Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955.einmal heben würde. Aber das Blutlassen half mir ungemein; und wird *) Seines Vaters zweiten Antistolberg hab' ich geliehen bekommen: der erste35
ist nur eine Ovatio gegen diesen vollendeten Triumpus, wie Cicero in seiner Jugend schrieb, oder Trumf. einmal heben würde. Aber das Blutlaſſen half mir ungemein; und wird *) Seines Vaters zweiten Antiſtolberg hab’ ich geliehen bekommen: der erſte35
iſt nur eine Ovatio gegen dieſen vollendeten Triumpus, wie Cicero in ſeiner Jugend ſchrieb, oder Trumf. <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <p><pb facs="#f0102" n="96"/> einmal heben würde. Aber das Blutlaſſen half mir ungemein; und wird<lb/> nun jährlich (<hi rendition="#g">wenn</hi> noch die Adern dazu da ſind) wiederholt. — Ach! ich<lb/> habe der Welt, die mir wenig Freuden mehr geben kann, noch ſo viel<lb/> zu ſagen, zumal über Philoſophie und Theologie! Hundert neue, aber<lb/> kühne Anſichten könnt’ ich geben. Die alten der Orthodoxie, der poſitiven<lb n="5"/> Offenbarung ſammt den Lehren von Sündenfall, Genugthuung und<lb/> verwandten ließ ich längſt dem finſtern Winkel, welchem ſie Leſſing,<lb/> Hemſterhuys und zum Theil Jacobi übergaben. — Mich erquickt dein<lb/> religiöſes frommes und für Gott begeiſtertes Gemüth; aber Baader,<lb/> Kanne, Daub, und ſogar der unbedeutende Feuerbach haben dir deinen<lb n="10"/> friſchen Lebens Sinn weg- und eine enge Orthodoxie eingepredigt, bei<lb/> welcher am Ende alles Feuer der Wiſſenſchaft ſo wie meine Hoffnungen<lb/> von dir ſinken müſſen. Zu einer Umänderung deines Studienplans <hi rendition="#g">ſag’<lb/> ich gerade zu Nein,</hi> weil zu einem Doktor der Theologie jetzo Zeit<lb/> — bei dem ungeheuern Umfange dieſer <hi rendition="#g">meinenden</hi> Wiſſenſchaft — und<lb n="15"/> Geld und noch mehres fehlt. Was deine Seele als theologiſche Nahrung<lb/> bedarf, kann ſie auch auf der philologiſchen Laufbahn, ſeitwärts ohne<lb/> gelehrtes Erlernen, ſich verſchaffen. Aber die rechte und wahre Gott-<lb/> lehre findeſt du nicht in der Orthodoxie, ſondern in der Sternkunde,<lb/> Naturwiſſenſchaft, Dichtkunſt, in Plato, Leibnitz, Antonin, Herder,<lb n="20"/> eigentlich in allen Wiſſenſchaften <hi rendition="#g">auf einmal.</hi> Hörſt du Paulus zuerſt,<lb/> ſo wirſt du ohnehin meiner Ermahnungen nicht bedürfen. — Hegel iſt<lb/> der ſcharfſinnigſte unter allen jetzigen Philoſophen, bleibt aber doch ein<lb/> dialektiſcher Vampyr des innern Menſchen. — Lies doch im 1<hi rendition="#sup">ten</hi><lb/> B[and] des Kometen den letzten Aufſatz: Traum über das All; mein<lb n="25"/> beſter ſeit langer Zeit. — Nichts erdrückt mehr dem Geiſte alle Spring-<lb/> federn als das Auflaſten mehrer Kollegien hinter einander; die Korn-<lb/> ſäcke der Kenntniſſe werden dann nur faul <hi rendition="#g">getragen,</hi> aber nicht zum<lb/> Selber-Tragen auseinandergeſäet. — Bei meinem hieſigen Bankerut<lb/> an Gelehrten (ich habe niemand) drückt mich meines geliebten unent-<lb n="30"/> behrlichen <hi rendition="#aq">Heinrichs</hi> Schweigen hart. Grüße ihn und die Seinigen<note place="foot" n="*)">Seines Vaters zweiten Antiſtolberg hab’ ich geliehen bekommen: der erſte<lb n="35"/> iſt nur eine <hi rendition="#aq">Ovatio</hi> gegen dieſen vollendeten <hi rendition="#aq">Triumpus,</hi> wie Cicero in ſeiner Jugend<lb/> ſchrieb, oder Trumf.</note><lb/> recht heiß, und den guten <hi rendition="#aq">Schwarz</hi> für ſeinen Brief über dich. — Nimm<lb/> doch feines dünnes Briefpapier, wie etwa <hi rendition="#aq">Voß</hi> gebraucht, da die<lb/> Briefe nach dem Gewicht und deine oft mit 28, 30 kr. bezahlt werden<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [96/0102]
