Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955.64. An Karoline Richter. München d. 27ten Jun. Dienstag 1820Meine geliebte Karoline! Vorigen Sonntag den 25ten Nach- 64. An Karoline Richter. München d. 27ten Jun. 〈Dienſtag〉 1820Meine geliebte Karoline! Vorigen Sonntag 〈den 25ten〉 Nach- <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0053" n="47"/> <div type="letter" n="1"> <head>64. An <hi rendition="#g">Karoline Richter.</hi></head><lb/> <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">München</hi> d. 27<hi rendition="#sup">ten</hi> Jun. 〈Dienſtag〉 1820</hi> </dateline><lb/> <p>Meine geliebte Karoline! Vorigen Sonntag 〈den 25<hi rendition="#sup">ten</hi>〉 Nach-<lb/> mittags bekam ich deinen Brief vom 24<hi rendition="#sup">ten</hi> datiert. Wahrſcheinlich<lb/> gebrauchſt 〈hältſt〉 du den zurückgebliebnen vorjährigen Kalender auf<lb n="5"/> meinem Tiſche. Ferner ſchreibſt du: deinen Brief erhielt ich Donnerſtag<lb/> Abend als ich von <hi rendition="#aq">Emanuel</hi> ꝛc. kam. <hi rendition="#aq">Emma</hi> ſchreibt den 24<hi rendition="#sup">ten</hi>: vor-<lb/> geſtern als wir von <hi rendition="#aq">Emanuel</hi> ꝛc. <hi rendition="#aq">Odilie</hi> ſchreibt: Am Mittwoch Abend<lb/> empfingen wir, nachdem wir von <hi rendition="#aq">Emanuel</hi> ꝛc. Dieſe allein hatte Recht<lb/> bei dem „Pappa“, den ſie ja künftig Papa ſchreibe, und nicht der „Pappe“<lb n="10"/> ähnlich. — Den Wein, deſſen Fuhrmann du mir hätteſt nennen ſollen,<lb/> hab’ ich noch nicht. 〈<hi rendition="#aq">Eben unter dem Schreiben der zweiten Seite<lb/> kam er an.</hi>〉 Vor ſeiner Ankunft kann ich noch nicht zwiſchen hieſigem<lb/> und baireuter Fuhrwerk entſcheiden. — Durch Wetterzufälle und durch<lb/> den Hofprediger <hi rendition="#aq">Schmidt,</hi> der morgen <hi rendition="#g">hier</hi> mich zum Mittage ein-<lb n="15"/> geladen, mußt’ ich Nymphenburg und alſo den König verſäumen, der<lb/> heute nach Baden geht und den ich ſo gern wiedergeſehen hätte. Von<lb/> Montgelas wurd’ ich geſtern auf heute mit meinem Sömmering u. a.<lb/> zum Mittage geladen; aber die an demſelben Vormittage eintreffende<lb/> Todespoſt ſeiner Frau in Mailand brachte eine Abſagung. Übermorgen<lb n="20"/> eſſ’ ich bei <hi rendition="#aq">Sömmering,</hi> der dem alten <hi rendition="#aq">Heim</hi> durch Feuer und Alter<lb/> ähnlich, eben ſo häufig über den großen Platz zu mir herüber ſpringt. —<lb/> Drei muſikaliſche Himmelabende oder Feiertage — natürlich in Zwiſchen-<lb/> räumen — genoß ich bei F. v. <hi rendition="#aq">Schaden</hi> und <hi rendition="#aq">Yelin</hi> durch den berühmten<lb/><hi rendition="#aq">Stunz</hi> und ſeine Frau und deren Schweſter, z. B. geſtern ſein himm-<lb n="25"/> liches <hi rendition="#aq">Stabat mater.</hi> Auch <hi rendition="#aq">Max,</hi> der in Geſellſchaft ſich höchſt unver-<lb/> legen (gegen Damen), anſtändig, beſcheiden (ſorgfältiger gekleidet als<lb/> ich) und doch witzig zeigt. Mich kann er nicht ſatt küſſen vom Früh-<lb/> ſtück an bis abends an die Abtritts Thüre an der Treppe. Seine jetzigen<lb/> Kenntniſſe haben ihn aus einem baireuter Schulknaben zu einem<lb n="30"/> akademiſchen Jüngling gemacht und in der Philologie könnte er leichter<lb/> Lehrer als Schüler <hi rendition="#aq">Degen’s</hi> ſein. — Er verdarb mir aber eine Nacht<lb/> Schlaf, als er mir erzählte von ſeinem Jammerleben in Winters<lb/> Anfange 〈November Dezember〉 im erſten dürftigen Logis — wie ein<lb/> kleines Eiſenöfchen nicht recht heizte, die Fenſter zerbrochen waren, das<lb n="35"/> Holz geſtohlen — er Morgen und Abends nichts genoß, oft Mittags<lb/> kein ganzes Eſſen und wie alle Kleider dem Magern zu weit wurden;<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [47/0053]
