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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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Zweit. Buch. Erst. Abschn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
§. 34) als eine Unmöglichkeit erscheinen; der Uebergang des
Vermögens von einer Generation auf die andere konnte also nur
in Folge eines freien Willensaktes des jeweiligen Innehabers
vor sich gehen. Aber gerade das unbeschränkte testamentarische
Dispositionsrecht, in dem man so gern einen Verstoß gegen das
Familienprinzip erblickt, konnte demselben im hohen Grade
dienstbar werden, zwar nicht in der Weise, daß der Testator die
Sache belastete und dadurch das Interesse der Familie gegen
demnächstige nachtheilige Dispositionen sicherstellte, wohl aber
in der Weise, daß er einen Erben, von dem derartige Disposi-
tionen zu befürchten waren, vom Stammgut ausschloß und
bloß mit Geld bedachte. 183)

Ein anderer Ausfluß der Eigenthumsfreiheit war die unbe-
gränzte Theilbarkeit des Grundeigenthums. Sie ist in
Rom nie gesetzlich beschränkt worden und scheint hier auch keine
nachtheiligen Wirkungen geäußert zu haben. 183a) Woran die
Römer litten, war das entgegengesetzte Extrem, die Anhäufung
des Grundbesitzes in Einer Hand, die Latifundien, oder anders
ausgedrückt: die Verdrängung des freien Bauernstandes durch
eine geringe Zahl großer Grundherren, ein Uebel, das die Rö-
mer selbst als die Grundursache des Verfalls betrachteten. 184)
Ob wir den Ursprung dieses Uebels schon in eine frühe Zeit zu

183) So ist z. B. in der in Anmerk. 181 citirten Stelle von Val.
Max.
die Rede von der nimia indulgentia eines Vaters, der seinen
verschwenderischen Sohn zum Erben eingesetzt hatte, während er ihn im In-
teresse der gens hätte enterben sollen: quem nimia patris indulgentia here-
dem reliquerat, publica severitas exheredavit
(d. h. durch die cura prodigi).
183a) Roßbach Unters. über die röm. Ehe S. 429 macht beiläufig darauf
aufmerksam, daß die alten Landloose von 7 Jugera sich bis in die späte Zeit
ungetheilt erhielten. Val. Max. IV. 4. §. 6, 7, 8, 11. Daraus aber, daß
"selbst nach dem Tode des Vaters sich häufig die Söhne mit ihren Familien
nicht von einander trennten, gemeinsam das Erbgut bebauten" u. s. w. (Plut.
Aem. Paul. c. 5, Cato maj. 24, Val. Max. IV, 4, 8
) läßt sich dies nicht
erklären, denn ein solches Gemeinsamkeitsverhältniß ließ sich zur Noth zwei
bis drei Generationen fortsetzen, nicht aber Jahrhunderte lang.
184) Plin. H. N. 18. 7: Latifundia perdidere Italiam.

Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
§. 34) als eine Unmöglichkeit erſcheinen; der Uebergang des
Vermögens von einer Generation auf die andere konnte alſo nur
in Folge eines freien Willensaktes des jeweiligen Innehabers
vor ſich gehen. Aber gerade das unbeſchränkte teſtamentariſche
Dispoſitionsrecht, in dem man ſo gern einen Verſtoß gegen das
Familienprinzip erblickt, konnte demſelben im hohen Grade
dienſtbar werden, zwar nicht in der Weiſe, daß der Teſtator die
Sache belaſtete und dadurch das Intereſſe der Familie gegen
demnächſtige nachtheilige Dispoſitionen ſicherſtellte, wohl aber
in der Weiſe, daß er einen Erben, von dem derartige Dispoſi-
tionen zu befürchten waren, vom Stammgut ausſchloß und
bloß mit Geld bedachte. 183)

Ein anderer Ausfluß der Eigenthumsfreiheit war die unbe-
gränzte Theilbarkeit des Grundeigenthums. Sie iſt in
Rom nie geſetzlich beſchränkt worden und ſcheint hier auch keine
nachtheiligen Wirkungen geäußert zu haben. 183a) Woran die
Römer litten, war das entgegengeſetzte Extrem, die Anhäufung
des Grundbeſitzes in Einer Hand, die Latifundien, oder anders
ausgedrückt: die Verdrängung des freien Bauernſtandes durch
eine geringe Zahl großer Grundherren, ein Uebel, das die Rö-
mer ſelbſt als die Grundurſache des Verfalls betrachteten. 184)
Ob wir den Urſprung dieſes Uebels ſchon in eine frühe Zeit zu

