Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.Zweites Buch. Erster Abschnitt. II. Die Grundtriebe. der direkte Weg überhaupt noch nicht existirte. Consequenter-weise bin ich zu der Annahme gezwungen, daß die Verhältnisse, bei denen sich nach späterm Recht die relative Aestimation findet, entweder in der ältern Zeit noch gar nicht klagbar waren, oder daß bei ihnen früher die objektive Aestimation zur Anwendung kam. Der spätere Verlauf der Darstellung wird uns zu einer Betrachtung dieser Verhältnisse Veranlassung geben, und dort werden wir auch auf diese Frage antworten, an der gegenwärti- gen Stelle würde es zu weit führen. Wir haben bis jetzt den Gleichheitstrieb in seinen haupt- handlungsart des ältern Rechts bei. Beim mutuum ließ sich auch im neuern
Recht nicht das Interesse liquidiren, während dies bei einem depositum irre- gulare von Geldstücken möglich war (s. L. 3 de in lit. jur. (12. 3) -- Bei einigen Verhältnissen aber ging man von der objektiven zur relativen Aestima- tion über z. B. bei der act. injuriarum (aestimatoria d. h. Berücksichti- gung der individuellen Verhältnisse statt der ein für alle Mal bestimmten 25 ass. des ältern Rechts) und zwar geschah es hier durch den Prätor. So- dann bei der act. leg. Aquiliae (s. Note 125). Hier vermittelte die Jurispru- denz den Fortschritt auf rein innerlichem Wege, nämlich durch eine freiere Interpretation. Diese letzte Erscheinung wird auch einen ähnlichen Vorgang bei der act. furti, nämlich den dort hervortretenden Conflikt zwischen der ob- jektiven und relativen Aestimation (cf. L. 50 pr. de furtis (47. 2) mit L. 27, L. 67. §. 1, 80 §. 1 ibid.) ins rechte Licht setzen, jedoch muß ich darauf ver- zichten, diesen Nebenpunkt hier weiter auszuführen. Für die in rem actiones bezeichnet die arbitraria formula gegenüber dem Verfahren durch legis actio sacramento und sponsio denselben Fortschritt. In welchem Maße diese Bei- spiele eines Ueberganges von der objektiven zur relativen Aestimation die im Text verfochtene Ansicht unterstützen, brauche ich wohl nicht erst zu bemerken. Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe. der direkte Weg überhaupt noch nicht exiſtirte. Conſequenter-weiſe bin ich zu der Annahme gezwungen, daß die Verhältniſſe, bei denen ſich nach ſpäterm Recht die relative Aeſtimation findet, entweder in der ältern Zeit noch gar nicht klagbar waren, oder daß bei ihnen früher die objektive Aeſtimation zur Anwendung kam. Der ſpätere Verlauf der Darſtellung wird uns zu einer Betrachtung dieſer Verhältniſſe Veranlaſſung geben, und dort werden wir auch auf dieſe Frage antworten, an der gegenwärti- gen Stelle würde es zu weit führen. Wir haben bis jetzt den Gleichheitstrieb in ſeinen haupt- handlungsart des ältern Rechts bei. Beim mutuum ließ ſich auch im neuern
Recht nicht das Intereſſe liquidiren, während dies bei einem depositum irre- gulare von Geldſtücken möglich war (ſ. L. 3 de in lit. jur. (12. 3) — Bei einigen Verhältniſſen aber ging man von der objektiven zur relativen Aeſtima- tion über z. B. bei der act. injuriarum (aestimatoria d. h. Berückſichti- gung der individuellen Verhältniſſe ſtatt der ein für alle Mal beſtimmten 25 ass. des ältern Rechts) und zwar geſchah es hier durch den Prätor. So- dann bei der act. leg. Aquiliae (ſ. Note 125). Hier vermittelte die Jurispru- denz den Fortſchritt auf rein innerlichem Wege, nämlich durch eine freiere Interpretation. Dieſe letzte Erſcheinung wird auch einen ähnlichen Vorgang bei der act. furti, nämlich den dort hervortretenden Conflikt zwiſchen der ob- jektiven und relativen Aeſtimation (cf. L. 50 pr. de furtis (47. 2) mit L. 27, L. 67. §. 1, 80 §. 1 ibid.) ins rechte Licht ſetzen, jedoch muß ich darauf ver- zichten, dieſen Nebenpunkt hier weiter auszuführen. Für die in rem actiones bezeichnet die arbitraria formula gegenüber dem Verfahren durch legis actio sacramento und sponsio denſelben Fortſchritt. In welchem Maße dieſe Bei- ſpiele eines Ueberganges von der objektiven zur relativen Aeſtimation die im Text verfochtene Anſicht unterſtützen, brauche ich wohl nicht erſt zu bemerken. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0134" n="120"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. <hi rendition="#aq">II.</hi> Die Grundtriebe.