64. An Karoline Richter.
München d. 27ten Jun. 〈Dienſtag〉 1820
Meine geliebte Karoline! Vorigen Sonntag 〈den 25ten〉 Nach-
mittags bekam ich deinen Brief vom 24ten datiert. Wahrſcheinlich
gebrauchſt 〈hältſt〉 du den zurückgebliebnen vorjährigen Kalender auf 5
meinem Tiſche. Ferner ſchreibſt du: deinen Brief erhielt ich Donnerſtag
Abend als ich von Emanuel ꝛc. kam. Emma ſchreibt den 24ten: vor-
geſtern als wir von Emanuel ꝛc. Odilie ſchreibt: Am Mittwoch Abend
empfingen wir, nachdem wir von Emanuel ꝛc. Dieſe allein hatte Recht
bei dem „Pappa“, den ſie ja künftig Papa ſchreibe, und nicht der „Pappe“ 10
ähnlich. — Den Wein, deſſen Fuhrmann du mir hätteſt nennen ſollen,
hab’ ich noch nicht. 〈Eben unter dem Schreiben der zweiten Seite
kam er an.〉 Vor ſeiner Ankunft kann ich noch nicht zwiſchen hieſigem
und baireuter Fuhrwerk entſcheiden. — Durch Wetterzufälle und durch
den Hofprediger Schmidt, der morgen hier mich zum Mittage ein- 15
geladen, mußt’ ich Nymphenburg und alſo den König verſäumen, der
heute nach Baden geht und den ich ſo gern wiedergeſehen hätte. Von
Montgelas wurd’ ich geſtern auf heute mit meinem Sömmering u. a.
zum Mittage geladen; aber die an demſelben Vormittage eintreffende
Todespoſt ſeiner Frau in Mailand brachte eine Abſagung. Übermorgen 20
eſſ’ ich bei Sömmering, der dem alten Heim durch Feuer und Alter
ähnlich, eben ſo häufig über den großen Platz zu mir herüber ſpringt. —
Drei muſikaliſche Himmelabende oder Feiertage — natürlich in Zwiſchen-
räumen — genoß ich bei F. v. Schaden und Yelin durch den berühmten
Stunz und ſeine Frau und deren Schweſter, z. B. geſtern ſein himm- 25
liches Stabat mater. Auch Max, der in Geſellſchaft ſich höchſt unver-
legen (gegen Damen), anſtändig, beſcheiden (ſorgfältiger gekleidet als
ich) und doch witzig zeigt. Mich kann er nicht ſatt küſſen vom Früh-
ſtück an bis abends an die Abtritts Thüre an der Treppe. Seine jetzigen
Kenntniſſe haben ihn aus einem baireuter Schulknaben zu einem 30
akademiſchen Jüngling gemacht und in der Philologie könnte er leichter
Lehrer als Schüler Degen’s ſein. — Er verdarb mir aber eine Nacht
Schlaf, als er mir erzählte von ſeinem Jammerleben in Winters
Anfange 〈November Dezember〉 im erſten dürftigen Logis — wie ein
kleines Eiſenöfchen nicht recht heizte, die Fenſter zerbrochen waren, das 35
Holz geſtohlen — er Morgen und Abends nichts genoß, oft Mittags
kein ganzes Eſſen und wie alle Kleider dem Magern zu weit wurden;
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Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:22:18Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:22:18Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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