Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.Erstes Buch -- Ausgangspunkte des römischen Rechts. Zeit die physische Kraft erforderlich ist, so auch zum Zeugnißungeeignet. Beim Solennitätszeugniß kommt es nicht auf Glaubwürdigkeit an, darum können die Interessenten ihre eig- nen Verwandten zuziehen, und auch im neuern Recht noch ist z. B. das Testament gültig, wenn die zugezogenen Zeugen sämmtlich Brüder des eingesetzten Erben sind. Alle diese Sätze stimmen nicht mit dem Gesichtspunkt, daß der Werth des Zeu- gen in seinem Wissen liegt, wohl aber erklären sie sich, wenn man von unserm Gesichtspunkt ausgeht, daß der Zeuge der ältesten Zeit eine Garantie des Geschäfts übernehmen soll. Lei- sten sie uns auch keinen weitern Dienst, so zeigen sie wenigstens, daß unsere Ansicht mit dem Zuschnitt des solennen Zeugnisses verträglich ist. Die Etymologie wird uns innerhalb dieses ersten Systems 55) Tegere ist etymologisch das deutsche decken (tectum Dach, tegula
Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts. Zeit die phyſiſche Kraft erforderlich iſt, ſo auch zum Zeugnißungeeignet. Beim Solennitätszeugniß kommt es nicht auf Glaubwürdigkeit an, darum können die Intereſſenten ihre eig- nen Verwandten zuziehen, und auch im neuern Recht noch iſt z. B. das Teſtament gültig, wenn die zugezogenen Zeugen ſämmtlich Brüder des eingeſetzten Erben ſind. Alle dieſe Sätze ſtimmen nicht mit dem Geſichtspunkt, daß der Werth des Zeu- gen in ſeinem Wiſſen liegt, wohl aber erklären ſie ſich, wenn man von unſerm Geſichtspunkt ausgeht, daß der Zeuge der älteſten Zeit eine Garantie des Geſchäfts übernehmen ſoll. Lei- ſten ſie uns auch keinen weitern Dienſt, ſo zeigen ſie wenigſtens, daß unſere Anſicht mit dem Zuſchnitt des ſolennen Zeugniſſes verträglich iſt. Die Etymologie wird uns innerhalb dieſes erſten Syſtems 55) Tegere iſt etymologiſch das deutſche decken (tectum Dach, tegula
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Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.
Zeit die phyſiſche Kraft erforderlich iſt, ſo auch zum Zeugniß
ungeeignet. Beim Solennitätszeugniß kommt es nicht auf
Glaubwürdigkeit an, darum können die Intereſſenten ihre eig-
nen Verwandten zuziehen, und auch im neuern Recht noch iſt
z. B. das Teſtament gültig, wenn die zugezogenen Zeugen
ſämmtlich Brüder des eingeſetzten Erben ſind. Alle dieſe Sätze
ſtimmen nicht mit dem Geſichtspunkt, daß der Werth des Zeu-
gen in ſeinem Wiſſen liegt, wohl aber erklären ſie ſich, wenn
man von unſerm Geſichtspunkt ausgeht, daß der Zeuge der
älteſten Zeit eine Garantie des Geſchäfts übernehmen ſoll. Lei-
ſten ſie uns auch keinen weitern Dienſt, ſo zeigen ſie wenigſtens,
daß unſere Anſicht mit dem Zuſchnitt des ſolennen Zeugniſſes
verträglich iſt.
Die Etymologie wird uns innerhalb dieſes erſten Syſtems
noch oft Aufſchlüſſe gewähren; vermag ſie es auch hier? Ich
glaube allerdings. Die lateiniſche Sprache bietet uns für
testis einen Anhaltspunkt in testudo dar. Offenbar muß der bei-
den Wörtern gemeinſame Stamm test eine Bedeckung, Sicherung
ausdrücken; bei der Schildkröte liegt dieſe Eigenſchaft ſo auf
der Hand, daß ſie die natürlichſte Bezeichnung des Thieres ge-
währt, und darum hat ja unſere deutſche Sprache den treffenden
Ausdruck Schild-kröte gewählt. Heißt nun im Lateiniſchen
testudo die Bedeckte, Geſchützte, ſo wird man unwillkührlich
auf tegere und damit zu der Annahme geführt, daß das g die-
ſes Wortes, welches in ſonſtigen Ableitungen entweder bleibt
(z. B. tegmen, tegula) oder in ct übergeht (z. B. tectum), hier
in st übergegangen iſt — eine Annahme, die ich dem Urtheil
der Etymologen anheimſtelle. Das Wort testiculus, das ſonſt
ſeinem Sinn nach mit beiden gar nicht vereinbar ſcheint, würde
ſich unter dieſer Vorausſetzung gleichfalls an ſie anknüpfen
laſſen. 55) Testis wäre darnach der Deckende, Sichernde, oder
unſern obigen Ausdruck zu wählen, der Garant.
55) Tegere iſt etymologiſch das deutſche decken (tectum Dach, tegula
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