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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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Zweit. Buch. Erst. Abschn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
Schuldner das wenige, was er besaß und erwarb, entzog, 199)
ja ihn selbst zu persönlichen Dienstleistungen zwang 200) -- alles
nicht erst in Folge der Exekution, sondern vor und zur
Abwehr
derselben. Für den Gläubiger gab es dabei nur Eine

War es denn nicht am Ende eine leere Drohung? Es wäre einem Schuldner
nicht zu rathen gewesen, sich darauf zu verlassen, denn wenn er auch ein
eigentliches Viertheilen nicht ernstlich zu besorgen hatte, so konnte doch, wenn
er trotzig blieb, der eine oder der andere von seinen Gläubigern den Versuch
machen, welchen Eindruck das Abschneiden einzelner Theile, der Finger, Nase,
Ohren u. s. w. auf ihn machen würde, und der Schuldner und dessen Ver-
wandte, Freunde u. s. w. ließen es schwerlich zur wirklichen Probe kommen.
199) Von einer solchen dem Rechte nach unwirksamen, aber faktisch
den Zweck erreichenden Beschlagnahme des Vermögens der Schuldner, na-
mentlich der abwesenden, ist bei Livius öfter die Rede, so z. B. II. 24 .. ne
quis militis, donec in castris esset, bona possideret aut venderet.
200) Sei es bloß zu vorübergehenden einzelnen, wodurch die Freiheit
nicht afficirt wurde, sei es zu einem dauernden Zustand der Dienstbarkeit, der
den Genuß der politischen Rechte suspendirte. Varro de re rust. I. 17 sagt,
man gebrauche zum Landbau außer den Sklaven auch freie Personen, und zwar
Tagelöhner; oder: ii quos obaeratos (al. obaerarios, nicht Verurtheilte,
Addicirte, sondern Verschuldete) nostri vocitaverunt et etiam nunc sunt
in Asia atque Aegypto et in Illyrico complures. Varro L. L. VII. 5.
§. 105: Liber qui suas operas in servitute pro pecunia quadam de-
bebat, dum solveret, nexus vocatur ut ab aere obaeratus.
Auch die
Kinder der Schuldner nahm man in Ermangelung ihrer selbst, Liv. II. 24 ..
neve liberos nepotesve moraretur. VIII. 28: cum ob aes alienum pater-
num se nexum dedisset
und liberumque suorum respectu. Von der beim
alten Exekutionsverfahren vorübergehend vorkommenden Fesselung ohne
Verpflichtung
zur Dienstbarkeit war dieser dauernde durch Vertrag
(nur freilich nicht Selbstmancipation) begründete, die Exekution abwehrende
Zustand der Dienstbarkeit innerlich verschieden, wenn gleich äußerlich sehr ähn-
lich, da auch die Fesseln der XII Tafeln hier nicht fehlten. Die lex Poetelia
Papiria
(Liv. VIII. 28) hob das nexum in diesem Sinn (nicht in dem
einer liquiden Schuld) auf; soweit die Schuldner auch jetzt noch durch Dienst-
leistungen an den Gläubiger ihre Schuld abzuverdienen suchten, woran sie
Niemand hinderte, blieben sie wenigstens frei, behielten den Genuß ihrer
politischen Rechte und konnten, wenn der Gläubiger sie schlecht behandelte,
jeden Augenblick die Dienstleistungen sistiren. Zu einer ähnlichen Ansicht ge-
langt auch Burchardi, Lehrbuch des röm. Rechts. Th. 2. §. 129.

Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
Schuldner das wenige, was er beſaß und erwarb, entzog, 199)
ja ihn ſelbſt zu perſönlichen Dienſtleiſtungen zwang 200) — alles
nicht erſt in Folge der Exekution, ſondern vor und zur
Abwehr
derſelben. Für den Gläubiger gab es dabei nur Eine