</fw><lb/> der direkte Weg überhaupt noch nicht exiſtirte. Conſequenter-<lb/> weiſe bin ich zu der Annahme gezwungen, daß die Verhältniſſe,<lb/> bei denen ſich nach ſpäterm Recht die relative Aeſtimation findet,<lb/> entweder in der ältern Zeit noch gar nicht klagbar waren, oder<lb/> daß bei ihnen früher die objektive Aeſtimation zur Anwendung<lb/> kam. Der ſpätere Verlauf der Darſtellung wird uns zu einer<lb/> Betrachtung dieſer Verhältniſſe Veranlaſſung geben, und dort<lb/> werden wir auch auf dieſe Frage antworten, an der gegenwärti-<lb/> gen Stelle würde es zu weit führen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <p>Wir haben bis jetzt den Gleichheitstrieb in ſeinen haupt-<lb/> ſächlichſten einzelnen Aeußerungen verfolgt und bereits mehrfach<lb/> Gelegenheit gefunden, ihn in ſeiner Totalität als rechtshiſto-<lb/> riſche Thatſache zu würdigen, und es thut nicht Noth, das Ge-<lb/> ſagte hier zuſammen zu ſtellen. Dagegen iſt <hi rendition="#g">Ein</hi> Punkt im<lb/> bisherigen noch nicht berührt, und mit dem wollen wir unſere<lb/><note xml:id="seg2pn_12_2" prev="#seg2pn_12_1" place="foot" n="139)">handlungsart des ältern Rechts bei. Beim <hi rendition="#aq">mutuum</hi> ließ ſich auch im neuern<lb/> Recht nicht das Intereſſe liquidiren, während dies bei einem <hi rendition="#aq">depositum irre-<lb/> gulare</hi> von Geldſtücken möglich war (ſ. <hi rendition="#aq">L. 3 de in lit. jur.</hi> (12. 3) — Bei<lb/> einigen Verhältniſſen aber ging man von der objektiven zur relativen Aeſtima-<lb/> tion über z. B. bei der <hi rendition="#aq">act. injuriarum (aestimatoria</hi> d. h. Berückſichti-<lb/> gung der individuellen Verhältniſſe ſtatt der ein für alle Mal beſtimmten<lb/> 25 <hi rendition="#aq">ass.</hi> des ältern Rechts) und zwar geſchah es hier durch den Prätor. So-<lb/> dann bei der <hi rendition="#aq">act. leg. Aquiliae</hi> (ſ. Note 125). Hier vermittelte die Jurispru-<lb/> denz den Fortſchritt auf rein innerlichem Wege, nämlich durch eine freiere<lb/> Interpretation. Dieſe letzte Erſcheinung wird auch einen ähnlichen Vorgang<lb/> bei der <hi rendition="#aq">act. furti,</hi> nämlich den dort hervortretenden Conflikt zwiſchen der ob-<lb/> jektiven und relativen Aeſtimation (<hi rendition="#aq">cf. L. 50 pr. de furtis</hi> (47. 2) mit <hi rendition="#aq">L. 27,<lb/> L. 67. §. 1, 80 §. 1 ibid.</hi>) ins rechte Licht ſetzen, jedoch muß ich darauf ver-<lb/> zichten, dieſen Nebenpunkt hier weiter auszuführen. Für die <hi rendition="#aq">in rem actiones</hi><lb/> bezeichnet die <hi rendition="#aq">arbitraria formula</hi> gegenüber dem Verfahren durch <hi rendition="#aq">legis actio<lb/> sacramento</hi> und <hi rendition="#aq">sponsio</hi> denſelben Fortſchritt. In welchem Maße dieſe Bei-<lb/> ſpiele eines Ueberganges von der objektiven zur relativen Aeſtimation die im<lb/> Text verfochtene Anſicht unterſtützen, brauche ich wohl nicht erſt zu bemerken.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [120/0134]
Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe.
der direkte Weg überhaupt noch nicht exiſtirte. Conſequenter-
weiſe bin ich zu der Annahme gezwungen, daß die Verhältniſſe,
bei denen ſich nach ſpäterm Recht die relative Aeſtimation findet,
entweder in der ältern Zeit noch gar nicht klagbar waren, oder
daß bei ihnen früher die objektive Aeſtimation zur Anwendung
kam. Der ſpätere Verlauf der Darſtellung wird uns zu einer
Betrachtung dieſer Verhältniſſe Veranlaſſung geben, und dort
werden wir auch auf dieſe Frage antworten, an der gegenwärti-
gen Stelle würde es zu weit führen.
Wir haben bis jetzt den Gleichheitstrieb in ſeinen haupt-
ſächlichſten einzelnen Aeußerungen verfolgt und bereits mehrfach
Gelegenheit gefunden, ihn in ſeiner Totalität als rechtshiſto-
riſche Thatſache zu würdigen, und es thut nicht Noth, das Ge-
ſagte hier zuſammen zu ſtellen. Dagegen iſt Ein Punkt im
bisherigen noch nicht berührt, und mit dem wollen wir unſere
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139) handlungsart des ältern Rechts bei. Beim mutuum ließ ſich auch im neuern
Recht nicht das Intereſſe liquidiren, während dies bei einem depositum irre-
gulare von Geldſtücken möglich war (ſ. L. 3 de in lit. jur. (12. 3) — Bei
einigen Verhältniſſen aber ging man von der objektiven zur relativen Aeſtima-
tion über z. B. bei der act. injuriarum (aestimatoria d. h. Berückſichti-
gung der individuellen Verhältniſſe ſtatt der ein für alle Mal beſtimmten
25 ass. des ältern Rechts) und zwar geſchah es hier durch den Prätor. So-
dann bei der act. leg. Aquiliae (ſ. Note 125). Hier vermittelte die Jurispru-
denz den Fortſchritt auf rein innerlichem Wege, nämlich durch eine freiere
Interpretation. Dieſe letzte Erſcheinung wird auch einen ähnlichen Vorgang
bei der act. furti, nämlich den dort hervortretenden Conflikt zwiſchen der ob-
jektiven und relativen Aeſtimation (cf. L. 50 pr. de furtis (47. 2) mit L. 27,
L. 67. §. 1, 80 §. 1 ibid.) ins rechte Licht ſetzen, jedoch muß ich darauf ver-
zichten, dieſen Nebenpunkt hier weiter auszuführen. Für die in rem actiones
bezeichnet die arbitraria formula gegenüber dem Verfahren durch legis actio
sacramento und sponsio denſelben Fortſchritt. In welchem Maße dieſe Bei-
ſpiele eines Ueberganges von der objektiven zur relativen Aeſtimation die im
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