Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.III. Der Macht- u. Freiheitstrieb. -- Das System d. Freiheit etc. §. 30. chung jener Ziele zu bewerkstelligen sucht; ich nenne es das desZwanges oder der Unfreiheit. 142) Der Gegensatz ist begreif- licherweise kein absoluter, denn es hat weder einen Staat gege- ben, der Alles, noch einen, der Nichts der freien Thätigkeit des Volks hätte überlassen können. Aber eine ungeheure Verschie- denheit findet doch in dieser Beziehung Statt, und um dieselbe bestimmen zu können, wird es erlaubt sein, jene beiden Systeme in ihrer imaginären Reinheit zu Endpunkten einer Skala zu machen und in ihrer Gegensätzlichkeit zu charakterisiren. Es gibt nun eine Auffassungsweise -- und es ist die, von der auch in den englischen und französischen Gärten ab? Dort dient die Kunst der Natur, hier die Natur der Kunst, und dies ist ja auch der Gegensatz beider Systeme, so daß man das eine als das natürliche, das andere als das künst- liche bezeichnen könnte. 142) Von der Staatsform, ob dieselbe eine Monarchie oder Republik ist, sind beide Systeme unabhängig, das System der Unfreiheit ist eben sowohl in einer Republik möglich (wie das Beispiel Spartas in alter Zeit und der französischen in neuerer Zeit zeigt), als das der Freiheit in einer Monarchie, z. B. in England. Es zeigt so recht die Unreife und innere Unwahrheit des Freiheitsgefühls, wenn man zu gleicher Zeit für die Republik schwärmen und doch dabei mit dem System der Unfreiheit harmoniren kann. Man würde gleichgültiger gegen die Form der Staatsverfassung sein, wenn man für die wahre Freiheit mehr Sinn hätte. 143) Ich wähle die Ausdrücke, deren Schmidt sich in seinem Buch über
den prinzipiellen Unterschied zwischen dem römischen und germanischen Recht bedient. So wenig ich verkenne, daß jenes Werk einzelne treffende Bemer- kungen enthält, so beruht doch meiner Ansicht nach der Grundgedanke dessel- III. Der Macht- u. Freiheitstrieb. — Das Syſtem d. Freiheit ꝛc. §. 30. chung jener Ziele zu bewerkſtelligen ſucht; ich nenne es das desZwanges oder der Unfreiheit. 142) Der Gegenſatz iſt begreif- licherweiſe kein abſoluter, denn es hat weder einen Staat gege- ben, der Alles, noch einen, der Nichts der freien Thätigkeit des Volks hätte überlaſſen können. Aber eine ungeheure Verſchie- denheit findet doch in dieſer Beziehung Statt, und um dieſelbe beſtimmen zu können, wird es erlaubt ſein, jene beiden Syſteme in ihrer imaginären Reinheit zu Endpunkten einer Skala zu machen und in ihrer Gegenſätzlichkeit zu charakteriſiren. Es gibt nun eine Auffaſſungsweiſe — und es iſt die, von der auch in den engliſchen und franzöſiſchen Gärten ab? Dort dient die Kunſt der Natur, hier die Natur der Kunſt, und dies iſt ja auch der Gegenſatz beider Syſteme, ſo daß man das eine als das natürliche, das andere als das künſt- liche bezeichnen könnte. 142) Von der Staatsform, ob dieſelbe eine Monarchie oder Republik iſt, ſind beide Syſteme unabhängig, das Syſtem der Unfreiheit iſt eben ſowohl in einer Republik möglich (wie das Beiſpiel Spartas in alter Zeit und der franzöſiſchen in neuerer Zeit zeigt), als das der Freiheit in einer Monarchie, z. B. in England. Es zeigt ſo recht die Unreife und innere Unwahrheit des Freiheitsgefühls, wenn man zu gleicher Zeit für die Republik ſchwärmen und doch dabei mit dem Syſtem der Unfreiheit harmoniren kann. Man würde gleichgültiger gegen die Form der Staatsverfaſſung ſein, wenn man für die wahre Freiheit mehr Sinn hätte. 143) Ich wähle die Ausdrücke, deren Schmidt ſich in ſeinem Buch über
den prinzipiellen Unterſchied zwiſchen dem römiſchen und germaniſchen Recht bedient. So wenig ich verkenne, daß jenes Werk einzelne treffende Bemer- kungen enthält, ſo beruht doch meiner Anſicht nach der Grundgedanke deſſel- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0139" n="125"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> Der Macht- u. Freiheitstrieb. — Das Syſtem d. Freiheit ꝛc. §. 30.</fw><lb/> chung jener Ziele zu bewerkſtelligen ſucht; ich nenne es das des<lb/> Zwanges oder der Unfreiheit. <note place="foot" n="142)">Von der Staatsform, ob dieſelbe eine Monarchie oder Republik iſt,<lb/> ſind beide Syſteme unabhängig, das Syſtem der Unfreiheit iſt eben ſowohl<lb/> in einer Republik möglich (wie das Beiſpiel Spartas in alter Zeit und der<lb/> franzöſiſchen in neuerer Zeit zeigt), als das der Freiheit in einer Monarchie,<lb/> z. B. in England. Es zeigt ſo recht die Unreife und innere Unwahrheit des<lb/> Freiheitsgefühls, wenn man zu gleicher Zeit für die Republik ſchwärmen und<lb/> doch dabei mit dem Syſtem der Unfreiheit harmoniren kann. Man würde<lb/> gleichgültiger gegen die Form der Staatsverfaſſung ſein, wenn man für die<lb/> wahre Freiheit mehr Sinn hätte.