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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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Zweites Buch. Erster Abschnitt. II. Die Grundtriebe.
als eine Satisfaction im weitesten Sinn d. h. eine Genug-
thuung sowohl für die persönliche Kränkung, die in der Rechts-
verletzung lag, als für seinen materiellen Verlust. Wie wenig
der eine Gesichtspunkt den andern ausschließt, erhellt am besten
daraus, daß die Römer selbst bei Klagen, die lediglich auf ein-
fache Leistung des Schadensersatzes gerichtet sind, den Gesichts-
punkt einer Strafe geltend machen. 135) Der eingestandene
Zweck der Klage ist, dem Kläger sein Interesse zu verschaffen,
und doch wird sie vom Standpunkt des Beklagten als Pönal-
klage bezeichnet. Es ließe sich auch noch auf die Conventional-
pön verweisen, die auch da, wo sie nur den Zweck hat, dem
Kläger ein Surrogat für das Interesse zu gewähren, vom Stand-
punkt des Beklagten aus als poena bezeichnet wird. Mochte in
einigen der obigen Fälle immerhin der Gesichtspunkt der Strafe
der überwiegende sein, selbst hier wurde mindestens auch
der Erfolg erreicht, dem Kläger das Interesse zu verschaffen. 136)
In manchen andern Fällen aber war umgekehrt der Gesichts-
punkt des Interesses der prinzipale, 137) der der Strafe der sekun-
däre, ja letzterer wohl gar gänzlich ausgeschlossen. 138)

Fragen wir uns also, auf welche Weise befriedigte das äl-

135) Die von Savigny ganz im Geist der römischen Auffassung so be-
zeichneten: einseitigen Strafklagen. Gegen die Erben konnten sie nur in quan-
tum ad eos pervenit
gerichtet werden, und hierin äußerte sich namentlich ihre
pönale Natur. Beispiele gewährt jedes Pandekten-Compendium bei Gelegen-
heit der Transmission der Klagen z. B. Puchta §. 88 not g.
136) Die auf die dedicatio einer res aliena in sacrum gesetzte poena
dupli
-- eine reine poena -- motivirt Gajus in der L. 3 de litig. (44. 6)
in folgender Weise: ut id veluti solatium habeat pro eo, quod poten-
tiori adversario traditus est.
137) So z. B. bei der act. rationibus distrahendis, bei der Klage
gegen die Publikanen. Anm. 127.
138) Ich verweise z. B. auf die actio de tigno juncto -- wie hätte der,
welcher unwissentlich fremdes Material verbaute, bestraft werden können?
-- auf die fructus dupli und solche Fälle, wo der Beklagte um die Existenz
des klägerischen Rechts nicht wußte und nicht wissen konnte.

Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe.
als eine Satisfaction im weiteſten Sinn d. h. eine Genug-
thuung ſowohl für die perſönliche Kränkung, die in der Rechts-
verletzung lag, als für ſeinen materiellen Verluſt. Wie wenig
der eine Geſichtspunkt den andern ausſchließt, erhellt am beſten
daraus, daß die Römer ſelbſt bei Klagen, die lediglich auf ein-
fache Leiſtung des Schadenserſatzes gerichtet ſind, den Geſichts-
punkt einer Strafe geltend machen. 135) Der eingeſtandene
Zweck der Klage iſt, dem Kläger ſein Intereſſe zu verſchaffen,
und doch wird ſie vom Standpunkt des Beklagten als Pönal-
klage bezeichnet. Es ließe ſich auch noch auf die Conventional-
pön verweiſen, die auch da, wo ſie nur den Zweck hat, dem
Kläger ein Surrogat für das Intereſſe zu gewähren, vom Stand-
punkt des Beklagten aus als poena bezeichnet wird. Mochte in
einigen der obigen Fälle immerhin der Geſichtspunkt der Strafe
der überwiegende ſein, ſelbſt hier wurde mindeſtens auch
der Erfolg erreicht, dem Kläger das Intereſſe zu verſchaffen. 136)
In manchen andern Fällen aber war umgekehrt der Geſichts-
punkt des Intereſſes der prinzipale, 137) der der Strafe der ſekun-
däre, ja letzterer wohl gar gänzlich ausgeſchloſſen. 138)

