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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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2. Verhältniß zu den gegebenen Ausgangspunkten. §. 21.
dadurch, daß man einen Stellvertreter für ihn schwören ließ,
und der strenge Verfechter des geistlichen Rechts nahm daran
keinen Anstoß, daß ein Volksbeschluß ausdrücklich bestimmt
hatte, was übrigens sich ja auch von selbst verstand, daß es so
angesehn werden sollte, als hätte er selbst geschworen, daß also
im Grunde ihm nur der Akt des Schwörens, nicht aber der
Eid selbst abgenommen war. -- Der Festtag sollte geheiligt
werden, für eine bewußte Uebertretung dieses Gebots nicht ein-
mal eine Sühne möglich sein -- aber dem praktischen Bedürf-
niß ordnete die Religion sich unter, nothwendige Arbeit durfte
auch an Festtagen verrichtet werden. 255)

Statt mehr einzelne Beispiele anzuführen, will ich lieber
einmal eine ganze Lehre des geistlichen Rechts, die für den
Staat gerade von der eingreifendsten Bedeutung war, einer
Prüfung unterwerfen, die Lehre von den Auspicien und Zei-
chen. 256) Es war ein Bedürfniß des religiösen Gefühls, für
eine einigermaßen wichtige Handlung die Zustimmung der Göt-

255) Hartung a. a. O. I S. 188.
256) Eine so große Rolle die Auspicien, Vorbedeutungen u. s. w. auch im
römischen Privatleben spielten, so ist es doch höchst charakteristisch, daß wir im
römischen Privatrecht auch nicht die geringste Spur eines Einflusses derselben
nachzuweisen im Stande sind. Zwar ist in einer neuern Schrift der abentheuer-
liche Versuch gemacht, dem omen einen solchen Einfluß zu vindiciren, doch hat
der Verfasser seine gegen die römische Jurisprudenz begangene Jugendsünde
dadurch wieder gut gemacht, daß er ihr frühzeitig den Rücken gewandt hat.
Die abergläubischen Ideen des Volks prallten an dem Meisterstücke der juri-
stischen Vernunft kraftlos ab. Die juristische Behandlung des Eides gewährt
einen schlagenden Beweis, wie sehr das Gebiet des Privatrechts sich gegen
jegliche, ihm an sich fremde Idee abzuschließen wußte. Der promissorische
Eid war juristisch völlig wirkungslos (man erinnere sich dabei des Gegen-
satzes wegen an das Kanonische Recht), der assertorische bloß unter dem Ge-
sichtspunkt des Vergleichs aufgefaßt, einerlei ob wahr oder falsch geschworen.
Contemta jurisjurandi religio satis deum habet ultorem (L. 2 Cod. de
reb. cred. 4. 1).

2. Verhältniß zu den gegebenen Ausgangspunkten. §. 21.
dadurch, daß man einen Stellvertreter für ihn ſchwören ließ,
und der ſtrenge Verfechter des geiſtlichen Rechts nahm daran
keinen Anſtoß, daß ein Volksbeſchluß ausdrücklich beſtimmt
hatte, was übrigens ſich ja auch von ſelbſt verſtand, daß es ſo
angeſehn werden ſollte, als hätte er ſelbſt geſchworen, daß alſo
im Grunde ihm nur der Akt des Schwörens, nicht aber der
Eid ſelbſt abgenommen war. — Der Feſttag ſollte geheiligt
werden, für eine bewußte Uebertretung dieſes Gebots nicht ein-
mal eine Sühne möglich ſein — aber dem praktiſchen Bedürf-
niß ordnete die Religion ſich unter, nothwendige Arbeit durfte
auch an Feſttagen verrichtet werden. 255)

Statt mehr einzelne Beiſpiele anzuführen, will ich lieber
einmal eine ganze Lehre des geiſtlichen Rechts, die für den
Staat gerade von der eingreifendſten Bedeutung war, einer
Prüfung unterwerfen, die Lehre von den Auſpicien und Zei-
chen. 256) Es war ein Bedürfniß des religiöſen Gefühls, für
eine einigermaßen wichtige Handlung die Zuſtimmung der Göt-

