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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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Einleitung -- die Aufgabe.
dieses Recht, zu allen Zeiten suchte man sie mit der Verweisung
auf den hohen Werth desselben zurückzuschlagen; worin besteht
denn derselbe? Welchen dankbareren Stoff zur Bethätigung hätte
die Verehrung, die man diesem Recht zollte, finden können, als
die Lichtseiten desselben hervorzuheben, und wie hätte man die
Gegner wirksamer zum Schweigen bringen können? Aber unsere
Literatur straft diese Erwartung Lügen, denn statt einer einge-
henden Kritik des römischen Rechts gewährt sie uns nur gele-
gentliche allgemeine Aussprüche über die Trefflichkeit desselben,
den eminenten Scharfsinn und praktischen Takt der römischen
Juristen u. s. w. Weihrauch hat man dem römischen Recht
genug gestreut, und es lagert sich, möchte ich sagen, um dasselbe
eine glänzende Atmosphäre, durch die der Unkundige erst hin-
durchdringen muß, um sich ihm zu nähern; aber sobald er sie
hinter sich hat, sobald der Gegenstand selbst in seiner Nacktheit
sich ihm zeigt, tritt eine bittere Enttäuschung ein, und man be-
greift nicht, worin die viel gepriesene Größe desselben bestehen
soll. Bei längerer Beschäftigung mit demselben offenbart sie sich
freilich, aber mehr dem Gefühl, als der Erkenntniß; es verhält
sich damit, wie mit dem Zauber, den manche Persönlichkeiten
ausüben: man fühlt ihn, ohne sich bewußt zu sein, worin er
eigentlich beruhe. So hat auch das römische Recht auf tausende
und aber tausende seiner Jünger die höchste Anziehungskraft
ausgeübt; in ihnen allen lebte das Gefühl seiner Größe und
artete nicht selten in fanatische Blindheit aus, aber an die wissen-
schaftliche Begründung dieses Gefühls hat man kaum gedacht.
Man begnügte sich, den Gegenstand auf das sorgfältigste zu
erforschen und, wo es galt, ein Urtheil abzugeben, ihm in den
allgemeinsten Ausdrücken ein glänzendes Zeugniß auszustellen.
Bedürfte es aber eines solchen, käme es darauf an, die Größe
des römischen Rechts auch für den Unkundigen in das rechte
Licht zu setzen und dem Zweifler den Mund zu schließen, so
brauchte man nur die Thatsachen sprechen zu lassen; die Geschichte
selbst hat dem römischen Recht das beste Zeugniß ausgestellt.

Einleitung — die Aufgabe.
dieſes Recht, zu allen Zeiten ſuchte man ſie mit der Verweiſung
auf den hohen Werth deſſelben zurückzuſchlagen; worin beſteht
denn derſelbe? Welchen dankbareren Stoff zur Bethätigung hätte
die Verehrung, die man dieſem Recht zollte, finden können, als
die Lichtſeiten deſſelben hervorzuheben, und wie hätte man die
Gegner wirkſamer zum Schweigen bringen können? Aber unſere
Literatur ſtraft dieſe Erwartung Lügen, denn ſtatt einer einge-
henden Kritik des römiſchen Rechts gewährt ſie uns nur gele-
gentliche allgemeine Ausſprüche über die Trefflichkeit deſſelben,
den eminenten Scharfſinn und praktiſchen Takt der römiſchen
Juriſten u. ſ. w. Weihrauch hat man dem römiſchen Recht
genug geſtreut, und es lagert ſich, möchte ich ſagen, um daſſelbe
eine glänzende Atmoſphäre, durch die der Unkundige erſt hin-
durchdringen muß, um ſich ihm zu nähern; aber ſobald er ſie
hinter ſich hat, ſobald der Gegenſtand ſelbſt in ſeiner Nacktheit
ſich ihm zeigt, tritt eine bittere Enttäuſchung ein, und man be-
greift nicht, worin die viel geprieſene Größe deſſelben beſtehen
ſoll. Bei längerer Beſchäftigung mit demſelben offenbart ſie ſich
freilich, aber mehr dem Gefühl, als der Erkenntniß; es verhält
ſich damit, wie mit dem Zauber, den manche Perſönlichkeiten
ausüben: man fühlt ihn, ohne ſich bewußt zu ſein, worin er
eigentlich beruhe. So hat auch das römiſche Recht auf tauſende
und aber tauſende ſeiner Jünger die höchſte Anziehungskraft
ausgeübt; in ihnen allen lebte das Gefühl ſeiner Größe und
artete nicht ſelten in fanatiſche Blindheit aus, aber an die wiſſen-
ſchaftliche Begründung dieſes Gefühls hat man kaum gedacht.
