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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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Zweit. Buch. Erst. Abschn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
men konnte, dies noch erst auszusprechen, und darum wird die
Darstellung des Systems jene Sätze nicht einmal zu ihrem Aus-
gangspunkt wählen, sondern sie nur geeigneten Orts 168) be-
rücksichtigen.

Wir beginnen mit dem Eigenthum. In keinem andern
Recht ist wohl der reine Eigenthumsbegriff d. h. der Gedanke
der absoluten Herrschaft über die Sache, mit solcher Consequenz
durchgeführt, als im ältern römischen. Diese Consequenz könnte
sich bis zu einem Punkt verirren, wo sie die praktische Brauch-
barkeit des Instituts gefährden würde. Für bewegliche Sachen
ist dies freilich kaum zu befürchten, 169) wohl aber bei unbeweg-
lichen, bei denen die starre Durchführung des Freiheitsbegriffs
eine Isolirung derselben herbeiführen müßte, während doch
unter ihnen eine natürliche Abhängigkeit des Einen Grundstücks
vom andern und ein gegenseitiges Bedürftigkeitsverhältniß Statt
findet. Das römische Recht überläßt nun zwar das gegenseitige
Aushülfssystem im allgemeinen ganz der verständigen Verein-
barung der Partheien, 170) und sorgt nur dafür, daß es nicht
über Gebühr ausgedehnt werde und in ein gegenseitiges Be-
schränkungssystem ausarte (§. 33). Allein gewisse Beschränkun-
gen des Einen Grundstücks im Interesse des andern waren doch
mit absoluter Nothwendigkeit geboten. 171) Strenge genommen
könnte jeder Eigenthümer dem Lauf des Regenwassers auf sei-
nem Grundstück die Richtung geben, die er für gut fände, und
darin Aenderungen treffen, so oft es ihm beliebte. Daß dies

168) d. h. soweit sie für das Privatrecht, auf das wir uns beschränken
werden, in Betracht kommen, also den letztgenannten nicht.
169) Hinsichtlich ihrer würde nur beim Miteigenthum die strenge Conse-
quenz des Eigenthumsbegriffs (die einen Zwang zur Theilung ausschließt)
zu einem praktisch undenkbaren Resultat führen und ist darum im römischen
Recht auch verlassen (act. comm. dividundo).
170) Die Ausnahme in L. 12 pr. de relig. (11. 7) gehört erst der Kai-
serzeit an.
171) Dirksen über die gesetzl. Beschränkungen des Eigenthums nach röm.
Rechte in der Zeitsch. für gesch. Rechtswiss. B. 2. Nr. 16.

Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
men konnte, dies noch erſt auszuſprechen, und darum wird die
Darſtellung des Syſtems jene Sätze nicht einmal zu ihrem Aus-
gangspunkt wählen, ſondern ſie nur geeigneten Orts 168) be-
rückſichtigen.

Wir beginnen mit dem Eigenthum. In keinem andern
Recht iſt wohl der reine Eigenthumsbegriff d. h. der Gedanke
der abſoluten Herrſchaft über die Sache, mit ſolcher Conſequenz
durchgeführt, als im ältern römiſchen. Dieſe Conſequenz könnte
ſich bis zu einem Punkt verirren, wo ſie die praktiſche Brauch-
barkeit des Inſtituts gefährden würde. Für bewegliche Sachen
iſt dies freilich kaum zu befürchten, 169) wohl aber bei unbeweg-
lichen, bei denen die ſtarre Durchführung des Freiheitsbegriffs
eine Iſolirung derſelben herbeiführen müßte, während doch
unter ihnen eine natürliche Abhängigkeit des Einen Grundſtücks
vom andern und ein gegenſeitiges Bedürftigkeitsverhältniß Statt
findet. Das römiſche Recht überläßt nun zwar das gegenſeitige
Aushülfsſyſtem im allgemeinen ganz der verſtändigen Verein-
barung der Partheien, 170) und ſorgt nur dafür, daß es nicht
über Gebühr ausgedehnt werde und in ein gegenſeitiges Be-
ſchränkungsſyſtem ausarte (§. 33). Allein gewiſſe Beſchränkun-
gen des Einen Grundſtücks im Intereſſe des andern waren doch
mit abſoluter Nothwendigkeit geboten. 171) Strenge genommen
könnte jeder Eigenthümer dem Lauf des Regenwaſſers auf ſei-
nem Grundſtück die Richtung geben, die er für gut fände, und
darin Aenderungen treffen, ſo oft es ihm beliebte. Daß dies

