Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Einleitung -- die Methode.
schwachen Erfolgen, dieses Ziel, den sachlichen Zusammenhang
der Thatsachen aufzudecken. Von dem ersten rohen Versuch, diese
Verbindung in Form eines äußerlichen Causalnexus herzustellen,
bis zu dem verwegenen Uebermuth, die ganze geschichtliche Bewe-
gung dialektisch zu construiren, streckt sich ein langer Weg, aber
allen, die denselben wandeln, ist wenigstens die Idee gemeinsam,
daß die Geschichte in einem nicht bloß durch das Moment der
Zeit bewerkstelligten Aneinanderreihen sächlich geschiedener Er-
eignisse besteht, sondern daß eine innere Verbindung unter ihnen
Statt findet. Diese Verbindung ist aber nicht die einer Kette, son-
dern die Einheit, Planmäßigkeit eines vollendeten Kunstwerks.
Die Gedanken, die sich in der Geschichte entfalten, und in denen
die bunte Erscheinung ihre Einheit findet, fügen sich selbst wie-
der zu einem harmonischen Ganzen zusammen, nicht freilich als
ein sich aus sich selbst bewegendes perpetuum Mobile der Dia-
lektik, sondern als eine freie That Gottes.

Hat nun auch das Recht eine Geschichte, oder ist es ein
von Gott verlassenes Spiel der Willkühr, ein Auf- und Abwo-
gen von Veränderungen? Man möchte zweifelhaft werden, wenn
man seinen Blick auf so manche geschichtliche Periode wendet, in
denen das Recht den Launen eines Individuums Preis gege-
ben zu sein und regellos wie Wind und Wetter sich zu verändern
scheint, oder auf Zeiten der politischen Krise, in denen das Recht
der Leidenschaft der Partheien dient, eine Waffe wird in der
Hand des Siegers und mit den Partheien wechselt. Und dennoch
trotz aller menschlichen Willkühr hat das Recht eine Geschichte,
und die lenkende Hand Gottes ist in ihr, nur tritt dieselbe nicht
immer so erkennbar hervor, wie in der Natur. Man lehrt uns,
Gott zu erkennen in der Blume und dem Baume, man weist
uns auf die Gestirne, um in der Unermeßlichkeit ihrer Zahl und
in den Gesetzen ihrer Bewegung das erhabenste Beispiel göttli-
cher Allmacht zu finden. Aber so hoch der Geist steht über der
Materie, so hoch steht auch die Ordnung und Majestät der gei-
stigen Welt über der der substantiellen. Wunderbarer als die

Einleitung — die Methode.
ſchwachen Erfolgen, dieſes Ziel, den ſachlichen Zuſammenhang
der Thatſachen aufzudecken. Von dem erſten rohen Verſuch, dieſe
Verbindung in Form eines äußerlichen Cauſalnexus herzuſtellen,
bis zu dem verwegenen Uebermuth, die ganze geſchichtliche Bewe-
gung dialektiſch zu conſtruiren, ſtreckt ſich ein langer Weg, aber
allen, die denſelben wandeln, iſt wenigſtens die Idee gemeinſam,
daß die Geſchichte in einem nicht bloß durch das Moment der
Zeit bewerkſtelligten Aneinanderreihen ſächlich geſchiedener Er-
eigniſſe beſteht, ſondern daß eine innere Verbindung unter ihnen
Statt findet. Dieſe Verbindung iſt aber nicht die einer Kette, ſon-
dern die Einheit, Planmäßigkeit eines vollendeten Kunſtwerks.
Die Gedanken, die ſich in der Geſchichte entfalten, und in denen
die bunte Erſcheinung ihre Einheit findet, fügen ſich ſelbſt wie-
der zu einem harmoniſchen Ganzen zuſammen, nicht freilich als
ein ſich aus ſich ſelbſt bewegendes perpetuum Mobile der Dia-
lektik, ſondern als eine freie That Gottes.

