Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.Erstes Buch -- Ausgangspunkte des römischen Rechts. den Anfang Roms so winzig wie möglich zu machen, damit diespätere Größe desselben dagegen einen um so ehrenvolleren Con- trast bilde, stellt sie die ursprüngliche Bevölkerung als eine durch nichts verbundene Masse einzelner Individuen dar und gibt letzteren die moralische Ausstattung von "ersten Menschen." Ist dies denn denkbar? Hatte denn nicht jeder, der Rom mit erbauen half, bereits einem geordneten Gemeinwesen angehört, brachte er von dort nicht bereits eine historische Ausstattung mit oder hätte er seine Götter, seine Rechtsbegriffe, seine ganze sittliche Ausbildung von sich werfen und sich wieder zum wilden Thiere machen können? Und unter diesen Räubern und Mör- dern hätte sich in kürzester Zeit ein Recht bilden oder vielmehr Romulus hätte nach seinem Belieben ein Recht machen sollen, das aber sofort trotz der disparaten Zusammensetzung der Be- völkerung und trotz ihrer Zügellosigkeit die Macht und den Ein- fluß eines angestammten, ererbten Rechts ausgeübt hätte? Hegel, der im übrigen das Wesen des römischen Geistes treffend auf- gefaßt hat, hat sich freilich zu dieser Annahme entschlossen. Er läßt "den Geist der strengen Gesetzlichkeit der Römer aus jener Entstehung aus der ersten Räubergesellschaft" hervorgehn, denn "diese Stiftung des Staates führte unmittelbar die härteste Dis- ciplin mit sich, sowie die Aufopferung für den Zweck des Bun- des." Rom ist ihm "etwas von Hause aus Gemachtes, Gewalt- sames, nichts Ursprüngliches," und das römische Leben nimmt seinen Anfang "in verwilderter Roheit mit Ausschluß der Empfin- dungen der natürlichen Sittlichkeit."9) Das Recht wäre hier- nach gewissermaßen ein Zaum, der einem wilden, unbändigen Thiere angelegt würde, nicht etwas dem Subjekt selbst eignes, der Staat aber ein Käfig, aus dem das Thier nur entlassen wäre, um unter Aufsicht seines Bändigers bei den Nachbarn zu wüthen und plündern. Ohne in dieser Auffassung ein ge- wisses Moment der Wahrheit, auf das wir an einer spätern 9) S. Hegels Philos. der Geschichte S. 344, 346, 348, 351.
Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts. den Anfang Roms ſo winzig wie möglich zu machen, damit dieſpätere Größe deſſelben dagegen einen um ſo ehrenvolleren Con- traſt bilde, ſtellt ſie die urſprüngliche Bevölkerung als eine durch nichts verbundene Maſſe einzelner Individuen dar und gibt letzteren die moraliſche Ausſtattung von „erſten Menſchen.“ Iſt dies denn denkbar? Hatte denn nicht jeder, der Rom mit erbauen half, bereits einem geordneten Gemeinweſen angehört, brachte er von dort nicht bereits eine hiſtoriſche Ausſtattung mit oder hätte er ſeine Götter, ſeine Rechtsbegriffe, ſeine ganze ſittliche Ausbildung von ſich werfen und ſich wieder zum wilden Thiere machen können? Und unter dieſen Räubern und Mör- dern hätte ſich in kürzeſter Zeit ein Recht bilden oder vielmehr Romulus hätte nach ſeinem Belieben ein Recht machen ſollen, das aber ſofort trotz der disparaten Zuſammenſetzung der Be- völkerung und trotz ihrer Zügelloſigkeit die Macht und den Ein- fluß eines angeſtammten, ererbten Rechts ausgeübt hätte? Hegel, der im übrigen das Weſen des römiſchen Geiſtes treffend auf- gefaßt hat, hat ſich freilich zu dieſer Annahme entſchloſſen. Er läßt „den Geiſt der ſtrengen Geſetzlichkeit der Römer aus jener Entſtehung aus der erſten Räubergeſellſchaft“ hervorgehn, denn „dieſe Stiftung des Staates führte unmittelbar die härteſte Dis- ciplin mit ſich, ſowie die Aufopferung für den Zweck des Bun- des.