Man begnügte ſich, den Gegenſtand auf das ſorgfältigſte zu
erforſchen und, wo es galt, ein Urtheil abzugeben, ihm in den
allgemeinſten Ausdrücken ein glänzendes Zeugniß auszuſtellen.
Bedürfte es aber eines ſolchen, käme es darauf an, die Größe
des römiſchen Rechts auch für den Unkundigen in das rechte
Licht zu ſetzen und dem Zweifler den Mund zu ſchließen, ſo
brauchte man nur die Thatſachen ſprechen zu laſſen; die Geſchichte
ſelbſt hat dem römiſchen Recht das beſte Zeugniß ausgeſtellt.

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[6/0024] Einleitung — die Aufgabe. dieſes Recht, zu allen Zeiten ſuchte man ſie mit der Verweiſung auf den hohen Werth deſſelben zurückzuſchlagen; worin beſteht denn derſelbe? Welchen dankbareren Stoff zur Bethätigung hätte die Verehrung, die man dieſem Recht zollte, finden können, als die Lichtſeiten deſſelben hervorzuheben, und wie hätte man die Gegner wirkſamer zum Schweigen bringen können? Aber unſere Literatur ſtraft dieſe Erwartung Lügen, denn ſtatt einer einge- henden Kritik des römiſchen Rechts gewährt ſie uns nur gele- gentliche allgemeine Ausſprüche über die Trefflichkeit deſſelben, den eminenten Scharfſinn und praktiſchen Takt der römiſchen Juriſten u. ſ. w. Weihrauch hat man dem römiſchen Recht genug geſtreut, und es lagert ſich, möchte ich ſagen, um daſſelbe eine glänzende Atmoſphäre, durch die der Unkundige erſt hin- durchdringen muß, um ſich ihm zu nähern; aber ſobald er ſie hinter ſich hat, ſobald der Gegenſtand ſelbſt in ſeiner Nacktheit ſich ihm zeigt, tritt eine bittere Enttäuſchung ein, und man be- greift nicht, worin die viel geprieſene Größe deſſelben beſtehen ſoll. Bei längerer Beſchäftigung mit demſelben offenbart ſie ſich freilich, aber mehr dem Gefühl, als der Erkenntniß; es verhält ſich damit, wie mit dem Zauber, den manche Perſönlichkeiten ausüben: man fühlt ihn, ohne ſich bewußt zu ſein, worin er eigentlich beruhe. So hat auch das römiſche Recht auf tauſende und aber tauſende ſeiner Jünger die höchſte Anziehungskraft ausgeübt; in ihnen allen lebte das Gefühl ſeiner Größe und artete nicht ſelten in fanatiſche Blindheit aus, aber an die wiſſen- ſchaftliche Begründung dieſes Gefühls hat man kaum gedacht. Man begnügte ſich, den Gegenſtand auf das ſorgfältigſte zu erforſchen und, wo es galt, ein Urtheil abzugeben, ihm in den allgemeinſten Ausdrücken ein glänzendes Zeugniß auszuſtellen. Bedürfte es aber eines ſolchen, käme es darauf an, die Größe des römiſchen Rechts auch für den Unkundigen in das rechte Licht zu ſetzen und dem Zweifler den Mund zu ſchließen, ſo brauchte man nur die Thatſachen ſprechen zu laſſen; die Geſchichte ſelbſt hat dem römiſchen Recht das beſte Zeugniß ausgeſtellt.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/24>, abgerufen am 29.04.2024.