Hat nun auch das Recht eine Geſchichte, oder iſt es ein
von Gott verlaſſenes Spiel der Willkühr, ein Auf- und Abwo-
gen von Veränderungen? Man möchte zweifelhaft werden, wenn
man ſeinen Blick auf ſo manche geſchichtliche Periode wendet, in
denen das Recht den Launen eines Individuums Preis gege-
ben zu ſein und regellos wie Wind und Wetter ſich zu verändern
ſcheint, oder auf Zeiten der politiſchen Kriſe, in denen das Recht
der Leidenſchaft der Partheien dient, eine Waffe wird in der
Hand des Siegers und mit den Partheien wechſelt. Und dennoch
trotz aller menſchlichen Willkühr hat das Recht eine Geſchichte,
und die lenkende Hand Gottes iſt in ihr, nur tritt dieſelbe nicht
immer ſo erkennbar hervor, wie in der Natur. Man lehrt uns,
Gott zu erkennen in der Blume und dem Baume, man weiſt
uns auf die Geſtirne, um in der Unermeßlichkeit ihrer Zahl und
in den Geſetzen ihrer Bewegung das erhabenſte Beiſpiel göttli-
cher Allmacht zu finden. Aber ſo hoch der Geiſt ſteht über der
Materie, ſo hoch ſteht auch die Ordnung und Majeſtät der gei-
ſtigen Welt über der der ſubſtantiellen. Wunderbarer als die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0072" n="54"/><fw place="top" type="header">Einleitung &#x2014; die Methode.</fw><lb/>
&#x017F;chwachen Erfolgen, die&#x017F;es Ziel, den &#x017F;achlichen Zu&#x017F;ammenhang<lb/>
der That&#x017F;achen aufzudecken. Von dem er&#x017F;ten rohen Ver&#x017F;uch, die&#x017F;e<lb/>
Verbindung in Form eines äußerlichen Cau&#x017F;alnexus herzu&#x017F;tellen,<lb/>
bis zu dem verwegenen Uebermuth, die ganze ge&#x017F;chichtliche Bewe-<lb/>
gung dialekti&#x017F;ch zu con&#x017F;truiren, &#x017F;treckt &#x017F;ich ein langer Weg, aber<lb/>
allen, die den&#x017F;elben wandeln, i&#x017F;t wenig&#x017F;tens <hi rendition="#g">die</hi> Idee gemein&#x017F;am,<lb/>
daß die Ge&#x017F;chichte in einem nicht bloß durch das Moment der<lb/><hi rendition="#g">Zeit</hi> bewerk&#x017F;telligten Aneinanderreihen &#x017F;ächlich ge&#x017F;chiedener Er-<lb/>
eigni&#x017F;&#x017F;e be&#x017F;teht, &#x017F;ondern daß eine <hi rendition="#g">innere</hi> Verbindung unter ihnen<lb/>
Statt findet. Die&#x017F;e Verbindung i&#x017F;t aber nicht die einer <hi rendition="#g">Kette</hi>, &#x017F;on-<lb/>
dern die Einheit, Planmäßigkeit eines vollendeten Kun&#x017F;twerks.<lb/>
Die Gedanken, die &#x017F;ich in der Ge&#x017F;chichte entfalten, und in denen<lb/>
die bunte Er&#x017F;cheinung ihre Einheit findet, fügen &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t wie-<lb/>
der zu einem harmoni&#x017F;chen Ganzen zu&#x017F;ammen, nicht freilich als<lb/>
ein &#x017F;ich aus &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t bewegendes perpetuum Mobile der Dia-<lb/>
lektik, &#x017F;ondern als eine freie That Gottes.</p><lb/>
            <p>Hat nun auch das Recht eine Ge&#x017F;chichte, oder i&#x017F;t es ein<lb/>
von Gott verla&#x017F;&#x017F;enes Spiel der Willkühr, ein Auf- und Abwo-<lb/>
gen von Veränderungen? Man möchte zweifelhaft werden, wenn<lb/>
man &#x017F;einen Blick auf &#x017F;o manche ge&#x017F;chichtliche Periode wendet, in<lb/>
denen das Recht den Launen <hi rendition="#g">eines</hi> Individuums Preis gege-<lb/>
ben zu &#x017F;ein und regellos wie Wind und Wetter &#x017F;ich zu verändern<lb/>
