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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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Erstes Buch -- Uebergang zum spezifisch römischen Recht.
er stellte seine Beobachtung ein, sowie er das Gewünschte er-
halten, alle vorhergehenden ungünstigen Zeichen wurden durch
das letzte günstige entkräftet. Um eine Volksversammlung zu
hintertreiben, genügte es sogar, daß an demselben Tage irgend
ein magistratus, selbst ein minor, ein servare de coelo vorge-
nommen und dem Convokanten davon Anzeige gemacht hatte. 263)

Die Himmelszeichen, wenn sie auch dem Suchenden bei be-
harrlicher Fortsetzung seiner Beobachtung endlich zu Theil wer-
den mußten, konnten doch einige Zeit auf sich warten lassen.
Im Felde, wo oft der Augenblick entscheidet, bedurfte man solcher
Zeichen, auf deren sofortiges Eintreten sich zählen ließ, wie
z. B. das tripudium, das Fressen der Hühner. 264) Zu dem
Zweck führte jeder Feldherr Hühner mit sich, die im beständigen
Zustande des Hungers gehalten wurden, und es ist wohl über-
flüssig zu bemerken, wie sehr dies Zeichen in der Gewalt des
Suchenden war. Von den sibyllinischen Büchern läßt sich, wie
es scheint, dasselbe behaupten, sie waren so unbestimmt abge-
faßt, so vieldeutig, daß man alles, was man wollte, aus ih-
nen herauslesen konnte. 265)

Es verdient wohl beachtet zu werden, daß in allen diesen
Fällen subjektiv gar kein Betrug erforderlich war, vielmehr die
Religion die Regeln und Einrichtungen so elastisch gemacht hatte,
daß sie sich auch bei strenger Beobachtung derselben stets den
augenblicklichen Zwecken fügten. Mochte sie es verantworten,
daß sie die Zeichen in die Hände des Suchenden gegeben, letz-

263) Einerlei, ob die Beobachtung eine günstige oder ungünstige ge-
wesen war, der bloße Akt des servare de coelo war ausreichend. S. Ru-
bino a. a. O. S. 74 u. f.
264) Es kam darauf an, daß sie gierig über das Essen herfielen, und
daß beim Fressen etwas von dem vorgesetzten Futter auf die Erde fiel -- für
ausgehungerte Hühner, namentlich wenn man das Futter darnach wählte,
eben keine sehr schwierige Zumuthung!
265) Hartung a. a. O. I S. 135.

Erſtes Buch — Uebergang zum ſpezifiſch römiſchen Recht.
er ſtellte ſeine Beobachtung ein, ſowie er das Gewünſchte er-
halten, alle vorhergehenden ungünſtigen Zeichen wurden durch
das letzte günſtige entkräftet. Um eine Volksverſammlung zu
hintertreiben, genügte es ſogar, daß an demſelben Tage irgend
ein magistratus, ſelbſt ein minor, ein servare de coelo vorge-
nommen und dem Convokanten davon Anzeige gemacht hatte. 263)

Die Himmelszeichen, wenn ſie auch dem Suchenden bei be-
harrlicher Fortſetzung ſeiner Beobachtung endlich zu Theil wer-
den mußten, konnten doch einige Zeit auf ſich warten laſſen.
Im Felde, wo oft der Augenblick entſcheidet, bedurfte man ſolcher
Zeichen, auf deren ſofortiges Eintreten ſich zählen ließ, wie
z. B. das tripudium, das Freſſen der Hühner. 264) Zu dem
Zweck führte jeder Feldherr Hühner mit ſich, die im beſtändigen
Zuſtande des Hungers gehalten wurden, und es iſt wohl über-
flüſſig zu bemerken, wie ſehr dies Zeichen in der Gewalt des
Suchenden war. Von den ſibylliniſchen Büchern läßt ſich, wie
es ſcheint, daſſelbe behaupten, ſie waren ſo unbeſtimmt abge-
faßt, ſo vieldeutig, daß man alles, was man wollte, aus ih-
nen herausleſen konnte. 265)

Es verdient wohl beachtet zu werden, daß in allen dieſen
Fällen ſubjektiv gar kein Betrug erforderlich war, vielmehr die
Religion die Regeln und Einrichtungen ſo elaſtiſch gemacht hatte,
daß ſie ſich auch bei ſtrenger Beobachtung derſelben ſtets den
augenblicklichen Zwecken fügten. Mochte ſie es verantworten,
daß ſie die Zeichen in die Hände des Suchenden gegeben, letz-

263) Einerlei, ob die Beobachtung eine günſtige oder ungünſtige ge-
weſen war, der bloße Akt des servare de coelo war ausreichend. S. Ru-
bino a. a. O. S. 74 u. f.
264) Es kam darauf an, daß ſie gierig über das Eſſen herfielen, und
daß beim Freſſen etwas von dem vorgeſetzten Futter auf die Erde fiel — für
ausgehungerte Hühner, namentlich wenn man das Futter darnach wählte,
eben keine ſehr ſchwierige Zumuthung!
265) Hartung a. a. O. I S. 135.
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[330/0348] Erſtes Buch — Uebergang zum ſpezifiſch römiſchen Recht. er ſtellte ſeine Beobachtung ein, ſowie er das Gewünſchte er- halten, alle vorhergehenden ungünſtigen Zeichen wurden durch das letzte günſtige entkräftet. Um eine Volksverſammlung zu hintertreiben, genügte es ſogar, daß an demſelben Tage irgend ein magistratus, ſelbſt ein minor, ein servare de coelo vorge- nommen und dem Convokanten davon Anzeige gemacht hatte. 263) Die Himmelszeichen, wenn ſie auch dem Suchenden bei be- harrlicher Fortſetzung ſeiner Beobachtung endlich zu Theil wer- den mußten, konnten doch einige Zeit auf ſich warten laſſen. Im Felde, wo oft der Augenblick entſcheidet, bedurfte man ſolcher Zeichen, auf deren ſofortiges Eintreten ſich zählen ließ, wie z. B. das tripudium, das Freſſen der Hühner. 264) Zu dem Zweck führte jeder Feldherr Hühner mit ſich, die im beſtändigen Zuſtande des Hungers gehalten wurden, und es iſt wohl über- flüſſig zu bemerken, wie ſehr dies Zeichen in der Gewalt des Suchenden war. Von den ſibylliniſchen Büchern läßt ſich, wie es ſcheint, daſſelbe behaupten, ſie waren ſo unbeſtimmt abge- faßt, ſo vieldeutig, daß man alles, was man wollte, aus ih- nen herausleſen konnte. 265) Es verdient wohl beachtet zu werden, daß in allen dieſen Fällen ſubjektiv gar kein Betrug erforderlich war, vielmehr die Religion die Regeln und Einrichtungen ſo elaſtiſch gemacht hatte, daß ſie ſich auch bei ſtrenger Beobachtung derſelben ſtets den augenblicklichen Zwecken fügten. Mochte ſie es verantworten, daß ſie die Zeichen in die Hände des Suchenden gegeben, letz- 263) Einerlei, ob die Beobachtung eine günſtige oder ungünſtige ge- weſen war, der bloße Akt des servare de coelo war ausreichend. S. Ru- bino a. a. O. S. 74 u. f. 264) Es kam darauf an, daß ſie gierig über das Eſſen herfielen, und daß beim Freſſen etwas von dem vorgeſetzten Futter auf die Erde fiel — für ausgehungerte Hühner, namentlich wenn man das Futter darnach wählte, eben keine ſehr ſchwierige Zumuthung! 265) Hartung a. a. O. I S. 135.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/348>, abgerufen am 22.11.2024.