255) Hartung a. a. O. I S. 188.
256) Eine ſo große Rolle die Auſpicien, Vorbedeutungen u. ſ. w. auch im
römiſchen Privatleben ſpielten, ſo iſt es doch höchſt charakteriſtiſch, daß wir im
römiſchen Privatrecht auch nicht die geringſte Spur eines Einfluſſes derſelben
nachzuweiſen im Stande ſind. Zwar iſt in einer neuern Schrift der abentheuer-
liche Verſuch gemacht, dem omen einen ſolchen Einfluß zu vindiciren, doch hat
der Verfaſſer ſeine gegen die römiſche Jurisprudenz begangene Jugendſünde
dadurch wieder gut gemacht, daß er ihr frühzeitig den Rücken gewandt hat.
Die abergläubiſchen Ideen des Volks prallten an dem Meiſterſtücke der juri-
ſtiſchen Vernunft kraftlos ab. Die juriſtiſche Behandlung des Eides gewährt
einen ſchlagenden Beweis, wie ſehr das Gebiet des Privatrechts ſich gegen
jegliche, ihm an ſich fremde Idee abzuſchließen wußte. Der promiſſoriſche
Eid war juriſtiſch völlig wirkungslos (man erinnere ſich dabei des Gegen-
ſatzes wegen an das Kanoniſche Recht), der aſſertoriſche bloß unter dem Ge-
ſichtspunkt des Vergleichs aufgefaßt, einerlei ob wahr oder falſch geſchworen.
Contemta jurisjurandi religio satis deum habet ultorem (L. 2 Cod. de
reb. cred. 4. 1).
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[327/0345] 2. Verhältniß zu den gegebenen Ausgangspunkten. §. 21. dadurch, daß man einen Stellvertreter für ihn ſchwören ließ, und der ſtrenge Verfechter des geiſtlichen Rechts nahm daran keinen Anſtoß, daß ein Volksbeſchluß ausdrücklich beſtimmt hatte, was übrigens ſich ja auch von ſelbſt verſtand, daß es ſo angeſehn werden ſollte, als hätte er ſelbſt geſchworen, daß alſo im Grunde ihm nur der Akt des Schwörens, nicht aber der Eid ſelbſt abgenommen war. — Der Feſttag ſollte geheiligt werden, für eine bewußte Uebertretung dieſes Gebots nicht ein- mal eine Sühne möglich ſein — aber dem praktiſchen Bedürf- niß ordnete die Religion ſich unter, nothwendige Arbeit durfte auch an Feſttagen verrichtet werden. 255) Statt mehr einzelne Beiſpiele anzuführen, will ich lieber einmal eine ganze Lehre des geiſtlichen Rechts, die für den Staat gerade von der eingreifendſten Bedeutung war, einer Prüfung unterwerfen, die Lehre von den Auſpicien und Zei- chen. 256) Es war ein Bedürfniß des religiöſen Gefühls, für eine einigermaßen wichtige Handlung die Zuſtimmung der Göt- 255) Hartung a. a. O. I S. 188. 256) Eine ſo große Rolle die Auſpicien, Vorbedeutungen u. ſ. w. auch im römiſchen Privatleben ſpielten, ſo iſt es doch höchſt charakteriſtiſch, daß wir im römiſchen Privatrecht auch nicht die geringſte Spur eines Einfluſſes derſelben nachzuweiſen im Stande ſind. Zwar iſt in einer neuern Schrift der abentheuer- liche Verſuch gemacht, dem omen einen ſolchen Einfluß zu vindiciren, doch hat der Verfaſſer ſeine gegen die römiſche Jurisprudenz begangene Jugendſünde dadurch wieder gut gemacht, daß er ihr frühzeitig den Rücken gewandt hat. Die abergläubiſchen Ideen des Volks prallten an dem Meiſterſtücke der juri- ſtiſchen Vernunft kraftlos ab. Die juriſtiſche Behandlung des Eides gewährt einen ſchlagenden Beweis, wie ſehr das Gebiet des Privatrechts ſich gegen jegliche, ihm an ſich fremde Idee abzuſchließen wußte. Der promiſſoriſche Eid war juriſtiſch völlig wirkungslos (man erinnere ſich dabei des Gegen- ſatzes wegen an das Kanoniſche Recht), der aſſertoriſche bloß unter dem Ge- ſichtspunkt des Vergleichs aufgefaßt, einerlei ob wahr oder falſch geſchworen. Contemta jurisjurandi religio satis deum habet ultorem (L. 2 Cod. de reb. cred. 4. 1).

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/345>, abgerufen am 22.11.2024.