Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955.

Bild:
<< vorherige Seite

Frankfurter oder Stuttgarter Verein für Autoren. Zum Glücke wurde
mir am vorvorigen Sonntage (den 4ten), ehe ich meinen Brief ab-
geschickt, einiger Trost über das Naßwetter durch ein Wagenumstürzen
zu Theil, oder vielmehr der Regen versüßte mir die Brustschmerzen, weil
sie mich doch von nichts als nur vom Ausgehen in schlechtem Wetter5
abhielten. Es stieß nämlich der Einspänner*), der mich nach Nymphen-
burg zur Gräfin Taxis zum Anmelden bei der auf einige Tage ab-
reisenden Königin fahren sollte, so an einen herfahrenden eingeschlafnen
Kutscher an, daß die Deichsel zerbrach und mein Wagen um- und ich an
Max fiel. Ich spürte den Fall anfangs etwas stark, da nach dem10
schweren Athmen die Lunge verletzt sein konnte -- und der gute Max
weinte bitterlich -- aber ich errieth bald, daß es nur Verletzung des
Rippenfells war, fuhr noch nach Nymphenburg mit einer neuen Deichsel,
(fand aber die Gräfin nicht) und sprach abends in einer Gesellschaft bei
Schlichtegroll bis 12 Uhr unter starken Schmerzen. Angerathenes15
Baden und Aderlassen gebraucht' ich nicht, und ob ich gleich mehre Tage
nach einem 1/2stündigen Gehen große Schmerzen, zumal Nachts emp-
fand, so ist das Übel doch meistens fast ganz vorüber. Auch mein herr-
licher Sömmering -- nicht unweit von mir, der mich immer so gern zum
Disputieren hätte -- bestätigte mich. -- Hier will ich doch gleich zur20
Königin zurück ... (Eben komm ich von einer wie die Welden licht-
vollen Frau v. Venningen, Niece des Primas Dalberg, her, wohin
mich die liebe Lukrezia auf Anrathen der Fr. v. Lochner, der ich hier
dafür danke, gebracht.) Da der Hofprediger mich auf Freitags, oder
Sonnabends oder Sonntags zum Erscheinen zwischen 12 und 1 geladen,25
so nahm ich natürlich den Freitag, besann mich aber, da der König
wieder zurück war, daß man doch gescheuter zu ihm zuerst ginge und
thats auch, obwol zur ungewöhnlichen Zeit um 12. Bei ihm braucht
man nichts, von 7 Uhr an bis 10, als sich zu melden durch den Kammer-
diener. Einen solchen weitoffnen, gutmüthigen, unbegehrlichen, an-30
spruchlosen, hausväterlichen König hab' ich mir nie gedacht. Als ich
sagte: er sehe gesünder aus als am Frohnleichnamfest, ("am schönsten
einen König zum ersten male bei einem religiösen Feste zu sehen, ein

*) Unnützer Weise wurde mir die Beschleunigung an einem schönen Sonntage,
wo nur noch Einspänner zu 2 fl. für einen halbstündigen Weg zu haben waren, auf-35
gedrungen, weil die Königin schon "präveniert" sei worden -- Mir grauset vor der
Länge des Erzählens.

Frankfurter oder Stuttgarter Verein für Autoren. Zum Glücke wurde
mir am vorvorigen Sonntage (den 4ten), ehe ich meinen Brief ab-
geſchickt, einiger Troſt über das Naßwetter durch ein Wagenumſtürzen
zu Theil, oder vielmehr der Regen verſüßte mir die Bruſtſchmerzen, weil
ſie mich doch von nichts als nur vom Ausgehen in ſchlechtem Wetter5
abhielten. Es ſtieß nämlich der Einſpänner*), der mich nach Nymphen-
burg zur Gräfin Taxis zum Anmelden bei der auf einige Tage ab-
reiſenden Königin fahren ſollte, ſo an einen herfahrenden eingeſchlafnen
Kutſcher an, daß die Deichſel zerbrach und mein Wagen um- und ich an
Max fiel. Ich ſpürte den Fall anfangs etwas ſtark, da nach dem10
ſchweren Athmen die Lunge verletzt ſein konnte — und der gute Max
weinte bitterlich — aber ich errieth bald, daß es nur Verletzung des
Rippenfells war, fuhr noch nach Nymphenburg mit einer neuen Deichſel,
(fand aber die Gräfin nicht) und ſprach abends in einer Geſellſchaft bei
Schlichtegroll bis 12 Uhr unter ſtarken Schmerzen. Angerathenes15
Baden und Aderlaſſen gebraucht’ ich nicht, und ob ich gleich mehre Tage
nach einem ½ſtündigen Gehen große Schmerzen, zumal Nachts emp-
fand, ſo iſt das Übel doch meiſtens faſt ganz vorüber. Auch mein herr-
licher Sömmering — nicht unweit von mir, der mich immer ſo gern zum
Diſputieren hätte — beſtätigte mich. — Hier will ich doch gleich zur20
Königin zurück ... (Eben komm ich von einer wie die Welden licht-
vollen Frau v. Venningen, Niece des Primas 〈Dalberg〉, her, wohin
mich die liebe Lukrezia auf Anrathen der Fr. v. Lochner, der ich hier
dafür danke, gebracht.) Da der Hofprediger mich auf Freitags, oder
Sonnabends oder Sonntags zum Erſcheinen zwiſchen 12 und 1 geladen,25
ſo nahm ich natürlich den Freitag, beſann mich aber, da der König
wieder zurück war, daß man doch geſcheuter zu ihm zuerſt ginge und
thats auch, obwol zur ungewöhnlichen Zeit um 12. Bei ihm braucht
man nichts, von 7 Uhr an bis 10, als ſich zu melden durch den Kammer-
diener. Einen ſolchen weitoffnen, gutmüthigen, unbegehrlichen, an-30
ſpruchloſen, hausväterlichen König hab’ ich mir nie gedacht. Als ich
ſagte: er ſehe geſünder aus als am Frohnleichnamfeſt, („am ſchönſten
einen König zum erſten male bei einem religiöſen Feſte zu ſehen, ein