Fragen wir uns alſo, auf welche Weiſe befriedigte das äl-

135) Die von Savigny ganz im Geiſt der römiſchen Auffaſſung ſo be-
zeichneten: einſeitigen Strafklagen. Gegen die Erben konnten ſie nur in quan-
tum ad eos pervenit
gerichtet werden, und hierin äußerte ſich namentlich ihre
pönale Natur. Beiſpiele gewährt jedes Pandekten-Compendium bei Gelegen-
heit der Transmiſſion der Klagen z. B. Puchta §. 88 not g.
136) Die auf die dedicatio einer res aliena in sacrum geſetzte poena
dupli
— eine reine poena — motivirt Gajus in der L. 3 de litig. (44. 6)
in folgender Weiſe: ut id veluti solatium habeat pro eo, quod poten-
tiori adversario traditus est.
137) So z. B. bei der act. rationibus distrahendis, bei der Klage
gegen die Publikanen. Anm. 127.
138) Ich verweiſe z. B. auf die actio de tigno juncto — wie hätte der,
welcher unwiſſentlich fremdes Material verbaute, beſtraft werden können?
— auf die fructus dupli und ſolche Fälle, wo der Beklagte um die Exiſtenz
des klägeriſchen Rechts nicht wußte und nicht wiſſen konnte.
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[118/0132] Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe. als eine Satisfaction im weiteſten Sinn d. h. eine Genug- thuung ſowohl für die perſönliche Kränkung, die in der Rechts- verletzung lag, als für ſeinen materiellen Verluſt. Wie wenig der eine Geſichtspunkt den andern ausſchließt, erhellt am beſten daraus, daß die Römer ſelbſt bei Klagen, die lediglich auf ein- fache Leiſtung des Schadenserſatzes gerichtet ſind, den Geſichts- punkt einer Strafe geltend machen. 135) Der eingeſtandene Zweck der Klage iſt, dem Kläger ſein Intereſſe zu verſchaffen, und doch wird ſie vom Standpunkt des Beklagten als Pönal- klage bezeichnet. Es ließe ſich auch noch auf die Conventional- pön verweiſen, die auch da, wo ſie nur den Zweck hat, dem Kläger ein Surrogat für das Intereſſe zu gewähren, vom Stand- punkt des Beklagten aus als poena bezeichnet wird. Mochte in einigen der obigen Fälle immerhin der Geſichtspunkt der Strafe der überwiegende ſein, ſelbſt hier wurde mindeſtens auch der Erfolg erreicht, dem Kläger das Intereſſe zu verſchaffen. 136) In manchen andern Fällen aber war umgekehrt der Geſichts- punkt des Intereſſes der prinzipale, 137) der der Strafe der ſekun- däre, ja letzterer wohl gar gänzlich ausgeſchloſſen. 138) Fragen wir uns alſo, auf welche Weiſe befriedigte das äl- 135) Die von Savigny ganz im Geiſt der römiſchen Auffaſſung ſo be- zeichneten: einſeitigen Strafklagen. Gegen die Erben konnten ſie nur in quan- tum ad eos pervenit gerichtet werden, und hierin äußerte ſich namentlich ihre pönale Natur. Beiſpiele gewährt jedes Pandekten-Compendium bei Gelegen- heit der Transmiſſion der Klagen z. B. Puchta §. 88 not g. 136) Die auf die dedicatio einer res aliena in sacrum geſetzte poena dupli — eine reine poena — motivirt Gajus in der L. 3 de litig. (44. 6) in folgender Weiſe: ut id veluti solatium habeat pro eo, quod poten- tiori adversario traditus est. 137) So z. B. bei der act. rationibus distrahendis, bei der Klage gegen die Publikanen. Anm. 127. 138) Ich verweiſe z. B. auf die actio de tigno juncto — wie hätte der, welcher unwiſſentlich fremdes Material verbaute, beſtraft werden können? — auf die fructus dupli und ſolche Fälle, wo der Beklagte um die Exiſtenz des klägeriſchen Rechts nicht wußte und nicht wiſſen konnte.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/132>, abgerufen am 21.11.2024.