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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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Erstes Buch -- Ausgangspunkte des römischen Rechts.
Allen gemeinsamen Interessen; nur sie bilden den Gegenstand sei-
ner Sorgfalt, den Gegenstand des allgemeinen Vertrages, der lex
publica
. Das Privatrecht aber hat seinen Grund in der Privat-
person selbst, letztere selbst muß es durch eigne Thätigkeit begrün-
den und geltend machen; die ganze privatrechtliche Sphäre liegt
außerhalb des Bereiches des Staats, so wie die persönlichen
Verhältnisse eines Gesellschafters außerhalb des der Societät.
Selbst als der Staat immer mehr in diese Sphäre eingriff, be-
schränkend und schützend, läßt sich doch noch deutlich jene Grund-
ansicht von dem Verhältniß des Staats zum Privatrecht erken-
nen, wie dies im zweiten System nachgewiesen werden soll.
Indem wir dieser Erörterung hier nicht vorgreifen, beschränken
wir uns darauf, den Punkt aufzusuchen, an dem sich das Gebiet
des Privatrechts der Einwirkung des Staats zuerst öffnet, und
die daraus zwischen beiden entstehenden Beziehungen ins Auge
zu fassen.

Wir sind bei unserer Darstellung der Selbsthülfe bereits auf
diesen Punkt gelangt (S. 141) -- es war die Sicherung der
Rechtsgeschäfte durch Einholung der Garantie des Volks --
und wir nehmen den Faden der Entwicklung, den wir dort
fallen lassen mußten, hier wieder auf. Die Hauptgeschäfte des
ältesten Rechts wurden unter öffentlicher Garantie vorgenom-
men, alle wichtigeren Rechte stützten sich entweder unmittelbar
oder mittelbar auf Anerkennung und Zusicherung von Seiten
des Volks. Unmittelbar erfolgte diese Garantie bei dem testa-
mentum in comitiis calatis
und in procinctu und der arrogatio,
mittelbar bei der mancipatio (S. oben S. 141) mit ihren ver-
schiedenen Anwendungsfällen wie z. B. dem nexum und der
Eingehung der Ehe durch coemptio, bei der confarreatio
(S. oben S. 181) der usucapio (S. unten) dem census. Die
in jure cessio, eine Schein-Vindikation, bei der die Partheien
darüber einig waren, daß dem Kläger das in Anspruch genom-
mene Recht zugesprochen werden sollte, ließe sich gleichfalls unter
diesen Gesichtspunkt bringen; denn der Spruch des Prätors

Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.
Allen gemeinſamen Intereſſen; nur ſie bilden den Gegenſtand ſei-
ner Sorgfalt, den Gegenſtand des allgemeinen Vertrages, der lex
publica
. Das Privatrecht aber hat ſeinen Grund in der Privat-
perſon ſelbſt, letztere ſelbſt muß es durch eigne Thätigkeit begrün-
den und geltend machen; die ganze privatrechtliche Sphäre liegt
außerhalb des Bereiches des Staats, ſo wie die perſönlichen
Verhältniſſe eines Geſellſchafters außerhalb des der Societät.
Selbſt als der Staat immer mehr in dieſe Sphäre eingriff, be-
ſchränkend und ſchützend, läßt ſich doch noch deutlich jene Grund-
anſicht von dem Verhältniß des Staats zum Privatrecht erken-
nen, wie dies im zweiten Syſtem nachgewieſen werden ſoll.
Indem wir dieſer Erörterung hier nicht vorgreifen, beſchränken
wir uns darauf, den Punkt aufzuſuchen, an dem ſich das Gebiet
des Privatrechts der Einwirkung des Staats zuerſt öffnet, und
die daraus zwiſchen beiden entſtehenden Beziehungen ins Auge
zu faſſen.

Wir ſind bei unſerer Darſtellung der Selbſthülfe bereits auf
dieſen Punkt gelangt (S. 141) — es war die Sicherung der
Rechtsgeſchäfte durch Einholung der Garantie des Volks —
und wir nehmen den Faden der Entwicklung, den wir dort
fallen laſſen mußten, hier wieder auf. Die Hauptgeſchäfte des
älteſten Rechts wurden unter öffentlicher Garantie vorgenom-
men, alle wichtigeren Rechte ſtützten ſich entweder unmittelbar
oder mittelbar auf Anerkennung und Zuſicherung von Seiten
des Volks. Unmittelbar erfolgte dieſe Garantie bei dem testa-
mentum in comitiis calatis
und in procinctu und der arrogatio,
mittelbar bei der mancipatio (S. oben S. 141) mit ihren ver-
ſchiedenen Anwendungsfällen wie z. B. dem nexum und der
Eingehung der Ehe durch coemptio, bei der confarreatio
(S. oben S. 181) der usucapio (S. unten) dem census. Die
in jure cessio, eine Schein-Vindikation, bei der die Partheien
darüber einig waren, daß dem Kläger das in Anſpruch genom-
mene Recht zugeſprochen werden ſollte, ließe ſich gleichfalls unter
dieſen Geſichtspunkt bringen; denn der Spruch des Prätors

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[206/0224] Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts. Allen gemeinſamen Intereſſen; nur ſie bilden den Gegenſtand ſei- ner Sorgfalt, den Gegenſtand des allgemeinen Vertrages, der lex publica. Das Privatrecht aber hat ſeinen Grund in der Privat- perſon ſelbſt, letztere ſelbſt muß es durch eigne Thätigkeit begrün- den und geltend machen; die ganze privatrechtliche Sphäre liegt außerhalb des Bereiches des Staats, ſo wie die perſönlichen Verhältniſſe eines Geſellſchafters außerhalb des der Societät. Selbſt als der Staat immer mehr in dieſe Sphäre eingriff, be- ſchränkend und ſchützend, läßt ſich doch noch deutlich jene Grund- anſicht von dem Verhältniß des Staats zum Privatrecht erken- nen, wie dies im zweiten Syſtem nachgewieſen werden ſoll. Indem wir dieſer Erörterung hier nicht vorgreifen, beſchränken wir uns darauf, den Punkt aufzuſuchen, an dem ſich das Gebiet des Privatrechts der Einwirkung des Staats zuerſt öffnet, und die daraus zwiſchen beiden entſtehenden Beziehungen ins Auge zu faſſen. Wir ſind bei unſerer Darſtellung der Selbſthülfe bereits auf dieſen Punkt gelangt (S. 141) — es war die Sicherung der Rechtsgeſchäfte durch Einholung der Garantie des Volks — und wir nehmen den Faden der Entwicklung, den wir dort fallen laſſen mußten, hier wieder auf. Die Hauptgeſchäfte des älteſten Rechts wurden unter öffentlicher Garantie vorgenom- men, alle wichtigeren Rechte ſtützten ſich entweder unmittelbar oder mittelbar auf Anerkennung und Zuſicherung von Seiten des Volks. Unmittelbar erfolgte dieſe Garantie bei dem testa- mentum in comitiis calatis und in procinctu und der arrogatio, mittelbar bei der mancipatio (S. oben S. 141) mit ihren ver- ſchiedenen Anwendungsfällen wie z. B. dem nexum und der Eingehung der Ehe durch coemptio, bei der confarreatio (S. oben S. 181) der usucapio (S. unten) dem census. Die in jure cessio, eine Schein-Vindikation, bei der die Partheien darüber einig waren, daß dem Kläger das in Anſpruch genom- mene Recht zugeſprochen werden ſollte, ließe ſich gleichfalls unter dieſen Geſichtspunkt bringen; denn der Spruch des Prätors

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/224>, abgerufen am 15.05.2024.