*) Unnützer Weiſe wurde mir die Beſchleunigung an einem ſchönen Sonntage,
wo nur noch Einſpänner zu 2 fl. für einen halbſtündigen Weg zu haben waren, auf-35
gedrungen, weil die Königin ſchon „präveniert“ ſei worden — Mir grauſet vor der
Länge des Erzählens.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0044" n="39"/>
Frankfurter oder Stuttgarter Verein für Autoren. Zum Glücke wurde<lb/>
mir am vorvorigen Sonntage (den 4<hi rendition="#sup">ten</hi>), <hi rendition="#g">ehe</hi> ich meinen Brief ab-<lb/>
ge&#x017F;chickt, einiger Tro&#x017F;t über das Naßwetter durch ein Wagenum&#x017F;türzen<lb/>
zu Theil, oder vielmehr der Regen ver&#x017F;üßte mir die Bru&#x017F;t&#x017F;chmerzen, weil<lb/>
&#x017F;ie mich doch von nichts als nur vom Ausgehen in &#x017F;chlechtem Wetter<lb n="5"/>
abhielten. Es &#x017F;tieß nämlich der Ein&#x017F;pänner<note place="foot" n="*)">Unnützer Wei&#x017F;e wurde mir die Be&#x017F;chleunigung an einem &#x017F;chönen Sonntage,<lb/>
wo nur noch Ein&#x017F;pänner zu 2 fl. für einen halb&#x017F;tündigen Weg zu haben waren, auf-<lb n="35"/>
gedrungen, weil die Königin &#x017F;chon &#x201E;präveniert&#x201C; &#x017F;ei worden &#x2014; Mir grau&#x017F;et vor der<lb/>
Länge des Erzählens.</note>, der mich nach Nymphen-<lb/>
burg zur Gräfin Taxis zum Anmelden bei der auf einige Tage ab-<lb/>
rei&#x017F;enden Königin fahren &#x017F;ollte, &#x017F;o an einen herfahrenden einge&#x017F;chlafnen<lb/>
Kut&#x017F;cher an, daß die Deich&#x017F;el zerbrach und mein Wagen um- und ich an<lb/>
Max fiel. Ich &#x017F;pürte den Fall anfangs etwas &#x017F;tark, da nach dem<lb n="10"/>
&#x017F;chweren Athmen die Lunge verletzt &#x017F;ein konnte &#x2014; und der gute Max<lb/>
weinte bitterlich &#x2014; aber ich errieth bald, daß es nur Verletzung des<lb/>
Rippenfells war, fuhr noch nach Nymphenburg mit einer neuen Deich&#x017F;el,<lb/>
(fand aber die Gräfin nicht) und &#x017F;prach abends in einer Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft bei<lb/><hi rendition="#aq">Schlichtegroll</hi> bis 12 Uhr unter &#x017F;tarken Schmerzen. Angerathenes<lb n="15"/>
Baden und Aderla&#x017F;&#x017F;en gebraucht&#x2019; ich nicht, und ob ich gleich mehre Tage<lb/>
nach einem ½&#x017F;tündigen Gehen große Schmerzen, zumal Nachts emp-<lb/>
fand, &#x017F;o i&#x017F;t das Übel doch mei&#x017F;tens fa&#x017F;t ganz vorüber. Auch mein herr-<lb/>
licher <hi rendition="#aq">Sömmering</hi> &#x2014; nicht unweit von mir, der mich immer &#x017F;o gern zum<lb/>
Di&#x017F;putieren hätte &#x2014; be&#x017F;tätigte mich. &#x2014; Hier will ich doch gleich zur<lb n="20"/>
Königin zurück ... (Eben komm ich von einer wie die <hi rendition="#aq">Welden</hi> licht-<lb/>
vollen Frau v. <hi rendition="#aq">Venningen,</hi> Niece des Primas &#x2329;Dalberg&#x232A;, her, wohin<lb/>
mich die liebe Lukrezia auf Anrathen der Fr. v. Lochner, der ich hier<lb/>
dafür danke, gebracht.) Da der Hofprediger mich auf Freitags, oder<lb/>
Sonnabends oder Sonntags zum Er&#x017F;cheinen zwi&#x017F;chen 12 und 1 geladen,<lb n="25"/>
&#x017F;o nahm ich natürlich den Freitag, be&#x017F;ann mich aber, da der König<lb/>
wieder zurück war, daß man doch ge&#x017F;cheuter zu ihm zuer&#x017F;t ginge und<lb/>
thats auch, obwol zur ungewöhnlichen Zeit um 12. Bei ihm braucht<lb/>
man nichts, von 7 Uhr an bis 10, als &#x017F;ich zu melden durch den Kammer-<lb/>