War es denn nicht am Ende eine leere Drohung? Es wäre einem Schuldner
nicht zu rathen geweſen, ſich darauf zu verlaſſen, denn wenn er auch ein
eigentliches Viertheilen nicht ernſtlich zu beſorgen hatte, ſo konnte doch, wenn
er trotzig blieb, der eine oder der andere von ſeinen Gläubigern den Verſuch
machen, welchen Eindruck das Abſchneiden einzelner Theile, der Finger, Naſe,
Ohren u. ſ. w. auf ihn machen würde, und der Schuldner und deſſen Ver-
wandte, Freunde u. ſ. w. ließen es ſchwerlich zur wirklichen Probe kommen.
199) Von einer ſolchen dem Rechte nach unwirkſamen, aber faktiſch
den Zweck erreichenden Beſchlagnahme des Vermögens der Schuldner, na-
mentlich der abweſenden, iſt bei Livius öfter die Rede, ſo z. B. II. 24 .. ne
quis militis, donec in castris esset, bona possideret aut venderet.
200) Sei es bloß zu vorübergehenden einzelnen, wodurch die Freiheit
nicht afficirt wurde, ſei es zu einem dauernden Zuſtand der Dienſtbarkeit, der
den Genuß der politiſchen Rechte ſuspendirte. Varro de re rust. I. 17 ſagt,
man gebrauche zum Landbau außer den Sklaven auch freie Perſonen, und zwar
Tagelöhner; oder: ii quos obaeratos (al. obaerarios, nicht Verurtheilte,
Addicirte, ſondern Verſchuldete) nostri vocitaverunt et etiam nunc sunt
in Asia atque Aegypto et in Illyrico complures. Varro L. L. VII. 5.
§. 105: Liber qui suas operas in servitute pro pecunia quadam de-
bebat, dum solveret, nexus vocatur ut ab aere obaeratus.
Auch die
Kinder der Schuldner nahm man in Ermangelung ihrer ſelbſt, Liv. II. 24 ..
neve liberos nepotesve moraretur. VIII. 28: cum ob aes alienum pater-
num se nexum dedisset
und liberumque suorum respectu. Von der beim
alten Exekutionsverfahren vorübergehend vorkommenden Feſſelung ohne
Verpflichtung
zur Dienſtbarkeit war dieſer dauernde durch Vertrag
(nur freilich nicht Selbſtmancipation) begründete, die Exekution abwehrende
Zuſtand der Dienſtbarkeit innerlich verſchieden, wenn gleich äußerlich ſehr ähn-
lich, da auch die Feſſeln der XII Tafeln hier nicht fehlten. Die lex Poetelia
Papiria
(Liv. VIII. 28) hob das nexum in dieſem Sinn (nicht in dem
einer liquiden Schuld) auf; ſoweit die Schuldner auch jetzt noch durch Dienſt-
leiſtungen an den Gläubiger ihre Schuld abzuverdienen ſuchten, woran ſie
Niemand hinderte, blieben ſie wenigſtens frei, behielten den Genuß ihrer
politiſchen Rechte und konnten, wenn der Gläubiger ſie ſchlecht behandelte,
jeden Augenblick die Dienſtleiſtungen ſiſtiren. Zu einer ähnlichen Anſicht ge-
langt auch Burchardi, Lehrbuch des röm. Rechts. Th. 2. §. 129.
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[162/0176] Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. Schuldner das wenige, was er beſaß und erwarb, entzog, 199) ja ihn ſelbſt zu perſönlichen Dienſtleiſtungen zwang 200) — alles nicht erſt in Folge der Exekution, ſondern vor und zur Abwehr derſelben. Für den Gläubiger gab es dabei nur Eine 198) 199) Von einer ſolchen dem Rechte nach unwirkſamen, aber faktiſch den Zweck erreichenden Beſchlagnahme des Vermögens der Schuldner, na- mentlich der abweſenden, iſt bei Livius öfter die Rede, ſo z. B. II. 24 .. ne quis militis, donec in castris esset, bona possideret aut venderet. 200) Sei es bloß zu vorübergehenden einzelnen, wodurch die Freiheit nicht afficirt wurde, ſei es zu einem dauernden Zuſtand der Dienſtbarkeit, der den Genuß der politiſchen Rechte ſuspendirte. Varro de re rust. I. 17 ſagt, man gebrauche zum Landbau außer den Sklaven auch freie Perſonen, und zwar Tagelöhner; oder: ii quos obaeratos (al. obaerarios, nicht Verurtheilte, Addicirte, ſondern Verſchuldete) nostri vocitaverunt et etiam nunc sunt in Asia atque Aegypto et in Illyrico complures. Varro L. L. VII. 5. §. 105: Liber qui suas operas in servitute pro pecunia quadam de- bebat, dum solveret, nexus vocatur ut ab aere obaeratus. Auch die Kinder der Schuldner nahm man in Ermangelung ihrer ſelbſt, Liv. II. 24 .. neve liberos nepotesve moraretur. VIII. 28: cum ob aes alienum pater- num se nexum dedisset und liberumque suorum respectu. Von der beim alten Exekutionsverfahren vorübergehend vorkommenden Feſſelung ohne Verpflichtung zur Dienſtbarkeit war dieſer dauernde durch Vertrag (nur freilich nicht Selbſtmancipation) begründete, die Exekution abwehrende Zuſtand der Dienſtbarkeit innerlich verſchieden, wenn gleich äußerlich ſehr ähn- lich, da auch die Feſſeln der XII Tafeln hier nicht fehlten. Die lex Poetelia Papiria (Liv. VIII. 28) hob das nexum in dieſem Sinn (nicht in dem einer liquiden Schuld) auf; ſoweit die Schuldner auch jetzt noch durch Dienſt- leiſtungen an den Gläubiger ihre Schuld abzuverdienen ſuchten, woran ſie Niemand hinderte, blieben ſie wenigſtens frei, behielten den Genuß ihrer politiſchen Rechte und konnten, wenn der Gläubiger ſie ſchlecht behandelte, jeden Augenblick die Dienſtleiſtungen ſiſtiren. Zu einer ähnlichen Anſicht ge- langt auch Burchardi, Lehrbuch des röm. Rechts. Th. 2. §. 129. 198) War es denn nicht am Ende eine leere Drohung? Es wäre einem Schuldner nicht zu rathen geweſen, ſich darauf zu verlaſſen, denn wenn er auch ein eigentliches Viertheilen nicht ernſtlich zu beſorgen hatte, ſo konnte doch, wenn er trotzig blieb, der eine oder der andere von ſeinen Gläubigern den Verſuch machen, welchen Eindruck das Abſchneiden einzelner Theile, der Finger, Naſe, Ohren u. ſ. w. auf ihn machen würde, und der Schuldner und deſſen Ver- wandte, Freunde u. ſ. w. ließen es ſchwerlich zur wirklichen Probe kommen.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/176>, abgerufen am 23.11.2024.