Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955.Grimms biedern Charakter und durch meine Vorliebe für die franzö- 124. An Otto. [Bayreuth, 8. Dez. 1820]Guten Abend, mein lieber Otto! Noch immer schleicht die Buch- Grimms biedern Charakter und durch meine Vorliebe für die franzö- 124. An Otto. [Bayreuth, 8. Dez. 1820]Guten Abend, mein lieber Otto! Noch immer ſchleicht die Buch- <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <p><pb facs="#f0088" n="82"/><hi rendition="#aq">Grimms</hi> biedern Charakter und durch meine Vorliebe für die franzö-<lb/> ſiſche Literatur ſeiner Zeit längſt hingezogen fühlte. Ihre Auswahl iſt<lb/> eine treffliche <hi rendition="#g">zweite</hi> Deſtillazion dieſes Geiſtes, die blos das Phlegma<lb/> zu zeitgemäßer und zu örtlicher Beziehungen fallen ließ. Ihr Buch iſt<lb/> amüſanter — und belehrender dazu — als alle jetzige Anekdotenſamm-<lb n="5"/> lungen. Warum verlangen Sie ein beſonderes Urtheil über Ihre<lb/> deutſche Sprache? Sie ſind dieſer durchaus mächtig; eine ſolche Macht<lb/> nun im Bunde mit Ihrer Mutterſprache gibt leicht die beſten Über-<lb/> ſetzungen aus dem Franzöſiſchen. Einige von Ihnen überſetzte Fabeln<lb/> des männlichen <hi rendition="#aq">Sévigné</hi> verglich ich mit einigen von <hi rendition="#aq">Catel</hi> überſetzten;<lb n="10"/> aber dieſer hält auch nicht die nachſichtigſte Vergleichung mit Ihnen<lb/> aus. Ähnliche Verkürzungen wie bei <hi rendition="#aq">Grimm</hi> hätt’ ich wol auch dem<lb/> weiblichen <hi rendition="#aq">La Fontaine</hi> gewünſcht, aber weibliche Briefe, dieſe wahren<lb/><hi rendition="#aq">Fontaines,</hi> vertragen eben keine Abkürzung ihrer Waſſerſtralen. Eben<lb/> am Ende — wie überall der Menſch am Ende — bemerk’ ich einen<lb n="15"/> Irrthum meines Anfangs. Fünffaches Geſchenk hätt’ ich nämlich<lb/> ſchreiben und Ihr Büchlein von Friedrich <hi rendition="#aq">II</hi> nicht vergeſſen ſollen.<lb/> Wie ſehr ich Ihrer Meinung über ihn [in] Ihren Noten bin, wiſſen<lb/> Sie vielleicht aus meinem <hi rendition="#aq">Siebenkäs;</hi> um ſo mehr erquickt mich Ihre<lb/> Beſtätigung. So leben Sie recht heiter, thätig und von fremder Liebe<lb n="20"/> beglückt.</p> </div><lb/> <div type="letter" n="1"> <head>124. An <hi rendition="#g">Otto.</hi></head><lb/> <dateline> <hi rendition="#right">[Bayreuth, 8. Dez. 1820]</hi> </dateline><lb/> <p>Guten Abend, mein lieber Otto! Noch immer ſchleicht die Buch-<lb/> händlergelegenheit mit meinen [!] Kometen. Zum Glücke kann ich dir<lb n="25"/> das einzige Exemplar in der Stadt — nur von Einem Ehepaare noch<lb/> geleſen, von <hi rendition="#aq">C[aroline]</hi> und mir — für morgen zuſchicken; und du<lb/> kannſt dirs nach deiner Weiſe ja umbinden laſſen. Anſtatt Wünſche zu<lb/> thun, die man nicht erfüllen kann, iſt es ſchöner, lieber einen kleinen<lb/> ſelber zu erfüllen; und ich weiß, daß du dir gern für ſolche Tage etwas<lb n="30"/> Neues aufhebſt. Gott gebe nur, daß der Komet dir ſo viele heitere<lb/> Minuten bringt als er mich ſchwere Stunden gekoſtet. Dein münd-<lb/> liches Urtheil darüber könnte dem Kometen, den ich jetzo im 3<hi rendition="#sup">ten</hi> Bande<lb/> laufen laſſe, große Dienſte thun, ihm den Schwanz beſchneiden u. ſ. w.<lb/> Gute Nacht und gutes Jahr, welches dießmal eben ſo leicht zu weiſſagen<lb n="35"/> als zu wünſchen iſt! R.</p> </div><lb/> </body> </text> </TEI> [82/0088]
Grimms biedern Charakter und durch meine Vorliebe für die franzö-
ſiſche Literatur ſeiner Zeit längſt hingezogen fühlte. Ihre Auswahl iſt
eine treffliche zweite Deſtillazion dieſes Geiſtes, die blos das Phlegma
zu zeitgemäßer und zu örtlicher Beziehungen fallen ließ. Ihr Buch iſt
amüſanter — und belehrender dazu — als alle jetzige Anekdotenſamm- 5
lungen. Warum verlangen Sie ein beſonderes Urtheil über Ihre
deutſche Sprache? Sie ſind dieſer durchaus mächtig; eine ſolche Macht
nun im Bunde mit Ihrer Mutterſprache gibt leicht die beſten Über-
ſetzungen aus dem Franzöſiſchen. Einige von Ihnen überſetzte Fabeln
des männlichen Sévigné verglich ich mit einigen von Catel überſetzten; 10
aber dieſer hält auch nicht die nachſichtigſte Vergleichung mit Ihnen
aus. Ähnliche Verkürzungen wie bei Grimm hätt’ ich wol auch dem
weiblichen La Fontaine gewünſcht, aber weibliche Briefe, dieſe wahren
Fontaines, vertragen eben keine Abkürzung ihrer Waſſerſtralen. Eben
am Ende — wie überall der Menſch am Ende — bemerk’ ich einen 15
Irrthum meines Anfangs. Fünffaches Geſchenk hätt’ ich nämlich
ſchreiben und Ihr Büchlein von Friedrich II nicht vergeſſen ſollen.
Wie ſehr ich Ihrer Meinung über ihn [in] Ihren Noten bin, wiſſen
Sie vielleicht aus meinem Siebenkäs; um ſo mehr erquickt mich Ihre
Beſtätigung. So leben Sie recht heiter, thätig und von fremder Liebe 20
beglückt.
124. An Otto.
[Bayreuth, 8. Dez. 1820]
Guten Abend, mein lieber Otto! Noch immer ſchleicht die Buch-
händlergelegenheit mit meinen [!] Kometen. Zum Glücke kann ich dir 25
das einzige Exemplar in der Stadt — nur von Einem Ehepaare noch
geleſen, von C[aroline] und mir — für morgen zuſchicken; und du
kannſt dirs nach deiner Weiſe ja umbinden laſſen. Anſtatt Wünſche zu
thun, die man nicht erfüllen kann, iſt es ſchöner, lieber einen kleinen
ſelber zu erfüllen; und ich weiß, daß du dir gern für ſolche Tage etwas 30
Neues aufhebſt. Gott gebe nur, daß der Komet dir ſo viele heitere
Minuten bringt als er mich ſchwere Stunden gekoſtet. Dein münd-
liches Urtheil darüber könnte dem Kometen, den ich jetzo im 3ten Bande
laufen laſſe, große Dienſte thun, ihm den Schwanz beſchneiden u. ſ. w.
Gute Nacht und gutes Jahr, welches dießmal eben ſo leicht zu weiſſagen 35
als zu wünſchen iſt! R.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:22:18Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:22:18Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |