Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Die patr. pot. §. 32. Eben diese Erscheinung aber muß auf den richtigen Gesichts-punkt führen, unter dem die väterliche Gewalt aufzufassen ist. Sie zeigt nämlich, daß das Gesetz gegen das Loos der Kinder nicht theilnahmlos ist. Die Verwerthung des Kindes durch ein- und zweimaligen Verkauf konnte unter Umständen sich als gerechtfertigt oder verzeihlich denken lassen, die dreimalige Aus- übung dieses Rechts hingegen erschien dem Gesetz als ein ab- solut verwerflicher, schmählicher Mißbrauch der väterlichen Ge- walt, der den Innehaber fortan derselben unwürdig und ver- lustig machte. Also: das Gesetzerkannte es als Pflicht des Vaters an, sich dieses Mißbrauchs zu enthal- ten. Einen Mißbrauch des jus necis ac vitae würde das Gesetz viel weniger gebilligt haben; warum verbot es ihn nicht, wenn es den geringeren verbot? Offenbar weil es ihn nicht be- fürchtete. Die Römer scheinen eine Lösung des Bandes zwischen Vater Der Zustand, in den das Mancipium den Sohn brachte, 275) Wenn man jene Rechtsgeschäfte schon in früherer Zeit kannte und
also auch eine Form dafür besaß, wie konnte man auf den künstlichen, durch Worte der XII Tafeln, die hierauf gar keinen Bezug hatten, veranlaßten Umweg (Gaj. I. §. 132) verfallen? A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Die patr. pot. §. 32. Eben dieſe Erſcheinung aber muß auf den richtigen Geſichts-punkt führen, unter dem die väterliche Gewalt aufzufaſſen iſt. Sie zeigt nämlich, daß das Geſetz gegen das Loos der Kinder nicht theilnahmlos iſt. Die Verwerthung des Kindes durch ein- und zweimaligen Verkauf konnte unter Umſtänden ſich als gerechtfertigt oder verzeihlich denken laſſen, die dreimalige Aus- übung dieſes Rechts hingegen erſchien dem Geſetz als ein ab- ſolut verwerflicher, ſchmählicher Mißbrauch der väterlichen Ge- walt, der den Innehaber fortan derſelben unwürdig und ver- luſtig machte. Alſo: das Geſetzerkannte es als Pflicht des Vaters an, ſich dieſes Mißbrauchs zu enthal- ten. Einen Mißbrauch des jus necis ac vitae würde das Geſetz viel weniger gebilligt haben; warum verbot es ihn nicht, wenn es den geringeren verbot? Offenbar weil es ihn nicht be- fürchtete. Die Römer ſcheinen eine Löſung des Bandes zwiſchen Vater Der Zuſtand, in den das Mancipium den Sohn brachte, 275) Wenn man jene Rechtsgeſchäfte ſchon in früherer Zeit kannte und
alſo auch eine Form dafür beſaß, wie konnte man auf den künſtlichen, durch Worte der XII Tafeln, die hierauf gar keinen Bezug hatten, veranlaßten Umweg (Gaj. I. §. 132) verfallen? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <div n="8"> <p><pb facs="#f0205" n="191"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">A.</hi> Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Die <hi rendition="#aq">patr. pot.</hi> §. 32.</fw><lb/> Eben dieſe Erſcheinung aber muß auf den richtigen Geſichts-<lb/> punkt führen, unter dem die väterliche Gewalt aufzufaſſen iſt.