Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Einleitung -- die Methode.
griffe sind hierbei möglich, allein die Methode selbst dürfen wir
uns im Interesse der Wissenschaft dadurch nicht verkümmern
lassen. Sie beruht, mit einem Worte bezeichnet, auf der At-
tractionskraft des Systems
, auf dem Gedanken, daß,
was in dem System der einen Periode als Abnormität, Unbe-
greiflichkeit, in dem einer andern aber als harmonischer Be-
standtheil desselben erscheinen würde, diesem letzterem zuzuweisen
ist, weil die Geschichte nicht planlos und launenhaft, sondern
zusammenhängend und gedankenmäßig zu schaffen pflegt.

Die bisherige Ausführung gewährt uns für die Behandlung
des Momentes der Zeit in der Rechtsgeschichte folgendes Resul-
tat. Es ist eine Verkehrtheit, Zeiträume zu machen und damit
die Zeit zum fundamentum dividendi zu erheben, es ist eine
Verkehrtheit in der Rechtsgeschichte mit Jahreszahlen zu operi-
ren, denn abgesehen davon, daß sich dies doch nicht immer durch-
führen läßt, so faßt man dabei nur das rein Zufällige in der
Zeit auf. Die richtige Behandlungsweise besteht darin, daß
man das chronologische Moment dem systematischen unterord-
net, daß man die Schichten des Rechts als das wesentliche
seiner Geschichte betrachtet. Hat man sich ihrer bemächtigt, so
läßt sich das chronologische Material leicht verarbeiten und sich,
sobald man nur mit einem weiten Zeitmaß operirt, in eine so
innerliche Beziehung zum Gegenstande bringen, daß die Zeit
nicht mehr als äußerer Rahmen der historischen Entwicklung,
sondern als eine Incarnation derselben erscheint, und mithin
aus ihr die Lücken der äußeren Chronologie ergänzt werden
können.

Von dieser Auffassung ausgehend werden wir bei unserer
Darstellung dem Moment der Zeit nur eine geringe Beachtung
schenken, eine um so geringere, als unsere Aufgabe nicht darin
besteht, dem Leser das ganze Material der römischen Rechtsge-
schichte vorzuführen, sondern die leitenden Gedanken dieser Ge-
schichte nachzuweisen.


Einleitung — die Methode.
griffe ſind hierbei möglich, allein die Methode ſelbſt dürfen wir
uns im Intereſſe der Wiſſenſchaft dadurch nicht verkümmern
laſſen. Sie beruht, mit einem Worte bezeichnet, auf der At-
tractionskraft des Syſtems
, auf dem Gedanken, daß,
was in dem Syſtem der einen Periode als Abnormität, Unbe-
greiflichkeit, in dem einer andern aber als harmoniſcher Be-
ſtandtheil deſſelben erſcheinen würde, dieſem letzterem zuzuweiſen
iſt, weil die Geſchichte nicht planlos und launenhaft, ſondern
zuſammenhängend und gedankenmäßig zu ſchaffen pflegt.

Die bisherige Ausführung gewährt uns für die Behandlung
des Momentes der Zeit in der Rechtsgeſchichte folgendes Reſul-
tat. Es iſt eine Verkehrtheit, Zeiträume zu machen und damit
die Zeit zum fundamentum dividendi zu erheben, es iſt eine
Verkehrtheit in der Rechtsgeſchichte mit Jahreszahlen zu operi-
ren, denn abgeſehen davon, daß ſich dies doch nicht immer durch-
führen läßt, ſo faßt man dabei nur das rein Zufällige in der
Zeit auf. Die richtige Behandlungsweiſe beſteht darin, daß
man das chronologiſche Moment dem ſyſtematiſchen unterord-
net, daß man die Schichten des Rechts als das weſentliche
ſeiner Geſchichte betrachtet. Hat man ſich ihrer bemächtigt, ſo
läßt ſich das chronologiſche Material leicht verarbeiten und ſich,
ſobald man nur mit einem weiten Zeitmaß operirt, in eine ſo
innerliche Beziehung zum Gegenſtande bringen, daß die Zeit
nicht mehr als äußerer Rahmen der hiſtoriſchen Entwicklung,
ſondern als eine Incarnation derſelben erſcheint, und mithin
aus ihr die Lücken der äußeren Chronologie ergänzt werden
können.