diener. Einen &#x017F;olchen weitoffnen, gutmüthigen, unbegehrlichen, an-<lb n="30"/>
&#x017F;pruchlo&#x017F;en, hausväterlichen König hab&#x2019; ich mir nie gedacht. Als ich<lb/>
&#x017F;agte: er &#x017F;ehe ge&#x017F;ünder aus als am Frohnleichnamfe&#x017F;t, (&#x201E;am &#x017F;chön&#x017F;ten<lb/>
einen König zum er&#x017F;ten male bei einem religiö&#x017F;en Fe&#x017F;te zu &#x017F;ehen, ein<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[39/0044] Frankfurter oder Stuttgarter Verein für Autoren. Zum Glücke wurde mir am vorvorigen Sonntage (den 4ten), ehe ich meinen Brief ab- geſchickt, einiger Troſt über das Naßwetter durch ein Wagenumſtürzen zu Theil, oder vielmehr der Regen verſüßte mir die Bruſtſchmerzen, weil ſie mich doch von nichts als nur vom Ausgehen in ſchlechtem Wetter 5 abhielten. Es ſtieß nämlich der Einſpänner *), der mich nach Nymphen- burg zur Gräfin Taxis zum Anmelden bei der auf einige Tage ab- reiſenden Königin fahren ſollte, ſo an einen herfahrenden eingeſchlafnen Kutſcher an, daß die Deichſel zerbrach und mein Wagen um- und ich an Max fiel. Ich ſpürte den Fall anfangs etwas ſtark, da nach dem 10 ſchweren Athmen die Lunge verletzt ſein konnte — und der gute Max weinte bitterlich — aber ich errieth bald, daß es nur Verletzung des Rippenfells war, fuhr noch nach Nymphenburg mit einer neuen Deichſel, (fand aber die Gräfin nicht) und ſprach abends in einer Geſellſchaft bei Schlichtegroll bis 12 Uhr unter ſtarken Schmerzen. Angerathenes 15 Baden und Aderlaſſen gebraucht’ ich nicht, und ob ich gleich mehre Tage nach einem ½ſtündigen Gehen große Schmerzen, zumal Nachts emp- fand, ſo iſt das Übel doch meiſtens faſt ganz vorüber. Auch mein herr- licher Sömmering — nicht unweit von mir, der mich immer ſo gern zum Diſputieren hätte — beſtätigte mich. — Hier will ich doch gleich zur 20 Königin zurück ... (Eben komm ich von einer wie die Welden licht- vollen Frau v. Venningen, Niece des Primas 〈Dalberg〉, her, wohin mich die liebe Lukrezia auf Anrathen der Fr. v. Lochner, der ich hier dafür danke, gebracht.) Da der Hofprediger mich auf Freitags, oder Sonnabends oder Sonntags zum Erſcheinen zwiſchen 12 und 1 geladen, 25 ſo nahm ich natürlich den Freitag, beſann mich aber, da der König wieder zurück war, daß man doch geſcheuter zu ihm zuerſt ginge und thats auch, obwol zur ungewöhnlichen Zeit um 12. Bei ihm braucht man nichts, von 7 Uhr an bis 10, als ſich zu melden durch den Kammer- diener. Einen ſolchen weitoffnen, gutmüthigen, unbegehrlichen, an- 30 ſpruchloſen, hausväterlichen König hab’ ich mir nie gedacht. Als ich ſagte: er ſehe geſünder aus als am Frohnleichnamfeſt, („am ſchönſten einen König zum erſten male bei einem religiöſen Feſte zu ſehen, ein *) Unnützer Weiſe wurde mir die Beſchleunigung an einem ſchönen Sonntage, wo nur noch Einſpänner zu 2 fl. für einen halbſtündigen Weg zu haben waren, auf- 35 gedrungen, weil die Königin ſchon „präveniert“ ſei worden — Mir grauſet vor der Länge des Erzählens.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:22:18Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:22:18Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe08_1955
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe08_1955/44
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe08_1955/44>, abgerufen am 21.11.2024.