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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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3. Das religiöse Prinzip -- legis actio sacramento. §. 18.
Weise, wie viele Jahrhunderte später der bei den geistlichen Ge-
richten des Mittelalters ausgebildete Prozeß auf die weltlichen
Gerichte überging. Das Succumbenzgeld fiel aber consequen-
terweise nicht mehr an die Götter, sondern an den Staat. 189)

Die hier aufgestellte Ansicht erklärt es, wie das Pontifical-
collegium zu einer so ausgebreiteten und generellen Gerichts-
barkeit in rein weltlichen Dingen gelangen konnte, daß sich spä-
ter daraus die Sage von einer ausschließlichen Handhabung
der Civilrechtspflege durch die Pontifices bildete. Der natür-
lichen Anziehungskraft, die das Pontificalcollegium, wie oben
bereits erwähnt, aus manchen Gründen ausüben mußte, bot
die actio sacramento eine entsprechende, überall anwendbare
Form. Was man von den Pontifices begehrte, war mehr ein
Gutachten, als ein Urtheil in unserem heutigen Sinn, wie noch
aus der Erkenntnißform: sacramentum justum esse und aus
der früher bereits entwickelten allgemeinen Function des römi-
schen Richters (§. 12) hervorgeht. Jenes Gutachten wurde aber
in bestimmten Formen nachgesucht und ertheilt, und daß die
Kenntniß dieses Verfahrens und der Praxis des geistlichen Ge-
richts Niemanden in dem Maße zu eigen sein konnte, als den
Pontifices selbst, versteht sich von selbst. Daraus machte eine
spätere Zeit die Fabel von der Geheimhaltung des Civilrechts
durch die Pontifices.

Das römische Recht hat der Praxis des geistlichen Gerichts
gewiß viel zu danken, nicht bloß wegen der relativ hohen In-
telligenz und Rechtskunde, die sich bei denselben fand, sondern
vor allem darum, weil sich hier am ersten eine constante
Praxis bilden konnte und bildete. Es war hier nicht einem
Einzelnen die Rechtspflege anvertraut, wie bei dem Könige,
Consul und Prätor, sondern einer Behörde und zwar, was

189) Gaj. IV. §. 17 in publicum cadebat (Prozeß vor dem weltlichen
Gericht), Festus sub voc: Sacramentum .... quod consumebatur in re-
bus divinis
(beim geistlichen Gericht).

3. Das religiöſe Prinzip — legis actio sacramento. §. 18.
Weiſe, wie viele Jahrhunderte ſpäter der bei den geiſtlichen Ge-
richten des Mittelalters ausgebildete Prozeß auf die weltlichen
Gerichte überging. Das Succumbenzgeld fiel aber conſequen-
terweiſe nicht mehr an die Götter, ſondern an den Staat. 189)

Die hier aufgeſtellte Anſicht erklärt es, wie das Pontifical-
collegium zu einer ſo ausgebreiteten und generellen Gerichts-
barkeit in rein weltlichen Dingen gelangen konnte, daß ſich ſpä-
ter daraus die Sage von einer ausſchließlichen Handhabung
der Civilrechtspflege durch die Pontifices bildete. Der natür-
lichen Anziehungskraft, die das Pontificalcollegium, wie oben
bereits erwähnt, aus manchen Gründen ausüben mußte, bot
die actio sacramento eine entſprechende, überall anwendbare
Form. Was man von den Pontifices begehrte, war mehr ein
Gutachten, als ein Urtheil in unſerem heutigen Sinn, wie noch
aus der Erkenntnißform: sacramentum justum esse und aus
der früher bereits entwickelten allgemeinen Function des römi-
ſchen Richters (§. 12) hervorgeht. Jenes Gutachten wurde aber
in beſtimmten Formen nachgeſucht und ertheilt, und daß die
Kenntniß dieſes Verfahrens und der Praxis des geiſtlichen Ge-
richts Niemanden in dem Maße zu eigen ſein konnte, als den
Pontifices ſelbſt, verſteht ſich von ſelbſt. Daraus machte eine
ſpätere Zeit die Fabel von der Geheimhaltung des Civilrechts
durch die Pontifices.

Das römiſche Recht hat der Praxis des geiſtlichen Gerichts
gewiß viel zu danken, nicht bloß wegen der relativ hohen In-
telligenz und Rechtskunde, die ſich bei denſelben fand, ſondern
vor allem darum, weil ſich hier am erſten eine conſtante
Praxis bilden konnte und bildete. Es war hier nicht einem
Einzelnen die Rechtspflege anvertraut, wie bei dem Könige,
Conſul und Prätor, ſondern einer Behörde und zwar, was

189) Gaj. IV. §. 17 in publicum cadebat (Prozeß vor dem weltlichen
Gericht), Festus sub voc: Sacramentum .... quod consumebatur in re-
bus divinis
(beim geiſtlichen Gericht).
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[267/0285] 3. Das religiöſe Prinzip — legis actio sacramento. §. 18. Weiſe, wie viele Jahrhunderte ſpäter der bei den geiſtlichen Ge- richten des Mittelalters ausgebildete Prozeß auf die weltlichen Gerichte überging. Das Succumbenzgeld fiel aber conſequen- terweiſe nicht mehr an die Götter, ſondern an den Staat. 189) Die hier aufgeſtellte Anſicht erklärt es, wie das Pontifical- collegium zu einer ſo ausgebreiteten und generellen Gerichts- barkeit in rein weltlichen Dingen gelangen konnte, daß ſich ſpä- ter daraus die Sage von einer ausſchließlichen Handhabung der Civilrechtspflege durch die Pontifices bildete. Der natür- lichen Anziehungskraft, die das Pontificalcollegium, wie oben bereits erwähnt, aus manchen Gründen ausüben mußte, bot die actio sacramento eine entſprechende, überall anwendbare Form. Was man von den Pontifices begehrte, war mehr ein Gutachten, als ein Urtheil in unſerem heutigen Sinn, wie noch aus der Erkenntnißform: sacramentum justum esse und aus der früher bereits entwickelten allgemeinen Function des römi- ſchen Richters (§. 12) hervorgeht. Jenes Gutachten wurde aber in beſtimmten Formen nachgeſucht und ertheilt, und daß die Kenntniß dieſes Verfahrens und der Praxis des geiſtlichen Ge- richts Niemanden in dem Maße zu eigen ſein konnte, als den Pontifices ſelbſt, verſteht ſich von ſelbſt. Daraus machte eine ſpätere Zeit die Fabel von der Geheimhaltung des Civilrechts durch die Pontifices. Das römiſche Recht hat der Praxis des geiſtlichen Gerichts gewiß viel zu danken, nicht bloß wegen der relativ hohen In- telligenz und Rechtskunde, die ſich bei denſelben fand, ſondern vor allem darum, weil ſich hier am erſten eine conſtante Praxis bilden konnte und bildete. Es war hier nicht einem Einzelnen die Rechtspflege anvertraut, wie bei dem Könige, Conſul und Prätor, ſondern einer Behörde und zwar, was 189) Gaj. IV. §. 17 in publicum cadebat (Prozeß vor dem weltlichen Gericht), Festus sub voc: Sacramentum .... quod consumebatur in re- bus divinis (beim geiſtlichen Gericht).

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/285>, abgerufen am 22.11.2024.