&#x017F;cheint, oder auf Zeiten der politi&#x017F;chen Kri&#x017F;e, in denen das Recht<lb/>
der Leiden&#x017F;chaft der Partheien dient, eine Waffe wird in der<lb/>
Hand des Siegers und mit den Partheien wech&#x017F;elt. Und dennoch<lb/>
trotz aller men&#x017F;chlichen Willkühr hat das Recht eine Ge&#x017F;chichte,<lb/>
und die lenkende Hand Gottes i&#x017F;t in ihr, nur tritt die&#x017F;elbe nicht<lb/>
immer &#x017F;o erkennbar hervor, wie in der Natur. Man lehrt uns,<lb/>
Gott zu erkennen in der Blume und dem Baume, man wei&#x017F;t<lb/>
uns auf die Ge&#x017F;tirne, um in der Unermeßlichkeit ihrer Zahl und<lb/>
in den Ge&#x017F;etzen ihrer Bewegung das erhaben&#x017F;te Bei&#x017F;piel göttli-<lb/>
cher Allmacht zu finden. Aber &#x017F;o hoch der Gei&#x017F;t &#x017F;teht über der<lb/>
Materie, &#x017F;o hoch &#x017F;teht auch die Ordnung und Maje&#x017F;tät der gei-<lb/>
&#x017F;tigen Welt über der der &#x017F;ub&#x017F;tantiellen. Wunderbarer als die<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[54/0072] Einleitung — die Methode. ſchwachen Erfolgen, dieſes Ziel, den ſachlichen Zuſammenhang der Thatſachen aufzudecken. Von dem erſten rohen Verſuch, dieſe Verbindung in Form eines äußerlichen Cauſalnexus herzuſtellen, bis zu dem verwegenen Uebermuth, die ganze geſchichtliche Bewe- gung dialektiſch zu conſtruiren, ſtreckt ſich ein langer Weg, aber allen, die denſelben wandeln, iſt wenigſtens die Idee gemeinſam, daß die Geſchichte in einem nicht bloß durch das Moment der Zeit bewerkſtelligten Aneinanderreihen ſächlich geſchiedener Er- eigniſſe beſteht, ſondern daß eine innere Verbindung unter ihnen Statt findet. Dieſe Verbindung iſt aber nicht die einer Kette, ſon- dern die Einheit, Planmäßigkeit eines vollendeten Kunſtwerks. Die Gedanken, die ſich in der Geſchichte entfalten, und in denen die bunte Erſcheinung ihre Einheit findet, fügen ſich ſelbſt wie- der zu einem harmoniſchen Ganzen zuſammen, nicht freilich als ein ſich aus ſich ſelbſt bewegendes perpetuum Mobile der Dia- lektik, ſondern als eine freie That Gottes. Hat nun auch das Recht eine Geſchichte, oder iſt es ein von Gott verlaſſenes Spiel der Willkühr, ein Auf- und Abwo- gen von Veränderungen? Man möchte zweifelhaft werden, wenn man ſeinen Blick auf ſo manche geſchichtliche Periode wendet, in denen das Recht den Launen eines Individuums Preis gege- ben zu ſein und regellos wie Wind und Wetter ſich zu verändern ſcheint, oder auf Zeiten der politiſchen Kriſe, in denen das Recht der Leidenſchaft der Partheien dient, eine Waffe wird in der Hand des Siegers und mit den Partheien wechſelt. Und dennoch trotz aller menſchlichen Willkühr hat das Recht eine Geſchichte, und die lenkende Hand Gottes iſt in ihr, nur tritt dieſelbe nicht immer ſo erkennbar hervor, wie in der Natur. Man lehrt uns, Gott zu erkennen in der Blume und dem Baume, man weiſt uns auf die Geſtirne, um in der Unermeßlichkeit ihrer Zahl und in den Geſetzen ihrer Bewegung das erhabenſte Beiſpiel göttli- cher Allmacht zu finden. Aber ſo hoch der Geiſt ſteht über der Materie, ſo hoch ſteht auch die Ordnung und Majeſtät der gei- ſtigen Welt über der der ſubſtantiellen. Wunderbarer als die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/72
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/72>, abgerufen am 04.12.2024.