Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.Productivität der dogmatischen Logik. §. 3. sätze zur Erkenntniß, und ihr Resultat besteht darin, daß dieWissenschaft statt der endlosen Menge der verschiedenartigsten Rechtssätze eine übersichtliche Zahl einfacher Körper gewinnt, aus denen sie auf Verlangen die einzelnen Rechtssätze wieder zusammensetzen kann. 13) Der Nutzen beschränkt sich aber nicht bloß auf diese Vereinfachung, die gewonnenen Begriffe sind nicht bloße Auflösungen der gegebenen Rechtssätze, aus denen immer nur letztere selbst sich wieder herstellen ließen; sondern ein noch höherer Vortheil liegt in der hierdurch bewerkstelligten Möglichkeit einer Vermehrung des Rechts aus sich selbst, eines Wachsthums von innen heraus. Durch Combination der verschiedenen Elemente kann die Wissenschaft neue Begriffe und Rechtssätze bilden; die Begriffe sind productiv, sie paaren sich und zeugen neue. Die Rechtssätze als solche haben nicht diese befruchtende Kraft, sie sind und bleiben nur sie selbst, bis sie auf ihre einfachen Bestandtheile reducirt werden und dadurch sowohl in aufsteigender als absteigender Linie zu andern in Verwand- schaftsverhältnisse treten d. h. ihre Abstammung von andern Begriffen offenbaren und selbst ihrerseits wieder andere aus sich hervorgehen lassen. 14) Bisher haben wir den Einfluß betrachtet, den diese Analyse 13) Es kann freilich auch völlig unauflösbare Bestimmungen geben, rein positive Vorschriften, die jeder Bemühung der Wissenschaft spotten, und die sich eben nur als Rechtssätze an der betreffenden Stelle des Systems auffüh- ren lassen. 14) Um ein Beispiel zu geben, so nehmen wir an, ein neuerer Gesetzgeber
habe das ganze Pfandrecht neu regulirt. Die Thätigkeit der Wissenschaft wird darin bestehn, daß sie das Pfandrecht zuerst in seine beiden Elemente auflöst: das dingliche (das Recht an einer fremden Sache) und obligatorische (die persönlichen Forderungs-Verhältnisse zwischen Pfandgläubiger und Pfand- schuldner). Sodann untersucht sie weiter, welche Modifikation der Begriff eines Rechts an der Sache und der Begriff der Forderung in dieser Combina- tion im Pfandrecht erleidet; diese Modifikation ist dann das Spezifische des Pfandrechts, das allein einer nähern Verarbeitung bedarf, und in dem das productive Prinzip des Pfandrechts liegt. Productivität der dogmatiſchen Logik. §. 3. ſätze zur Erkenntniß, und ihr Reſultat beſteht darin, daß dieWiſſenſchaft ſtatt der endloſen Menge der verſchiedenartigſten Rechtsſätze eine überſichtliche Zahl einfacher Körper gewinnt, aus denen ſie auf Verlangen die einzelnen Rechtsſätze wieder zuſammenſetzen kann. 13) Der Nutzen beſchränkt ſich aber nicht bloß auf dieſe Vereinfachung, die gewonnenen Begriffe ſind nicht bloße Auflöſungen der gegebenen Rechtsſätze, aus denen immer nur letztere ſelbſt ſich wieder herſtellen ließen; ſondern ein noch höherer Vortheil liegt in der hierdurch bewerkſtelligten Möglichkeit einer Vermehrung des Rechts aus ſich ſelbſt, eines Wachsthums von innen heraus. Durch Combination der verſchiedenen Elemente kann die Wiſſenſchaft neue Begriffe und Rechtsſätze bilden; die Begriffe ſind productiv, ſie paaren ſich und zeugen neue. Die Rechtsſätze als ſolche haben nicht dieſe befruchtende Kraft, ſie ſind und bleiben nur ſie ſelbſt, bis ſie auf ihre einfachen Beſtandtheile reducirt werden und dadurch ſowohl in aufſteigender als abſteigender Linie zu andern in Verwand- ſchaftsverhältniſſe treten d. h. ihre Abſtammung von andern Begriffen offenbaren und ſelbſt ihrerſeits wieder andere aus ſich hervorgehen laſſen. 14) Bisher haben wir den Einfluß betrachtet, den dieſe Analyſe 13) Es kann freilich auch völlig unauflösbare Beſtimmungen geben, rein poſitive Vorſchriften, die jeder Bemühung der Wiſſenſchaft ſpotten, und die ſich eben nur als Rechtsſätze an der betreffenden Stelle des Syſtems auffüh- ren laſſen. 14) Um ein Beiſpiel zu geben, ſo nehmen wir an, ein neuerer Geſetzgeber
