Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.Einleitung -- die Aufgabe. desselben in unverkennbaren Zügen ausgesprochen, nichts ist alsoleichter, als den Beweis dieser Größe zu erbringen. Aber wenn man weiter dringt, wenn man frägt: worauf beruht sie denn, wodurch unterscheidet sich das römische Recht so sehr zu seinem Vortheile von andern Rechten, dann geben uns selbst die größten Kenner desselben nur ungenügende Antwort. Man preist den Scharfsinn und die Consequenz der römischen Juristen, aber damit ist nichts gewonnen. Dieselbe Eigenschaft findet sich in nicht minderem Grade, ja vielleicht mit einer noch schärferen Spitze in der talmudischen Jurisprudenz 1) und in der juristischen und moralischen Casuistik der Jesuiten, 2) und wie sehr treten doch beide hinter das römische Recht in den Schatten. Wenn man auch noch so viele Vorzüge der römischen Juristen nahmhaft machen will, so führen sie alle nur zu dem einen Satze, daß letztere große Meister gewesen. Wer aber von irgend einem Pro- dukt nachweisen will, daß und warum es ein Meisterstück sei, wird gewiß nicht den Weg einschlagen, daß er zeigt, der Urhe- ber habe alle Eigenschaften besessen, um ein solches Meisterstück zu liefern, sondern er wird sich an das Werk selbst halten und auf jeden einzelnen Vorzug desselben aufmerksam machen. Es ist nun höchst auffallend, wie wenig Sinn für eine 1) Man vergleiche z. B. den Schulchan Aruch, von dem eine abge- kürzte Uebersetzung 1838 zu Hamburg erschien. 2) Namentlich in der Lehre vom Eide und von der Ehe.
Einleitung — die Aufgabe. deſſelben in unverkennbaren Zügen ausgeſprochen, nichts iſt alſoleichter, als den Beweis dieſer Größe zu erbringen. Aber wenn man weiter dringt, wenn man frägt: worauf beruht ſie denn, wodurch unterſcheidet ſich das römiſche Recht ſo ſehr zu ſeinem Vortheile von andern Rechten, dann geben uns ſelbſt die größten Kenner deſſelben nur ungenügende Antwort. Man preiſt den Scharfſinn und die Conſequenz der römiſchen Juriſten, aber damit iſt nichts gewonnen. Dieſelbe Eigenſchaft findet ſich in nicht minderem Grade, ja vielleicht mit einer noch ſchärferen Spitze in der talmudiſchen Jurisprudenz 1) und in der juriſtiſchen und moraliſchen Caſuiſtik der Jeſuiten, 2) und wie ſehr treten doch beide hinter das römiſche Recht in den Schatten. Wenn man auch noch ſo viele Vorzüge der römiſchen Juriſten nahmhaft machen will, ſo führen ſie alle nur zu dem einen Satze, daß letztere große Meiſter geweſen. Wer aber von irgend einem Pro- dukt nachweiſen will, daß und warum es ein Meiſterſtück ſei, wird gewiß nicht den Weg einſchlagen, daß er zeigt, der Urhe- ber habe alle Eigenſchaften beſeſſen, um ein ſolches Meiſterſtück zu liefern, ſondern er wird ſich an das Werk ſelbſt halten und auf jeden einzelnen Vorzug deſſelben aufmerkſam machen. Es iſt nun höchſt auffallend, wie wenig Sinn für eine 1) Man vergleiche z. B. den Schulchan Aruch, von dem eine abge- kürzte Ueberſetzung 1838 zu Hamburg erſchien. 2) Namentlich in der Lehre vom Eide und von der Ehe.
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Einleitung — die Aufgabe.
deſſelben in unverkennbaren Zügen ausgeſprochen, nichts iſt alſo
leichter, als den Beweis dieſer Größe zu erbringen. Aber wenn
man weiter dringt, wenn man frägt: worauf beruht ſie denn,
wodurch unterſcheidet ſich das römiſche Recht ſo ſehr zu ſeinem
Vortheile von andern Rechten, dann geben uns ſelbſt die größten
Kenner deſſelben nur ungenügende Antwort. Man preiſt den
Scharfſinn und die Conſequenz der römiſchen Juriſten, aber
damit iſt nichts gewonnen. Dieſelbe Eigenſchaft findet ſich in
nicht minderem Grade, ja vielleicht mit einer noch ſchärferen
Spitze in der talmudiſchen Jurisprudenz 1) und in der juriſtiſchen
und moraliſchen Caſuiſtik der Jeſuiten, 2) und wie ſehr treten
doch beide hinter das römiſche Recht in den Schatten. Wenn
man auch noch ſo viele Vorzüge der römiſchen Juriſten nahmhaft
machen will, ſo führen ſie alle nur zu dem einen Satze, daß
letztere große Meiſter geweſen. Wer aber von irgend einem Pro-
dukt nachweiſen will, daß und warum es ein Meiſterſtück ſei,
wird gewiß nicht den Weg einſchlagen, daß er zeigt, der Urhe-
ber habe alle Eigenſchaften beſeſſen, um ein ſolches Meiſterſtück
zu liefern, ſondern er wird ſich an das Werk ſelbſt halten und
auf jeden einzelnen Vorzug deſſelben aufmerkſam machen.
Es iſt nun höchſt auffallend, wie wenig Sinn für eine
ſolche Materialkritik des römiſchen Rechts in unſerer Literatur
hervortritt. Es iſt weder der Verſuch einer Beurtheilung des
römiſchen Rechts im ganzen und großen gemacht, noch pflegt
auch bei der Bearbeitung einzelner Lehren eine ſolche kritiſche
Betrachtungsweiſe hervorzutreten. Man begnügt ſich, das
römiſche Recht möglichſt rein darzuſtellen, ich möchte ſagen, man
müht ſich ab, täglich von neuem den Aktenauszug zu verbeſſern,
ohne zu gedenken, daß ſich ihm ein Urtheilsentwurf nebſt Ent-
ſcheidungsgründen anſchließen ſoll. Worin liegt der Grund die-
1) Man vergleiche z. B. den Schulchan Aruch, von dem eine abge-
kürzte Ueberſetzung 1838 zu Hamburg erſchien.
2) Namentlich in der Lehre vom Eide und von der Ehe.
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