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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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Erstes Buch -- Ausgangspunkte des röm. Rechts.
Interessen populicum, publicum, popularis. Res publica, nach
späterer Auffassung der Staat als Persönlichkeit gedacht, be-
zeichnet daher ursprünglich nichts weiter, als was allen ge-
meinsam ist, res publicae die einzelnen Sachen der publicisti-
schen Societät z. B. öffentliche Wege, Plätze u. s. w., an
denen jeder gleiches Recht hat. 104)

Wenn nun die einzelnen Individuen als Subjekte der öf-
fentlichen Rechte aufzufassen, die öffentlichen Interessen nichts
sind, als die Interessen Aller und darum auch jedes Einzelnen,
so folgt daraus, daß jeder Einzelne berufen und berechtigt ist,
diese Interessen wahrzunehmen, eine Verletzung derselben zu
verhindern, oder, wenn sie geschehen, sich in derselben Weise
Genugthuung zu verschaffen, wie in seinen Privatangelegenhei-
ten. Hinsichtlich letzterer bestand das ursprüngliche Mittel in
der Selbsthülfe, und erst im Laufe der Zeit ward dasselbe durch
die Klage verdrängt. Denselben Entwicklungsgang dürfen wir
auch hier annehmen, und zwar können wir dabei in gleicher
Weise, wie auf dem Gebiete des Privatrechts, eine Selbsthülfe
im engern Sinn und eine Privatrache unterscheiden. Eine
Beeinträchtigung des freien Gebrauchs der öffentlichen Sachen,
eine Gefährdung der Sicherheit der Passage u. s. w. würde nur
zur Selbsthülfe im engern Sinn Veranlassung gegeben haben,
sie enthält keine Verletzung der Persönlichkeit des Berechtigten.
In späterer Zeit tritt an die Stelle dieser vom Volk in form-
loser Weise gehandhabten Polizei die actio popularis, über die
bereits bei Gelegenheit eines ähnlichen Verhältnisses innerhalb
der Gens (S. 187) das nöthige bemerkt ist. Wie sehr sich
in der actio popularis, die jeder Bürger als solcher anstellen

104) Dieser Gesichtspunkt ist namentlich bei der Geschichte des ager
publicus
nicht außer Acht zu lassen. Er ist das Gemeinde-Land sämmtlicher
Patricier, ein gemeinschaftliches, ungetheiltes Eigenthum derselben, und von
diesem Gesichtspunkt aus konnten sie die darauf zielenden Bestrebungen der
Plebejer im vollen Gefühl ihres Rechts als Angriffe auf ihr Eigenthum zu-
rückweisen.

Erſtes Buch — Ausgangspunkte des röm. Rechts.
Intereſſen populicum, publicum, popularis. Res publica, nach
ſpäterer Auffaſſung der Staat als Perſönlichkeit gedacht, be-
zeichnet daher urſprünglich nichts weiter, als was allen ge-
meinſam iſt, res publicae die einzelnen Sachen der publiciſti-
ſchen Societät z. B. öffentliche Wege, Plätze u. ſ. w., an
denen jeder gleiches Recht hat. 104)

Wenn nun die einzelnen Individuen als Subjekte der öf-
fentlichen Rechte aufzufaſſen, die öffentlichen Intereſſen nichts
ſind, als die Intereſſen Aller und darum auch jedes Einzelnen,
ſo folgt daraus, daß jeder Einzelne berufen und berechtigt iſt,
dieſe Intereſſen wahrzunehmen, eine Verletzung derſelben zu
verhindern, oder, wenn ſie geſchehen, ſich in derſelben Weiſe
Genugthuung zu verſchaffen, wie in ſeinen Privatangelegenhei-
ten. Hinſichtlich letzterer beſtand das urſprüngliche Mittel in
der Selbſthülfe, und erſt im Laufe der Zeit ward daſſelbe durch
die Klage verdrängt. Denſelben Entwicklungsgang dürfen wir
auch hier annehmen, und zwar können wir dabei in gleicher
Weiſe, wie auf dem Gebiete des Privatrechts, eine Selbſthülfe
im engern Sinn und eine Privatrache unterſcheiden. Eine
Beeinträchtigung des freien Gebrauchs der öffentlichen Sachen,
eine Gefährdung der Sicherheit der Paſſage u. ſ. w. würde nur
zur Selbſthülfe im engern Sinn Veranlaſſung gegeben haben,
ſie enthält keine Verletzung der Perſönlichkeit des Berechtigten.
In ſpäterer Zeit tritt an die Stelle dieſer vom Volk in form-
loſer Weiſe gehandhabten Polizei die actio popularis, über die
bereits bei Gelegenheit eines ähnlichen Verhältniſſes innerhalb
der Gens (S. 187) das nöthige bemerkt iſt. Wie ſehr ſich
in der actio popularis, die jeder Bürger als ſolcher anſtellen

