leben und zanken, da Sie schon früher gegen meine rauhe vogtländische Körper-, Lebens-20 und Schreibborke so nachsichtig sich bewiesen! Nur Ihre poetische und weltmännische Viel- und Allseitigkeit erklärt es, daß Sie mir sonst mehr durch die Finger als auf die Finger sahen. -- Und so würd' ich auch mit meinem beinahe eben so von mir geliebten als verehrten Goethe ein schönes christliches Leben führen, mit diesem25 Abendstern des jetzo bewölkten oder ausgestorbnen Dichterhimmels. Sie haben mir durch sein Urtheil über ein Levana's Bruchstück, ein großes Stück Himmel voriger alter Weimars-Zeit hieher ge- schickt. Er sei von allem, was gut und recht in mir ist, innigst ge- grüßt. Ich sehne mich unglaublich nach Weimar, ob ich gleich die30 dortigen Gräber fürchte.
Übrigens schreib' ich fort und sehe gar kein Ende davon ab, wenn es nicht das meines Lebens ist. Mit den Büchern wachsen auch meine Kinder frisch; nur daß diese jene überblühen. -- Es bleibe Ihnen, mein geliebter Freund und Dichter, immer Ihre Jugend35 (Verjüngung wäre eine Verkennung), welche auch in Ihrem letzten
nach dem Gletſcher, der ſich jetzo einſchiffte; und doch ſind die Fran- zoſen harte Beſtien, die neben ſeinem Trauer-Wagen herlaufen und vive le roi ſchreien können.
876. An Knebel in Jena.
Baireuth d. 17. Mai 18145
— Und hat man einmal zu antworten verſchoben: ſo hört die Sünde kaum auf; und es ſollte mich gar nicht wundern, wenn mich einmal mein Pathchen ſelber zu Gevatter bäte und im Briefe mir mein Schweigen auf Ihren vorhielte.
Wirklich je mehr man zu ſagen hat, deſto weniger fängt man an,10 etwas zu ſagen. Mit Ihnen könnt’ ich ein Jahr über jetzige Jahre reden. Die Zeit gebiert jetzo ſchnell und viel; Drillinge, Fünflinge ſind täglich das Wenigſte. Doch erholet ſie ſich von ihrer poli- tiſchen Fruchtbarkeit durch ihre poetiſche Unfruchtbarkeit. Als ich Sie ſah, war es umgekehrt.15
Aeſthetiſche Unterhaltungen wie in Jena und Weimar, würden mir in Baireuth unter die 7 Wunder Jena’s gehören; aber meine Muſe vermiſſet ſie ſehr. Wie wollten wir erſt jetzo, guter Dichter und Kunſtrichter und Freund, ſo einträchtig leben und zanken, da Sie ſchon früher gegen meine rauhe vogtländiſche Körper-, Lebens-20 und Schreibborke ſo nachſichtig ſich bewieſen! Nur Ihre poetiſche und weltmänniſche Viel- und Allſeitigkeit erklärt es, daß Sie mir ſonſt mehr durch die Finger als auf die Finger ſahen. — Und ſo würd’ ich auch mit meinem beinahe eben ſo von mir geliebten als verehrten Goethe ein ſchönes chriſtliches Leben führen, mit dieſem25 Abendſtern des jetzo bewölkten oder ausgeſtorbnen Dichterhimmels. Sie haben mir durch ſein Urtheil über ein Levana’s Bruchſtück, ein großes Stück Himmel voriger alter Weimars-Zeit hieher ge- ſchickt. Er ſei von allem, was gut und recht in mir iſt, innigſt ge- grüßt. Ich ſehne mich unglaublich nach Weimar, ob ich gleich die30 dortigen Gräber fürchte.
Übrigens ſchreib’ ich fort und ſehe gar kein Ende davon ab, wenn es nicht das meines Lebens iſt. Mit den Büchern wachſen auch meine Kinder friſch; nur daß dieſe jene überblühen. — Es bleibe Ihnen, mein geliebter Freund und Dichter, immer Ihre Jugend35 (Verjüngung wäre eine Verkennung), welche auch in Ihrem letzten
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nach dem Gletſcher, der ſich jetzo einſchiffte; und doch ſind die Fran-
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876. An Knebel in Jena.
Baireuth d. 17. Mai 1814 5
— Und hat man einmal zu antworten verſchoben: ſo hört die
Sünde kaum auf; und es ſollte mich gar nicht wundern, wenn mich
einmal mein Pathchen ſelber zu Gevatter bäte und im Briefe mir
mein Schweigen auf Ihren vorhielte.
Wirklich je mehr man zu ſagen hat, deſto weniger fängt man an, 10
etwas zu ſagen. Mit Ihnen könnt’ ich ein Jahr über jetzige Jahre
reden. Die Zeit gebiert jetzo ſchnell und viel; Drillinge, Fünflinge
ſind täglich das Wenigſte. Doch erholet ſie ſich von ihrer poli-
tiſchen Fruchtbarkeit durch ihre poetiſche Unfruchtbarkeit. Als ich
Sie ſah, war es umgekehrt. 15
Aeſthetiſche Unterhaltungen wie in Jena und Weimar, würden
mir in Baireuth unter die 7 Wunder Jena’s gehören; aber meine
Muſe vermiſſet ſie ſehr. Wie wollten wir erſt jetzo, guter Dichter
und Kunſtrichter und Freund, ſo einträchtig leben und zanken, da
Sie ſchon früher gegen meine rauhe vogtländiſche Körper-, Lebens- 20
und Schreibborke ſo nachſichtig ſich bewieſen! Nur Ihre poetiſche
und weltmänniſche Viel- und Allſeitigkeit erklärt es, daß Sie mir
ſonſt mehr durch die Finger als auf die Finger ſahen. — Und ſo
würd’ ich auch mit meinem beinahe eben ſo von mir geliebten als
verehrten Goethe ein ſchönes chriſtliches Leben führen, mit dieſem 25
Abendſtern des jetzo bewölkten oder ausgeſtorbnen Dichterhimmels.
Sie haben mir durch ſein Urtheil über ein Levana’s Bruchſtück,
ein großes Stück Himmel voriger alter Weimars-Zeit hieher ge-
ſchickt. Er ſei von allem, was gut und recht in mir iſt, innigſt ge-
grüßt. Ich ſehne mich unglaublich nach Weimar, ob ich gleich die 30
dortigen Gräber fürchte.
Übrigens ſchreib’ ich fort und ſehe gar kein Ende davon ab, wenn
es nicht das meines Lebens iſt. Mit den Büchern wachſen auch
meine Kinder friſch; nur daß dieſe jene überblühen. — Es bleibe
Ihnen, mein geliebter Freund und Dichter, immer Ihre Jugend 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/397>, abgerufen am 24.11.2024.
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