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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Sklaven. §. 32.
Institut erst in späterer Zeit einen menschlicheren Charakter an-
genommen habe, weil erst in der Kaiserzeit eine humane An-
schauungsweise innerhalb der Gesetzgebung sichtbar
wird. Das Verhältniß möchte in Wirklichkeit gerade das ent-
gegengesetzte gewesen sein. Die Sitte sicherte dem Sklaven in
alter Zeit ein weit besseres Loos, als es die Gesetzgebung spä-
terhin nur irgend vermochte. 245) Meiner Ansicht nach müssen
wir in der Geschichte der römischen Sklaverei zwei Perioden
unterscheiden, nicht nach dem untergeordneten Gesichtspunkt,
wie die Gesetzgebung sich zu diesem Institut verhalten, son-
dern nach dem Zuschnitt und Charakter, den dasselbe zu den
verschiedenen Zeiten im Leben an sich trug.

Diese Verschiedenheit des realen Charakters der Sklaverei
in früherer und späterer Zeit hatte ihren Grund theils in Mo-
menten, die der Sklaverei eigenthümlich waren, theils in den
allgemeinen Unterschieden der frühern und spätern Zeit rück-
sichtlich des Volkscharakters, der Sitte u. s. w.

Ein Umstand, der für die faktische Gestaltung der Sklaverei
in Amerika von größtem Einfluß ist, insofern er zwischen Herrn
und Sklaven eine unübersteigliche Kluft offen hält, besteht be-
kanntlich in der Racen-Verschiedenheit zwischen Herrn und
Sklaven. Im ältern Rom war eine solche nicht vorhanden.
Der Sklav gehörte in der Regel einem benachbarten, nicht sel-
ten einem stammverwandten Volke an, stand mit seinem Herrn
auf derselben Bildungsstufe, vielleicht gar auf einer höhern,
kurz der Abstand zwischen beiden betraf nur das Rechtliche in
ihrer Stellung, nicht das rein Menschliche. Wie änderte sich

für milder hält! Auch Zimmern Gesch. des röm. Privatr. §. 180 läßt erst
"nach und nach den Zeitgeist mildernd eingreifen."
245) Die Beispiele schmählicher Grausamkeit und Unmenschlichkeit, nach
denen man sich seine Vorstellung von der römischen Sklaverei zuschneidet,
rühren, soweit ich sehen kann, alle erst aus der spätern Zeit.
12*

A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Sklaven. §. 32.
Inſtitut erſt in ſpäterer Zeit einen menſchlicheren Charakter an-
genommen habe, weil erſt in der Kaiſerzeit eine humane An-
ſchauungsweiſe innerhalb der Geſetzgebung ſichtbar
wird. Das Verhältniß möchte in Wirklichkeit gerade das ent-
gegengeſetzte geweſen ſein. Die Sitte ſicherte dem Sklaven in
alter Zeit ein weit beſſeres Loos, als es die Geſetzgebung ſpä-
terhin nur irgend vermochte. 245) Meiner Anſicht nach müſſen
wir in der Geſchichte der römiſchen Sklaverei zwei Perioden
unterſcheiden, nicht nach dem untergeordneten Geſichtspunkt,
wie die Geſetzgebung ſich zu dieſem Inſtitut verhalten, ſon-
dern nach dem Zuſchnitt und Charakter, den daſſelbe zu den
verſchiedenen Zeiten im Leben an ſich trug.

Dieſe Verſchiedenheit des realen Charakters der Sklaverei
in früherer und ſpäterer Zeit hatte ihren Grund theils in Mo-
menten, die der Sklaverei eigenthümlich waren, theils in den
allgemeinen Unterſchieden der frühern und ſpätern Zeit rück-
ſichtlich des Volkscharakters, der Sitte u. ſ. w.

Ein Umſtand, der für die faktiſche Geſtaltung der Sklaverei
in Amerika von größtem Einfluß iſt, inſofern er zwiſchen Herrn
und Sklaven eine unüberſteigliche Kluft offen hält, beſteht be-
kanntlich in der Racen-Verſchiedenheit zwiſchen Herrn und
Sklaven. Im ältern Rom war eine ſolche nicht vorhanden.
Der Sklav gehörte in der Regel einem benachbarten, nicht ſel-
ten einem ſtammverwandten Volke an, ſtand mit ſeinem Herrn
auf derſelben Bildungsſtufe, vielleicht gar auf einer höhern,
kurz der Abſtand zwiſchen beiden betraf nur das Rechtliche in
ihrer Stellung, nicht das rein Menſchliche. Wie änderte ſich

für milder hält! Auch Zimmern Geſch. des röm. Privatr. §. 180 läßt erſt
„nach und nach den Zeitgeiſt mildernd eingreifen.“
245) Die Beiſpiele ſchmählicher Grauſamkeit und Unmenſchlichkeit, nach
denen man ſich ſeine Vorſtellung von der römiſchen Sklaverei zuſchneidet,
rühren, ſoweit ich ſehen kann, alle erſt aus der ſpätern Zeit.
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[179/0193] A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Sklaven. §. 32. Inſtitut erſt in ſpäterer Zeit einen menſchlicheren Charakter an- genommen habe, weil erſt in der Kaiſerzeit eine humane An- ſchauungsweiſe innerhalb der Geſetzgebung ſichtbar wird. Das Verhältniß möchte in Wirklichkeit gerade das ent- gegengeſetzte geweſen ſein. Die Sitte ſicherte dem Sklaven in alter Zeit ein weit beſſeres Loos, als es die Geſetzgebung ſpä- terhin nur irgend vermochte. 245) Meiner Anſicht nach müſſen wir in der Geſchichte der römiſchen Sklaverei zwei Perioden unterſcheiden, nicht nach dem untergeordneten Geſichtspunkt, wie die Geſetzgebung ſich zu dieſem Inſtitut verhalten, ſon- dern nach dem Zuſchnitt und Charakter, den daſſelbe zu den verſchiedenen Zeiten im Leben an ſich trug. Dieſe Verſchiedenheit des realen Charakters der Sklaverei in früherer und ſpäterer Zeit hatte ihren Grund theils in Mo- menten, die der Sklaverei eigenthümlich waren, theils in den allgemeinen Unterſchieden der frühern und ſpätern Zeit rück- ſichtlich des Volkscharakters, der Sitte u. ſ. w. Ein Umſtand, der für die faktiſche Geſtaltung der Sklaverei in Amerika von größtem Einfluß iſt, inſofern er zwiſchen Herrn und Sklaven eine unüberſteigliche Kluft offen hält, beſteht be- kanntlich in der Racen-Verſchiedenheit zwiſchen Herrn und Sklaven. Im ältern Rom war eine ſolche nicht vorhanden. Der Sklav gehörte in der Regel einem benachbarten, nicht ſel- ten einem ſtammverwandten Volke an, ſtand mit ſeinem Herrn auf derſelben Bildungsſtufe, vielleicht gar auf einer höhern, kurz der Abſtand zwiſchen beiden betraf nur das Rechtliche in ihrer Stellung, nicht das rein Menſchliche. Wie änderte ſich 244) 245) Die Beiſpiele ſchmählicher Grauſamkeit und Unmenſchlichkeit, nach denen man ſich ſeine Vorſtellung von der römiſchen Sklaverei zuſchneidet, rühren, ſoweit ich ſehen kann, alle erſt aus der ſpätern Zeit. 244) für milder hält! Auch Zimmern Geſch. des röm. Privatr. §. 180 läßt erſt „nach und nach den Zeitgeiſt mildernd eingreifen.“ 12*

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/193>, abgerufen am 23.11.2024.