168) d. h. ſoweit ſie für das Privatrecht, auf das wir uns beſchränken
werden, in Betracht kommen, alſo den letztgenannten nicht.
169) Hinſichtlich ihrer würde nur beim Miteigenthum die ſtrenge Conſe-
quenz des Eigenthumsbegriffs (die einen Zwang zur Theilung ausſchließt)
zu einem praktiſch undenkbaren Reſultat führen und iſt darum im römiſchen
Recht auch verlaſſen (act. comm. dividundo).
170) Die Ausnahme in L. 12 pr. de relig. (11. 7) gehört erſt der Kai-
ſerzeit an.
171) Dirkſen über die geſetzl. Beſchränkungen des Eigenthums nach röm.
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[152/0166] Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. men konnte, dies noch erſt auszuſprechen, und darum wird die Darſtellung des Syſtems jene Sätze nicht einmal zu ihrem Aus- gangspunkt wählen, ſondern ſie nur geeigneten Orts 168) be- rückſichtigen. Wir beginnen mit dem Eigenthum. In keinem andern Recht iſt wohl der reine Eigenthumsbegriff d. h. der Gedanke der abſoluten Herrſchaft über die Sache, mit ſolcher Conſequenz durchgeführt, als im ältern römiſchen. Dieſe Conſequenz könnte ſich bis zu einem Punkt verirren, wo ſie die praktiſche Brauch- barkeit des Inſtituts gefährden würde. Für bewegliche Sachen iſt dies freilich kaum zu befürchten, 169) wohl aber bei unbeweg- lichen, bei denen die ſtarre Durchführung des Freiheitsbegriffs eine Iſolirung derſelben herbeiführen müßte, während doch unter ihnen eine natürliche Abhängigkeit des Einen Grundſtücks vom andern und ein gegenſeitiges Bedürftigkeitsverhältniß Statt findet. Das römiſche Recht überläßt nun zwar das gegenſeitige Aushülfsſyſtem im allgemeinen ganz der verſtändigen Verein- barung der Partheien, 170) und ſorgt nur dafür, daß es nicht über Gebühr ausgedehnt werde und in ein gegenſeitiges Be- ſchränkungsſyſtem ausarte (§. 33). Allein gewiſſe Beſchränkun- gen des Einen Grundſtücks im Intereſſe des andern waren doch mit abſoluter Nothwendigkeit geboten. 171) Strenge genommen könnte jeder Eigenthümer dem Lauf des Regenwaſſers auf ſei- nem Grundſtück die Richtung geben, die er für gut fände, und darin Aenderungen treffen, ſo oft es ihm beliebte. Daß dies 168) d. h. ſoweit ſie für das Privatrecht, auf das wir uns beſchränken werden, in Betracht kommen, alſo den letztgenannten nicht. 169) Hinſichtlich ihrer würde nur beim Miteigenthum die ſtrenge Conſe- quenz des Eigenthumsbegriffs (die einen Zwang zur Theilung ausſchließt) zu einem praktiſch undenkbaren Reſultat führen und iſt darum im römiſchen Recht auch verlaſſen (act. comm. dividundo). 170) Die Ausnahme in L. 12 pr. de relig. (11. 7) gehört erſt der Kai- ſerzeit an. 171) Dirkſen über die geſetzl. Beſchränkungen des Eigenthums nach röm. Rechte in der Zeitſch. für geſch. Rechtswiſſ. B. 2. Nr. 16.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/166>, abgerufen am 23.11.2024.