183) So iſt z. B. in der in Anmerk. 181 citirten Stelle von Val.
Max.
die Rede von der nimia indulgentia eines Vaters, der ſeinen
verſchwenderiſchen Sohn zum Erben eingeſetzt hatte, während er ihn im In-
tereſſe der gens hätte enterben ſollen: quem nimia patris indulgentia here-
dem reliquerat, publica severitas exheredavit
(d. h. durch die cura prodigi).
183a) Roßbach Unterſ. über die röm. Ehe S. 429 macht beiläufig darauf
aufmerkſam, daß die alten Landlooſe von 7 Jugera ſich bis in die ſpäte Zeit
ungetheilt erhielten. Val. Max. IV. 4. §. 6, 7, 8, 11. Daraus aber, daß
„ſelbſt nach dem Tode des Vaters ſich häufig die Söhne mit ihren Familien
nicht von einander trennten, gemeinſam das Erbgut bebauten“ u. ſ. w. (Plut.
Aem. Paul. c. 5, Cato maj. 24, Val. Max. IV, 4, 8
) läßt ſich dies nicht
erklären, denn ein ſolches Gemeinſamkeitsverhältniß ließ ſich zur Noth zwei
bis drei Generationen fortſetzen, nicht aber Jahrhunderte lang.
184) Plin. H. N. 18. 7: Latifundia perdidere Italiam.
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[156/0170] Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. §. 34) als eine Unmöglichkeit erſcheinen; der Uebergang des Vermögens von einer Generation auf die andere konnte alſo nur in Folge eines freien Willensaktes des jeweiligen Innehabers vor ſich gehen. Aber gerade das unbeſchränkte teſtamentariſche Dispoſitionsrecht, in dem man ſo gern einen Verſtoß gegen das Familienprinzip erblickt, konnte demſelben im hohen Grade dienſtbar werden, zwar nicht in der Weiſe, daß der Teſtator die Sache belaſtete und dadurch das Intereſſe der Familie gegen demnächſtige nachtheilige Dispoſitionen ſicherſtellte, wohl aber in der Weiſe, daß er einen Erben, von dem derartige Dispoſi- tionen zu befürchten waren, vom Stammgut ausſchloß und bloß mit Geld bedachte. 183) Ein anderer Ausfluß der Eigenthumsfreiheit war die unbe- gränzte Theilbarkeit des Grundeigenthums. Sie iſt in Rom nie geſetzlich beſchränkt worden und ſcheint hier auch keine nachtheiligen Wirkungen geäußert zu haben. 183a) Woran die Römer litten, war das entgegengeſetzte Extrem, die Anhäufung des Grundbeſitzes in Einer Hand, die Latifundien, oder anders ausgedrückt: die Verdrängung des freien Bauernſtandes durch eine geringe Zahl großer Grundherren, ein Uebel, das die Rö- mer ſelbſt als die Grundurſache des Verfalls betrachteten. 184) Ob wir den Urſprung dieſes Uebels ſchon in eine frühe Zeit zu 183) So iſt z. B. in der in Anmerk. 181 citirten Stelle von Val. Max. die Rede von der nimia indulgentia eines Vaters, der ſeinen verſchwenderiſchen Sohn zum Erben eingeſetzt hatte, während er ihn im In- tereſſe der gens hätte enterben ſollen: quem nimia patris indulgentia here- dem reliquerat, publica severitas exheredavit (d. h. durch die cura prodigi). 183a) Roßbach Unterſ. über die röm. Ehe S. 429 macht beiläufig darauf aufmerkſam, daß die alten Landlooſe von 7 Jugera ſich bis in die ſpäte Zeit ungetheilt erhielten. Val. Max. IV. 4. §. 6, 7, 8, 11. Daraus aber, daß „ſelbſt nach dem Tode des Vaters ſich häufig die Söhne mit ihren Familien nicht von einander trennten, gemeinſam das Erbgut bebauten“ u. ſ. w. (Plut. Aem. Paul. c. 5, Cato maj. 24, Val. Max. IV, 4, 8) läßt ſich dies nicht erklären, denn ein ſolches Gemeinſamkeitsverhältniß ließ ſich zur Noth zwei bis drei Generationen fortſetzen, nicht aber Jahrhunderte lang. 184) Plin. H. N. 18. 7: Latifundia perdidere Italiam.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/170>, abgerufen am 23.11.2024.