“ Rom iſt ihm „etwas von Hauſe aus Gemachtes, Gewalt- ſames, nichts Urſprüngliches,“ und das römiſche Leben nimmt ſeinen Anfang „in verwilderter Roheit mit Ausſchluß der Empfin- dungen der natürlichen Sittlichkeit.“9) Das Recht wäre hier- nach gewiſſermaßen ein Zaum, der einem wilden, unbändigen Thiere angelegt würde, nicht etwas dem Subjekt ſelbſt eignes, der Staat aber ein Käfig, aus dem das Thier nur entlaſſen wäre, um unter Aufſicht ſeines Bändigers bei den Nachbarn zu wüthen und plündern. Ohne in dieſer Auffaſſung ein ge- wiſſes Moment der Wahrheit, auf das wir an einer ſpätern 9) S. Hegels Philoſ. der Geſchichte S. 344, 346, 348, 351.
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Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.
den Anfang Roms ſo winzig wie möglich zu machen, damit die
ſpätere Größe deſſelben dagegen einen um ſo ehrenvolleren Con-
traſt bilde, ſtellt ſie die urſprüngliche Bevölkerung als eine
durch nichts verbundene Maſſe einzelner Individuen dar und
gibt letzteren die moraliſche Ausſtattung von „erſten Menſchen.“
Iſt dies denn denkbar? Hatte denn nicht jeder, der Rom mit
erbauen half, bereits einem geordneten Gemeinweſen angehört,
brachte er von dort nicht bereits eine hiſtoriſche Ausſtattung
mit oder hätte er ſeine Götter, ſeine Rechtsbegriffe, ſeine ganze
ſittliche Ausbildung von ſich werfen und ſich wieder zum wilden
Thiere machen können? Und unter dieſen Räubern und Mör-
dern hätte ſich in kürzeſter Zeit ein Recht bilden oder vielmehr
Romulus hätte nach ſeinem Belieben ein Recht machen ſollen,
das aber ſofort trotz der disparaten Zuſammenſetzung der Be-
völkerung und trotz ihrer Zügelloſigkeit die Macht und den Ein-
fluß eines angeſtammten, ererbten Rechts ausgeübt hätte? Hegel,
der im übrigen das Weſen des römiſchen Geiſtes treffend auf-
gefaßt hat, hat ſich freilich zu dieſer Annahme entſchloſſen. Er
läßt „den Geiſt der ſtrengen Geſetzlichkeit der Römer aus jener
Entſtehung aus der erſten Räubergeſellſchaft“ hervorgehn, denn
„dieſe Stiftung des Staates führte unmittelbar die härteſte Dis-
ciplin mit ſich, ſowie die Aufopferung für den Zweck des Bun-
des.“ Rom iſt ihm „etwas von Hauſe aus Gemachtes, Gewalt-
ſames, nichts Urſprüngliches,“ und das römiſche Leben nimmt
ſeinen Anfang „in verwilderter Roheit mit Ausſchluß der Empfin-
dungen der natürlichen Sittlichkeit.“ 9) Das Recht wäre hier-
nach gewiſſermaßen ein Zaum, der einem wilden, unbändigen
Thiere angelegt würde, nicht etwas dem Subjekt ſelbſt eignes,
der Staat aber ein Käfig, aus dem das Thier nur entlaſſen
wäre, um unter Aufſicht ſeines Bändigers bei den Nachbarn
zu wüthen und plündern. Ohne in dieſer Auffaſſung ein ge-
wiſſes Moment der Wahrheit, auf das wir an einer ſpätern
9) S. Hegels Philoſ. der Geſchichte S. 344, 346, 348, 351.
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