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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955.

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*56. An Heinrich Voß in Heidelberg.

Mein theuerer Heinrich! Seit dem 30ten Mai bin ich hier, aber in
keinem Heidelberg. Ich rechnete so lange am Wetter, bis ich gerade das
schlechteste getroffen, das sich von den Tyroler Alpen noch Verstärkung5
von Kälte und Gewölke holte. --

Nimm mit historischen Skeletten vorlieb, denn der Briefminuten
bleiben mir wenige, von welchen noch dazu meine Frau so viele für sich
verlangt. -- In Regensburg hatt' ich mit Graf Westerholt, dem
Freunde meines Primas, die hohe Stunde einer Todtenfeier des Ge-10
liebten. -- In Landshut besucht' ich nur Köppen und seine Frau; ein
blitzender Abend voll Philosophie und Scherz. -- Das Schönste und
Liebste, was ich hier fand, war mein Max. Sein gelehrter und sein
moralischer Gehalt hat sich hier verdoppelt. Mein Vaterherz kann dir
mit keinem Worte ausdrücken, wie es sich an dem reinen, heißen,15
wissensdurstigen, bescheidenen Jüngling erquickt und erfrischt. Da er
Morgen und Abends und noch öfter bei mir ist: so ist mir das ungemüth-
liche München eine halbe Heimath. -- Ein Umsturz des Wagens auf
dem Wege nach Nymphenburg lieferte mir zum Wetterübel noch einen
starken Brustschmerz, über welchen mein mitfahrender Max bitterlich20
weinte; -- siehe den Dualismus! -- Thiersch herrliche Nase, Augen,
Offenheit und alles hat mich für ihn erobert. Dein Loben hab' ich ihm
ausgeplaudert; wie ich überhaupt eine wahre Stadtklatsche von allem
bin, was einer dem andern hinter dem Rücken nachsagt im Lobe. --
Deine Briefe adressiere: abzugeben im Rochusgäßchen N. 1453 zwei25
Treppen hoch. -- Zum Glücke wohne ich im Häuserkreise vor der Stadt,
der gerade die Gelehrten, folglich die Ausländer befaßt, z. B. Schlichte-
groll, Yelin, Sömmering etc. etc. Die Inländer innerhalb brauchen ein
Jahr, um meine Ankunft, und ein Jahrhundert, um mein literarisches
Verhältnis zu erfahren. König und Königin werd' ich nach ihrer Rück-30
kehr sehen.


Das schlechte Wetter ist mir in so fern lieb, als ich wegen der kranken
Brust doch gutes nicht lange durch Gehen genießen könnte; und so
empfiehlt sich mir wieder die kranke Brust, da ich mit einer gesunden doch35
keine heitere Luft zu athmen bekäme. -- "Hohenbaum's" Lungenschlag-

*56. An Heinrich Voß in Heidelberg.

Mein theuerer Heinrich! Seit dem 30ten Mai bin ich hier, aber in
keinem Heidelberg. Ich rechnete ſo lange am Wetter, bis ich gerade das
ſchlechteſte getroffen, das ſich von den Tyroler Alpen noch Verſtärkung5
von Kälte und Gewölke holte. —

Nimm mit hiſtoriſchen Skeletten vorlieb, denn der Briefminuten
bleiben mir wenige, von welchen noch dazu meine Frau ſo viele für ſich
verlangt. — In Regensburg hatt’ ich mit Graf Westerholt, dem
Freunde meines Primas, die hohe Stunde einer Todtenfeier des Ge-10
liebten. — In Landshut beſucht’ ich nur Köppen und ſeine Frau; ein
blitzender Abend voll Philoſophie und Scherz. — Das Schönſte und
Liebſte, was ich hier fand, war mein Max. Sein gelehrter und ſein
moraliſcher Gehalt hat ſich hier verdoppelt. Mein Vaterherz kann dir
mit keinem Worte ausdrücken, wie es ſich an dem reinen, heißen,15
wiſſensdurſtigen, beſcheidenen Jüngling erquickt und erfriſcht. Da er
Morgen und Abends und noch öfter bei mir iſt: ſo iſt mir das ungemüth-
liche München eine halbe Heimath. — Ein Umſturz des Wagens auf
dem Wege nach Nymphenburg lieferte mir zum Wetterübel noch einen
ſtarken Bruſtſchmerz, über welchen mein mitfahrender Max bitterlich20
weinte; — ſiehe den Dualiſmus! — Thiersch herrliche Naſe, Augen,
Offenheit und alles hat mich für ihn erobert. Dein Loben hab’ ich ihm
ausgeplaudert; wie ich überhaupt eine wahre Stadtklatſche von allem
bin, was einer dem andern hinter dem Rücken nachſagt im Lobe. —
Deine Briefe adreſſiere: abzugeben im Rochusgäßchen N. 1453 zwei25
Treppen hoch. — Zum Glücke wohne ich im Häuſerkreiſe vor der Stadt,
der gerade die Gelehrten, folglich die Ausländer befaßt, z. B. Schlichte-
groll, Yelin, Sömmering ꝛc. ꝛc. Die Inländer innerhalb brauchen ein
Jahr, um meine Ankunft, und ein Jahrhundert, um mein literariſches
Verhältnis zu erfahren. König und Königin werd’ ich nach ihrer Rück-30
kehr ſehen.


Das ſchlechte Wetter iſt mir in ſo fern lieb, als ich wegen der kranken
Bruſt doch gutes nicht lange durch Gehen genießen könnte; und ſo
empfiehlt ſich mir wieder die kranke Bruſt, da ich mit einer geſunden doch35
keine heitere Luft zu athmen bekäme. — „Hohenbaum’s“ Lungenſchlag-

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[37/0042] *56. An Heinrich Voß in Heidelberg. München d. 7ten Jun. 1820 Mein theuerer Heinrich! Seit dem 30ten Mai bin ich hier, aber in keinem Heidelberg. Ich rechnete ſo lange am Wetter, bis ich gerade das ſchlechteſte getroffen, das ſich von den Tyroler Alpen noch Verſtärkung 5 von Kälte und Gewölke holte. — Nimm mit hiſtoriſchen Skeletten vorlieb, denn der Briefminuten bleiben mir wenige, von welchen noch dazu meine Frau ſo viele für ſich verlangt. — In Regensburg hatt’ ich mit Graf Westerholt, dem Freunde meines Primas, die hohe Stunde einer Todtenfeier des Ge- 10 liebten. — In Landshut beſucht’ ich nur Köppen und ſeine Frau; ein blitzender Abend voll Philoſophie und Scherz. — Das Schönſte und Liebſte, was ich hier fand, war mein Max. Sein gelehrter und ſein moraliſcher Gehalt hat ſich hier verdoppelt. Mein Vaterherz kann dir mit keinem Worte ausdrücken, wie es ſich an dem reinen, heißen, 15 wiſſensdurſtigen, beſcheidenen Jüngling erquickt und erfriſcht. Da er Morgen und Abends und noch öfter bei mir iſt: ſo iſt mir das ungemüth- liche München eine halbe Heimath. — Ein Umſturz des Wagens auf dem Wege nach Nymphenburg lieferte mir zum Wetterübel noch einen ſtarken Bruſtſchmerz, über welchen mein mitfahrender Max bitterlich 20 weinte; — ſiehe den Dualiſmus! — Thiersch herrliche Naſe, Augen, Offenheit und alles hat mich für ihn erobert. Dein Loben hab’ ich ihm ausgeplaudert; wie ich überhaupt eine wahre Stadtklatſche von allem bin, was einer dem andern hinter dem Rücken nachſagt im Lobe. — Deine Briefe adreſſiere: abzugeben im Rochusgäßchen N. 1453 zwei 25 Treppen hoch. — Zum Glücke wohne ich im Häuſerkreiſe vor der Stadt, der gerade die Gelehrten, folglich die Ausländer befaßt, z. B. Schlichte- groll, Yelin, Sömmering ꝛc. ꝛc. Die Inländer innerhalb brauchen ein Jahr, um meine Ankunft, und ein Jahrhundert, um mein literariſches Verhältnis zu erfahren. König und Königin werd’ ich nach ihrer Rück- 30 kehr ſehen. 8ten Jun. Das ſchlechte Wetter iſt mir in ſo fern lieb, als ich wegen der kranken Bruſt doch gutes nicht lange durch Gehen genießen könnte; und ſo empfiehlt ſich mir wieder die kranke Bruſt, da ich mit einer geſunden doch 35 keine heitere Luft zu athmen bekäme. — „Hohenbaum’s“ Lungenſchlag-

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:22:18Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:22:18Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe08_1955/42>, abgerufen am 21.11.2024.