einmal heben würde. Aber das Blutlaſſen half mir ungemein; und wird
nun jährlich (wenn noch die Adern dazu da ſind) wiederholt. — Ach! ich
habe der Welt, die mir wenig Freuden mehr geben kann, noch ſo viel
zu ſagen, zumal über Philoſophie und Theologie! Hundert neue, aber
kühne Anſichten könnt’ ich geben. Die alten der Orthodoxie, der poſitiven 5
Offenbarung ſammt den Lehren von Sündenfall, Genugthuung und
verwandten ließ ich längſt dem finſtern Winkel, welchem ſie Leſſing,
Hemſterhuys und zum Theil Jacobi übergaben. — Mich erquickt dein
religiöſes frommes und für Gott begeiſtertes Gemüth; aber Baader,
Kanne, Daub, und ſogar der unbedeutende Feuerbach haben dir deinen 10
friſchen Lebens Sinn weg- und eine enge Orthodoxie eingepredigt, bei
welcher am Ende alles Feuer der Wiſſenſchaft ſo wie meine Hoffnungen
von dir ſinken müſſen. Zu einer Umänderung deines Studienplans ſag’
ich gerade zu Nein, weil zu einem Doktor der Theologie jetzo Zeit
— bei dem ungeheuern Umfange dieſer meinenden Wiſſenſchaft — und 15
Geld und noch mehres fehlt. Was deine Seele als theologiſche Nahrung
bedarf, kann ſie auch auf der philologiſchen Laufbahn, ſeitwärts ohne
gelehrtes Erlernen, ſich verſchaffen. Aber die rechte und wahre Gott-
lehre findeſt du nicht in der Orthodoxie, ſondern in der Sternkunde,
Naturwiſſenſchaft, Dichtkunſt, in Plato, Leibnitz, Antonin, Herder, 20
eigentlich in allen Wiſſenſchaften auf einmal. Hörſt du Paulus zuerſt,
ſo wirſt du ohnehin meiner Ermahnungen nicht bedürfen. — Hegel iſt
der ſcharfſinnigſte unter allen jetzigen Philoſophen, bleibt aber doch ein
dialektiſcher Vampyr des innern Menſchen. — Lies doch im 1ten
B[and] des Kometen den letzten Aufſatz: Traum über das All; mein 25
beſter ſeit langer Zeit. — Nichts erdrückt mehr dem Geiſte alle Spring-
federn als das Auflaſten mehrer Kollegien hinter einander; die Korn-
ſäcke der Kenntniſſe werden dann nur faul getragen, aber nicht zum
Selber-Tragen auseinandergeſäet. — Bei meinem hieſigen Bankerut
an Gelehrten (ich habe niemand) drückt mich meines geliebten unent- 30
behrlichen Heinrichs Schweigen hart. Grüße ihn und die Seinigen *)
recht heiß, und den guten Schwarz für ſeinen Brief über dich. — Nimm
doch feines dünnes Briefpapier, wie etwa Voß gebraucht, da die
Briefe nach dem Gewicht und deine oft mit 28, 30 kr. bezahlt werden
*) Seines Vaters zweiten Antiſtolberg hab’ ich geliehen bekommen: der erſte 35
iſt nur eine Ovatio gegen dieſen vollendeten Triumpus, wie Cicero in ſeiner Jugend
ſchrieb, oder Trumf.
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(2016-11-22T15:22:18Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:22:18Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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