habe das ganze Pfandrecht neu regulirt. Die Thätigkeit der Wiſſenſchaft wird darin beſtehn, daß ſie das Pfandrecht zuerſt in ſeine beiden Elemente auflöſt: das dingliche (das Recht an einer fremden Sache) und obligatoriſche (die perſönlichen Forderungs-Verhältniſſe zwiſchen Pfandgläubiger und Pfand- ſchuldner). Sodann unterſucht ſie weiter, welche Modifikation der Begriff eines Rechts an der Sache und der Begriff der Forderung in dieſer Combina- tion im Pfandrecht erleidet; dieſe Modifikation iſt dann das Spezifiſche des Pfandrechts, das allein einer nähern Verarbeitung bedarf, und in dem das productive Prinzip des Pfandrechts liegt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0047" n="29"/><fw place="top" type="header">Productivität der dogmatiſchen Logik. §. 3.</fw><lb/> ſätze zur Erkenntniß, und ihr Reſultat beſteht darin, daß die<lb/> Wiſſenſchaft ſtatt der endloſen Menge der verſchiedenartigſten<lb/> Rechtsſätze eine überſichtliche Zahl einfacher Körper gewinnt,<lb/> aus denen ſie auf Verlangen die einzelnen Rechtsſätze wieder<lb/> zuſammenſetzen kann. <note place="foot" n="13)">Es kann freilich auch völlig unauflösbare Beſtimmungen geben, rein<lb/> poſitive Vorſchriften, die jeder Bemühung der Wiſſenſchaft ſpotten, und die<lb/> ſich eben nur als Rechtsſätze an der betreffenden Stelle des Syſtems auffüh-<lb/> ren laſſen.</note> Der Nutzen beſchränkt ſich aber nicht<lb/> bloß auf dieſe <hi rendition="#g">Vereinfachung</hi>, die gewonnenen Begriffe ſind<lb/> nicht bloße Auflöſungen der gegebenen Rechtsſätze, aus denen<lb/> immer nur letztere ſelbſt ſich wieder herſtellen ließen; ſondern<lb/> ein noch höherer Vortheil liegt in der hierdurch bewerkſtelligten<lb/> Möglichkeit einer <hi rendition="#g">Vermehrung</hi> des Rechts aus ſich ſelbſt,<lb/> eines Wachsthums von innen heraus. Durch Combination der<lb/> verſchiedenen Elemente kann die Wiſſenſchaft <hi rendition="#g">neue</hi> Begriffe und<lb/> Rechtsſätze bilden; die Begriffe ſind productiv, ſie paaren ſich<lb/> und zeugen neue. Die Rechtsſätze als ſolche haben nicht dieſe<lb/> befruchtende Kraft, ſie ſind und bleiben nur ſie ſelbſt, bis ſie auf<lb/> ihre einfachen Beſtandtheile reducirt werden und dadurch ſowohl<lb/> in aufſteigender als abſteigender Linie zu andern in Verwand-<lb/> ſchaftsverhältniſſe treten d. h. ihre Abſtammung von andern<lb/> Begriffen offenbaren und ſelbſt ihrerſeits wieder andere aus ſich<lb/> hervorgehen laſſen. <note place="foot" n="14)">Um ein Beiſpiel zu geben, ſo nehmen wir an, ein neuerer Geſetzgeber<lb/> habe das ganze Pfandrecht neu regulirt. Die Thätigkeit der Wiſſenſchaft wird<lb/> darin beſtehn, daß ſie das Pfandrecht zuerſt in ſeine beiden Elemente auflöſt:<lb/> das dingliche (das Recht an einer fremden Sache) und obligatoriſche (die<lb/> perſönlichen Forderungs-Verhältniſſe zwiſchen Pfandgläubiger und Pfand-<lb/> ſchuldner). Sodann unterſucht ſie weiter, welche Modifikation der Begriff<lb/> eines Rechts an der Sache und der Begriff der Forderung in dieſer Combina-<lb/> tion im Pfandrecht erleidet; dieſe Modifikation iſt dann das Spezifiſche des<lb/> Pfandrechts, das allein einer nähern Verarbeitung bedarf, und in dem das<lb/> productive Prinzip des Pfandrechts liegt.</note></p><lb/> <p>Bisher haben wir den Einfluß betrachtet, den dieſe Analyſe<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [29/0047]
Productivität der dogmatiſchen Logik. §. 3.