</note> Der Gegenſatz iſt begreif-<lb/> licherweiſe kein abſoluter, denn es hat weder einen Staat gege-<lb/> ben, der Alles, noch einen, der Nichts der freien Thätigkeit des<lb/> Volks hätte überlaſſen können. Aber eine ungeheure Verſchie-<lb/> denheit findet doch in dieſer Beziehung Statt, und um dieſelbe<lb/> beſtimmen zu können, wird es erlaubt ſein, jene beiden Syſteme<lb/> in ihrer imaginären Reinheit zu Endpunkten einer Skala zu<lb/> machen und in ihrer Gegenſätzlichkeit zu charakteriſiren.</p><lb/> <p>Es gibt nun eine Auffaſſungsweiſe — und es iſt die, von der<lb/> oben die Rede war — bei der der Vergleich beider Syſteme un-<lb/> bedingt zu Gunſten des Syſtems der Unfreiheit ausfallen muß<lb/> — eine Auffaſſungsweiſe, die aus verſchiedenen Gründen viel<lb/> Verführeriſches hat und auf den erſten Blick den Schein einer<lb/> tief ſittlichen Würdigung des Rechts erregt. Ausgehend von<lb/> dem erhabenen ethiſchen Beruf des Staats findet ſie in dem<lb/> Syſtem der Freiheit lediglich das Walten der bloßen Subjekti-<lb/> vität, in dem der Unfreiheit hingegen die Herrſchaft objektiver<lb/> ſittlicher Prinzipien <note xml:id="seg2pn_15_1" next="#seg2pn_15_2" place="foot" n="143)">Ich wähle die Ausdrücke, deren Schmidt ſich in ſeinem Buch über<lb/> den prinzipiellen Unterſchied zwiſchen dem römiſchen und germaniſchen Recht<lb/> bedient. So wenig ich verkenne, daß jenes Werk einzelne treffende Bemer-<lb/> kungen enthält, ſo beruht doch meiner Anſicht nach der Grundgedanke deſſel-</note> — dort Indifferentismus des Staats<lb/><note xml:id="seg2pn_14_2" prev="#seg2pn_14_1" place="foot" n="141)">auch in den engliſchen und franzöſiſchen Gärten ab? Dort dient die Kunſt<lb/> der Natur, hier die Natur der Kunſt, und dies iſt ja auch der Gegenſatz beider<lb/> Syſteme, ſo daß man das eine als das natürliche, das andere als das künſt-<lb/> liche bezeichnen könnte.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [125/0139]
III. Der Macht- u. Freiheitstrieb. — Das Syſtem d. Freiheit ꝛc. §. 30.
chung jener Ziele zu bewerkſtelligen ſucht; ich nenne es das des
Zwanges oder der Unfreiheit. 142) Der Gegenſatz iſt begreif-
licherweiſe kein abſoluter, denn es hat weder einen Staat gege-
ben, der Alles, noch einen, der Nichts der freien Thätigkeit des
Volks hätte überlaſſen können. Aber eine ungeheure Verſchie-
denheit findet doch in dieſer Beziehung Statt, und um dieſelbe
beſtimmen zu können, wird es erlaubt ſein, jene beiden Syſteme
in ihrer imaginären Reinheit zu Endpunkten einer Skala zu
machen und in ihrer Gegenſätzlichkeit zu charakteriſiren.
Es gibt nun eine Auffaſſungsweiſe — und es iſt die, von der
oben die Rede war — bei der der Vergleich beider Syſteme un-
bedingt zu Gunſten des Syſtems der Unfreiheit ausfallen muß
— eine Auffaſſungsweiſe, die aus verſchiedenen Gründen viel
Verführeriſches hat und auf den erſten Blick den Schein einer
tief ſittlichen Würdigung des Rechts erregt. Ausgehend von
dem erhabenen ethiſchen Beruf des Staats findet ſie in dem
Syſtem der Freiheit lediglich das Walten der bloßen Subjekti-
vität, in dem der Unfreiheit hingegen die Herrſchaft objektiver
ſittlicher Prinzipien 143) — dort Indifferentismus des Staats
141)
142) Von der Staatsform, ob dieſelbe eine Monarchie oder Republik iſt,
ſind beide Syſteme unabhängig, das Syſtem der Unfreiheit iſt eben ſowohl
in einer Republik möglich (wie das Beiſpiel Spartas in alter Zeit und der
franzöſiſchen in neuerer Zeit zeigt), als das der Freiheit in einer Monarchie,
z. B. in England. Es zeigt ſo recht die Unreife und innere Unwahrheit des
Freiheitsgefühls, wenn man zu gleicher Zeit für die Republik ſchwärmen und
doch dabei mit dem Syſtem der Unfreiheit harmoniren kann. Man würde
gleichgültiger gegen die Form der Staatsverfaſſung ſein, wenn man für die
wahre Freiheit mehr Sinn hätte.
143) Ich wähle die Ausdrücke, deren Schmidt ſich in ſeinem Buch über
den prinzipiellen Unterſchied zwiſchen dem römiſchen und germaniſchen Recht
bedient. So wenig ich verkenne, daß jenes Werk einzelne treffende Bemer-
kungen enthält, ſo beruht doch meiner Anſicht nach der Grundgedanke deſſel-
141) auch in den engliſchen und franzöſiſchen Gärten ab? Dort dient die Kunſt
der Natur, hier die Natur der Kunſt, und dies iſt ja auch der Gegenſatz beider
Syſteme, ſo daß man das eine als das natürliche, das andere als das künſt-
liche bezeichnen könnte.
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