Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.Erstes Buch -- Ausgangspunkte des röm. Rechts. zelnen zu Gute, wie umgekehrt seine Thaten auf sie Schattenoder Licht werfen. Darum nimmt die Gens an den Schicksalen und Handlungen des Einzelnen das lebendigste Interesse; er steht ja zu ihr nicht in dem losen Verbande eines Corporations- mitgliedes, das nur gemeinsame Rechte mit ihr auszuüben hat, sondern in dem eines Familienmitgliedes, dessen Wohl und Wehe, Schande und Ehre die ganze Familie berühren. Dies äußert sich auf doppelte Weise, nämlich theils in dem Die gegenseitige Unterstützungspflicht der Verwandten ist Was nun den Umfang dieser Verpflichtung im ältesten rö- 79) S. von Sybel Entstehung des deutschen Königthums S. 20 und flg. und Waitz deutsche Verfassungsgeschichte B. 1 S. 212--215 u. Beil. 1 von der s. g. Gesammtbürgschaft. 80) Cicero de invent. II. 50 nennt zwar nur die cura prodigi, es kann
aber schon wegen des durchgehenden Parallelismus zwischen Erbrecht und Vormundschaft keinem Zweifel unterliegen, daß die Gentilen, wie sie hinter den Agnaten zur Erbschaft, so auch hinter ihnen zur Tutel gerufen waren. S. des weitern Rudorff das Recht der Vormundschaft B. 1 S. 210 u. flg. Erſtes Buch — Ausgangspunkte des röm. Rechts. zelnen zu Gute, wie umgekehrt ſeine Thaten auf ſie Schattenoder Licht werfen. Darum nimmt die Gens an den Schickſalen und Handlungen des Einzelnen das lebendigſte Intereſſe; er ſteht ja zu ihr nicht in dem loſen Verbande eines Corporations- mitgliedes, das nur gemeinſame Rechte mit ihr auszuüben hat, ſondern in dem eines Familienmitgliedes, deſſen Wohl und Wehe, Schande und Ehre die ganze Familie berühren. Dies äußert ſich auf doppelte Weiſe, nämlich theils in dem Die gegenſeitige Unterſtützungspflicht der Verwandten iſt Was nun den Umfang dieſer Verpflichtung im älteſten rö- 79) S. von Sybel Entſtehung des deutſchen Königthums S. 20 und flg. und Waitz deutſche Verfaſſungsgeſchichte B. 1 S. 212—215 u. Beil. 1 von der ſ. g. Geſammtbürgſchaft. 80) Cicero de invent. II. 50 nennt zwar nur die cura prodigi, es kann
aber ſchon wegen des durchgehenden Parallelismus zwiſchen Erbrecht und Vormundſchaft keinem Zweifel unterliegen, daß die Gentilen, wie ſie hinter den Agnaten zur Erbſchaft, ſo auch hinter ihnen zur Tutel gerufen waren. S. des weitern Rudorff das Recht der Vormundſchaft B. 1 S. 210 u. flg. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0188" n="170"/><fw place="top" type="header">Erſtes Buch — Ausgangspunkte des röm. Rechts.</fw><lb/> zelnen zu Gute, wie umgekehrt ſeine Thaten auf ſie Schatten<lb/> oder Licht werfen. Darum nimmt die Gens an den Schickſalen<lb/> und Handlungen des Einzelnen das lebendigſte Intereſſe; er<lb/> ſteht ja zu ihr nicht in dem loſen Verbande eines Corporations-<lb/> mitgliedes, das nur gemeinſame Rechte mit ihr auszuüben hat,<lb/> ſondern in dem eines Familienmitgliedes, deſſen Wohl und<lb/> Wehe, Schande und Ehre die ganze Familie berühren.</p><lb/> <p>Dies äußert ſich auf doppelte Weiſe, nämlich theils in dem<lb/> Anrecht, das der Einzelne an die Gens, theils in dem, das ſie<lb/> an ihn hat. Jenes beſteht in dem Anſpruch auf Schutz und Un-<lb/> terſtützung, dieſes in den Beſchränkungen, denen der Einzelne<lb/> im Intereſſe der Gens unterworfen iſt.