ſätze zur Erkenntniß, und ihr Reſultat beſteht darin, daß die
Wiſſenſchaft ſtatt der endloſen Menge der verſchiedenartigſten
Rechtsſätze eine überſichtliche Zahl einfacher Körper gewinnt,
aus denen ſie auf Verlangen die einzelnen Rechtsſätze wieder
zuſammenſetzen kann. 13) Der Nutzen beſchränkt ſich aber nicht
bloß auf dieſe Vereinfachung, die gewonnenen Begriffe ſind
nicht bloße Auflöſungen der gegebenen Rechtsſätze, aus denen
immer nur letztere ſelbſt ſich wieder herſtellen ließen; ſondern
ein noch höherer Vortheil liegt in der hierdurch bewerkſtelligten
Möglichkeit einer Vermehrung des Rechts aus ſich ſelbſt,
eines Wachsthums von innen heraus. Durch Combination der
verſchiedenen Elemente kann die Wiſſenſchaft neue Begriffe und
Rechtsſätze bilden; die Begriffe ſind productiv, ſie paaren ſich
und zeugen neue. Die Rechtsſätze als ſolche haben nicht dieſe
befruchtende Kraft, ſie ſind und bleiben nur ſie ſelbſt, bis ſie auf
ihre einfachen Beſtandtheile reducirt werden und dadurch ſowohl
in aufſteigender als abſteigender Linie zu andern in Verwand-
ſchaftsverhältniſſe treten d. h. ihre Abſtammung von andern
Begriffen offenbaren und ſelbſt ihrerſeits wieder andere aus ſich
hervorgehen laſſen. 14)
Bisher haben wir den Einfluß betrachtet, den dieſe Analyſe
13) Es kann freilich auch völlig unauflösbare Beſtimmungen geben, rein
poſitive Vorſchriften, die jeder Bemühung der Wiſſenſchaft ſpotten, und die
ſich eben nur als Rechtsſätze an der betreffenden Stelle des Syſtems auffüh-
ren laſſen.
14) Um ein Beiſpiel zu geben, ſo nehmen wir an, ein neuerer Geſetzgeber
habe das ganze Pfandrecht neu regulirt. Die Thätigkeit der Wiſſenſchaft wird
darin beſtehn, daß ſie das Pfandrecht zuerſt in ſeine beiden Elemente auflöſt:
das dingliche (das Recht an einer fremden Sache) und obligatoriſche (die
perſönlichen Forderungs-Verhältniſſe zwiſchen Pfandgläubiger und Pfand-
ſchuldner). Sodann unterſucht ſie weiter, welche Modifikation der Begriff
eines Rechts an der Sache und der Begriff der Forderung in dieſer Combina-
tion im Pfandrecht erleidet; dieſe Modifikation iſt dann das Spezifiſche des
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