Von dieſer Auffaſſung ausgehend werden wir bei unſerer
Darſtellung dem Moment der Zeit nur eine geringe Beachtung
ſchenken, eine um ſo geringere, als unſere Aufgabe nicht darin
beſteht, dem Leſer das ganze Material der römiſchen Rechtsge-
ſchichte vorzuführen, ſondern die leitenden Gedanken dieſer Ge-
ſchichte nachzuweiſen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0094" n="76"/><fw place="top" type="header">Einleitung &#x2014; die Methode.</fw><lb/>
griffe &#x017F;ind hierbei möglich, allein die Methode &#x017F;elb&#x017F;t dürfen wir<lb/>
uns im Intere&#x017F;&#x017F;e der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft dadurch nicht verkümmern<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en. Sie beruht, mit einem Worte bezeichnet, auf der <hi rendition="#g">At-<lb/>
tractionskraft des Sy&#x017F;tems</hi>, auf dem Gedanken, daß,<lb/>
was in dem Sy&#x017F;tem der einen Periode als Abnormität, Unbe-<lb/>
greiflichkeit, in dem einer andern aber als harmoni&#x017F;cher Be-<lb/>
&#x017F;tandtheil de&#x017F;&#x017F;elben er&#x017F;cheinen würde, die&#x017F;em letzterem zuzuwei&#x017F;en<lb/>
i&#x017F;t, weil die Ge&#x017F;chichte nicht planlos und launenhaft, &#x017F;ondern<lb/>
zu&#x017F;ammenhängend und gedankenmäßig zu &#x017F;chaffen pflegt.</p><lb/>
              <p>Die bisherige Ausführung gewährt uns für die Behandlung<lb/>
des Momentes der Zeit in der Rechtsge&#x017F;chichte folgendes Re&#x017F;ul-<lb/>
tat. Es i&#x017F;t eine Verkehrtheit, Zeiträume zu machen und damit<lb/>
die Zeit zum <hi rendition="#aq">fundamentum dividendi</hi> zu erheben, es i&#x017F;t eine<lb/>
Verkehrtheit in der Rechtsge&#x017F;chichte mit Jahreszahlen zu operi-<lb/>
ren, denn abge&#x017F;ehen davon, daß &#x017F;ich dies doch nicht immer durch-<lb/>
führen läßt, &#x017F;o faßt man dabei nur das rein Zufällige in der<lb/>
Zeit auf. Die richtige Behandlungswei&#x017F;e be&#x017F;teht darin, daß<lb/>
man das chronologi&#x017F;che Moment dem &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;chen unterord-<lb/>
net, daß man die <hi rendition="#g">Schichten</hi> des Rechts als das we&#x017F;entliche<lb/>
&#x017F;einer Ge&#x017F;chichte betrachtet. Hat man &#x017F;ich ihrer bemächtigt, &#x017F;o<lb/>
läßt &#x017F;ich das chronologi&#x017F;che Material leicht verarbeiten und &#x017F;ich,<lb/>
&#x017F;obald man nur mit einem weiten Zeitmaß operirt, in eine &#x017F;o<lb/>
innerliche Beziehung zum Gegen&#x017F;tande bringen, daß die Zeit<lb/>
nicht mehr als äußerer Rahmen der hi&#x017F;tori&#x017F;chen Entwicklung,<lb/>
&#x017F;ondern als eine Incarnation der&#x017F;elben er&#x017F;cheint, und mithin<lb/>
aus ihr die Lücken der äußeren Chronologie ergänzt werden<lb/>
können.</p><lb/>
              <p>Von die&#x017F;er Auffa&#x017F;&#x017F;ung ausgehend werden wir bei un&#x017F;erer<lb/>
Dar&#x017F;tellung dem Moment der Zeit nur eine geringe Beachtung<lb/>
&#x017F;chenken, eine um &#x017F;o geringere, als un&#x017F;ere Aufgabe nicht darin<lb/>
be&#x017F;teht, dem Le&#x017F;er das ganze Material der römi&#x017F;chen Rechtsge-<lb/>
&#x017F;chichte vorzuführen, &#x017F;ondern die leitenden Gedanken die&#x017F;er Ge-<lb/>
&#x017F;chichte nachzuwei&#x017F;en.</p>
            </div>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[76/0094] Einleitung — die Methode. griffe ſind hierbei möglich, allein die Methode ſelbſt dürfen wir uns im Intereſſe der Wiſſenſchaft dadurch nicht verkümmern laſſen. Sie beruht, mit einem Worte bezeichnet, auf der At- tractionskraft des Syſtems, auf dem Gedanken, daß, was in dem Syſtem der einen Periode als Abnormität, Unbe- greiflichkeit, in dem einer andern aber als harmoniſcher Be- ſtandtheil deſſelben erſcheinen würde, dieſem letzterem zuzuweiſen iſt, weil die Geſchichte nicht planlos und launenhaft, ſondern zuſammenhängend und gedankenmäßig zu ſchaffen pflegt. Die bisherige Ausführung gewährt uns für die Behandlung des Momentes der Zeit in der Rechtsgeſchichte folgendes Reſul- tat. Es iſt eine Verkehrtheit, Zeiträume zu machen und damit die Zeit zum fundamentum dividendi zu erheben, es iſt eine Verkehrtheit in der Rechtsgeſchichte mit Jahreszahlen zu operi- ren, denn abgeſehen davon, daß ſich dies doch nicht immer durch- führen läßt, ſo faßt man dabei nur das rein Zufällige in der Zeit auf. Die richtige Behandlungsweiſe beſteht darin, daß man das chronologiſche Moment dem ſyſtematiſchen unterord- net, daß man die Schichten des Rechts als das weſentliche ſeiner Geſchichte betrachtet. Hat man ſich ihrer bemächtigt, ſo läßt ſich das chronologiſche Material leicht verarbeiten und ſich, ſobald man nur mit einem weiten Zeitmaß operirt, in eine ſo innerliche Beziehung zum Gegenſtande bringen, daß die Zeit nicht mehr als äußerer Rahmen der hiſtoriſchen Entwicklung, ſondern als eine Incarnation derſelben erſcheint, und mithin aus ihr die Lücken der äußeren Chronologie ergänzt werden können. Von dieſer Auffaſſung ausgehend werden wir bei unſerer Darſtellung dem Moment der Zeit nur eine geringe Beachtung ſchenken, eine um ſo geringere, als unſere Aufgabe nicht darin beſteht, dem Leſer das ganze Material der römiſchen Rechtsge- ſchichte vorzuführen, ſondern die leitenden Gedanken dieſer Ge- ſchichte nachzuweiſen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/94
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/94>, abgerufen am 16.05.2024.