104) Dieſer Geſichtspunkt iſt namentlich bei der Geſchichte des ager
publicus
nicht außer Acht zu laſſen. Er iſt das Gemeinde-Land ſämmtlicher
Patricier, ein gemeinſchaftliches, ungetheiltes Eigenthum derſelben, und von
dieſem Geſichtspunkt aus konnten ſie die darauf zielenden Beſtrebungen der
Plebejer im vollen Gefühl ihres Rechts als Angriffe auf ihr Eigenthum zu-
rückweiſen.
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[196/0214] Erſtes Buch — Ausgangspunkte des röm. Rechts. Intereſſen populicum, publicum, popularis. Res publica, nach ſpäterer Auffaſſung der Staat als Perſönlichkeit gedacht, be- zeichnet daher urſprünglich nichts weiter, als was allen ge- meinſam iſt, res publicae die einzelnen Sachen der publiciſti- ſchen Societät z. B. öffentliche Wege, Plätze u. ſ. w., an denen jeder gleiches Recht hat. 104) Wenn nun die einzelnen Individuen als Subjekte der öf- fentlichen Rechte aufzufaſſen, die öffentlichen Intereſſen nichts ſind, als die Intereſſen Aller und darum auch jedes Einzelnen, ſo folgt daraus, daß jeder Einzelne berufen und berechtigt iſt, dieſe Intereſſen wahrzunehmen, eine Verletzung derſelben zu verhindern, oder, wenn ſie geſchehen, ſich in derſelben Weiſe Genugthuung zu verſchaffen, wie in ſeinen Privatangelegenhei- ten. Hinſichtlich letzterer beſtand das urſprüngliche Mittel in der Selbſthülfe, und erſt im Laufe der Zeit ward daſſelbe durch die Klage verdrängt. Denſelben Entwicklungsgang dürfen wir auch hier annehmen, und zwar können wir dabei in gleicher Weiſe, wie auf dem Gebiete des Privatrechts, eine Selbſthülfe im engern Sinn und eine Privatrache unterſcheiden. Eine Beeinträchtigung des freien Gebrauchs der öffentlichen Sachen, eine Gefährdung der Sicherheit der Paſſage u. ſ. w. würde nur zur Selbſthülfe im engern Sinn Veranlaſſung gegeben haben, ſie enthält keine Verletzung der Perſönlichkeit des Berechtigten. In ſpäterer Zeit tritt an die Stelle dieſer vom Volk in form- loſer Weiſe gehandhabten Polizei die actio popularis, über die bereits bei Gelegenheit eines ähnlichen Verhältniſſes innerhalb der Gens (S. 187) das nöthige bemerkt iſt. Wie ſehr ſich in der actio popularis, die jeder Bürger als ſolcher anſtellen 104) Dieſer Geſichtspunkt iſt namentlich bei der Geſchichte des ager publicus nicht außer Acht zu laſſen. Er iſt das Gemeinde-Land ſämmtlicher Patricier, ein gemeinſchaftliches, ungetheiltes Eigenthum derſelben, und von dieſem Geſichtspunkt aus konnten ſie die darauf zielenden Beſtrebungen der Plebejer im vollen Gefühl ihres Rechts als Angriffe auf ihr Eigenthum zu- rückweiſen.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/214>, abgerufen am 15.05.2024.