</p><lb/> <p>Die gegenſeitige Unterſtützungspflicht der Verwandten iſt<lb/> einer der natürlichſten und regulärſten Ausflüſſe des Familien-<lb/> prinzips. Die Form, in der, und das Maß, bis zu dem ſie Statt<lb/> findet, iſt bei verſchiedenen Völkern verſchieden; ſo ſteigert ſie<lb/> ſich bei einigen bis zur Blutrache, bei andern wie z. B. den<lb/> Germanen äußert ſie ſich in der Verpflichtung, einen Antheil<lb/> am Wehrgeld beizuſteuern. <note place="foot" n="79)">S. von Sybel Entſtehung des deutſchen Königthums S. 20 und<lb/> flg. und Waitz deutſche Verfaſſungsgeſchichte B. 1 S. 212—215 u. Beil. 1<lb/> von der ſ. g. Geſammtbürgſchaft.</note></p><lb/> <p>Was nun den Umfang dieſer Verpflichtung im älteſten rö-<lb/> miſchen Recht anbetrifft, ſo wird zunächſt die Annahme einer<lb/><hi rendition="#g">rechtlichen</hi> Vertretungspflicht ſchwerlich auf Widerſpruch ſto-<lb/> ßen. Ein Anwendungsfall derſelben iſt uns ausdrücklich be-<lb/> zeugt, nämlich die Vormundſchaft. <note place="foot" n="80)">Cicero <hi rendition="#aq">de invent. II.</hi> 50 nennt zwar nur die <hi rendition="#aq">cura prodigi,</hi> es kann<lb/> aber ſchon wegen des durchgehenden Parallelismus zwiſchen Erbrecht und<lb/> Vormundſchaft keinem Zweifel unterliegen, daß die Gentilen, wie ſie hinter<lb/> den Agnaten zur Erbſchaft, ſo auch hinter ihnen zur Tutel gerufen waren.<lb/> S. des weitern Rudorff das Recht der Vormundſchaft B. 1 S. 210 u. flg.</note> Fehlte es nämlich an ei-<lb/> nem Vormunde, ſo traten zur Aushülfe die Gentilen ein. Dies<lb/> iſt begreiflicherweiſe nicht ſo zu verſtehen, als ob ſämmtliche<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [170/0188]
Erſtes Buch — Ausgangspunkte des röm. Rechts.
zelnen zu Gute, wie umgekehrt ſeine Thaten auf ſie Schatten
oder Licht werfen. Darum nimmt die Gens an den Schickſalen
und Handlungen des Einzelnen das lebendigſte Intereſſe; er
ſteht ja zu ihr nicht in dem loſen Verbande eines Corporations-
mitgliedes, das nur gemeinſame Rechte mit ihr auszuüben hat,
ſondern in dem eines Familienmitgliedes, deſſen Wohl und
Wehe, Schande und Ehre die ganze Familie berühren.
Dies äußert ſich auf doppelte Weiſe, nämlich theils in dem
Anrecht, das der Einzelne an die Gens, theils in dem, das ſie
an ihn hat. Jenes beſteht in dem Anſpruch auf Schutz und Un-
terſtützung, dieſes in den Beſchränkungen, denen der Einzelne
im Intereſſe der Gens unterworfen iſt.
Die gegenſeitige Unterſtützungspflicht der Verwandten iſt
einer der natürlichſten und regulärſten Ausflüſſe des Familien-
prinzips. Die Form, in der, und das Maß, bis zu dem ſie Statt
findet, iſt bei verſchiedenen Völkern verſchieden; ſo ſteigert ſie
ſich bei einigen bis zur Blutrache, bei andern wie z. B. den
Germanen äußert ſie ſich in der Verpflichtung, einen Antheil
am Wehrgeld beizuſteuern. 79)
Was nun den Umfang dieſer Verpflichtung im älteſten rö-
miſchen Recht anbetrifft, ſo wird zunächſt die Annahme einer
rechtlichen Vertretungspflicht ſchwerlich auf Widerſpruch ſto-
ßen. Ein Anwendungsfall derſelben iſt uns ausdrücklich be-
zeugt, nämlich die Vormundſchaft. 80) Fehlte es nämlich an ei-
nem Vormunde, ſo traten zur Aushülfe die Gentilen ein. Dies
iſt begreiflicherweiſe nicht ſo zu verſtehen, als ob ſämmtliche
79) S. von Sybel Entſtehung des deutſchen Königthums S. 20 und
flg. und Waitz deutſche Verfaſſungsgeſchichte B. 1 S. 212—215 u. Beil. 1
von der ſ. g. Geſammtbürgſchaft.
80) Cicero de invent. II. 50 nennt zwar nur die cura prodigi, es kann
aber ſchon wegen des durchgehenden Parallelismus zwiſchen Erbrecht und
Vormundſchaft keinem Zweifel unterliegen, daß die Gentilen, wie ſie hinter
den Agnaten zur Erbſchaft, ſo auch hinter ihnen zur Tutel gerufen waren.
S. des weitern Rudorff das Recht der Vormundſchaft B. 1 S. 210 u. flg.
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