<lb/> Sie zeigt nämlich, daß das Geſetz gegen das Loos der Kinder<lb/> nicht theilnahmlos iſt. Die Verwerthung des Kindes durch<lb/> ein- und zweimaligen Verkauf konnte unter Umſtänden ſich als<lb/> gerechtfertigt oder verzeihlich denken laſſen, die dreimalige Aus-<lb/> übung dieſes Rechts hingegen erſchien dem Geſetz als ein ab-<lb/> ſolut verwerflicher, ſchmählicher Mißbrauch der väterlichen Ge-<lb/> walt, der den Innehaber fortan derſelben unwürdig und ver-<lb/> luſtig machte. Alſo: <hi rendition="#g">das Geſetzerkannte es als Pflicht<lb/> des Vaters an, ſich dieſes Mißbrauchs zu enthal-<lb/> ten</hi>. Einen Mißbrauch des <hi rendition="#aq">jus necis ac vitae</hi> würde das Geſetz<lb/> viel weniger gebilligt haben; warum verbot es ihn nicht, wenn<lb/> es den geringeren verbot? Offenbar weil es ihn nicht be-<lb/> fürchtete.</p><lb/> <p>Die Römer ſcheinen eine Löſung des Bandes zwiſchen Vater<lb/> und Sohn, ſei es durch Verkauf, ſei es durch Freilaſſung, ſei<lb/> es durch Uebertragung der <hi rendition="#aq">patr. pot.</hi> auf einen Andern (<hi rendition="#aq">in adop-<lb/> tionem datio</hi>) nicht mit günſtigen Augen angeſehen zu haben.<lb/> Nach der Form dieſer beiden letzten Rechtsgeſchäfte zu ſchließen,<lb/> haben ſich dieſelben erſt nach den <hi rendition="#aq">XII</hi> Tafeln gebildet, <note place="foot" n="275)">Wenn man jene Rechtsgeſchäfte ſchon in früherer Zeit kannte und<lb/> alſo auch eine Form dafür beſaß, wie konnte man auf den künſtlichen, durch<lb/> Worte der <hi rendition="#aq">XII</hi> Tafeln, die hierauf gar keinen Bezug hatten, veranlaßten<lb/> Umweg (<hi rendition="#aq">Gaj. I.</hi> §. 132) verfallen?</note> und<lb/> wenn man bedenkt, daß ſie gegenüber der Bedeutung und Auf-<lb/> faſſung der Familie in alter Zeit etwas Unnatürliches enthal-<lb/> ten, läßt ſich dies auch wohl begreifen.</p><lb/> <p>Der Zuſtand, in den das Mancipium den Sohn brachte,<lb/> hatte nach Ausſage der Römer eine gewiſſe Aehnlichkeit mit der<lb/> Sklaverei, allein mehr faktiſch, als rechtlich. Denn in rechtlicher<lb/> Beziehung beſtanden ſehr weſentliche Verſchiedenheiten zwi-<lb/> ſchen beiden Verhältniſſen, namentlich die Verantwortlichkeit<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [191/0205]
A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Die patr. pot. §. 32.
Eben dieſe Erſcheinung aber muß auf den richtigen Geſichts-
punkt führen, unter dem die väterliche Gewalt aufzufaſſen iſt.
Sie zeigt nämlich, daß das Geſetz gegen das Loos der Kinder
nicht theilnahmlos iſt. Die Verwerthung des Kindes durch
ein- und zweimaligen Verkauf konnte unter Umſtänden ſich als
gerechtfertigt oder verzeihlich denken laſſen, die dreimalige Aus-
übung dieſes Rechts hingegen erſchien dem Geſetz als ein ab-
ſolut verwerflicher, ſchmählicher Mißbrauch der väterlichen Ge-
walt, der den Innehaber fortan derſelben unwürdig und ver-
luſtig machte. Alſo: das Geſetzerkannte es als Pflicht
des Vaters an, ſich dieſes Mißbrauchs zu enthal-
ten. Einen Mißbrauch des jus necis ac vitae würde das Geſetz
viel weniger gebilligt haben; warum verbot es ihn nicht, wenn
es den geringeren verbot? Offenbar weil es ihn nicht be-
fürchtete.
Die Römer ſcheinen eine Löſung des Bandes zwiſchen Vater
und Sohn, ſei es durch Verkauf, ſei es durch Freilaſſung, ſei
es durch Uebertragung der patr. pot. auf einen Andern (in adop-
tionem datio) nicht mit günſtigen Augen angeſehen zu haben.
Nach der Form dieſer beiden letzten Rechtsgeſchäfte zu ſchließen,
haben ſich dieſelben erſt nach den XII Tafeln gebildet, 275) und
wenn man bedenkt, daß ſie gegenüber der Bedeutung und Auf-
faſſung der Familie in alter Zeit etwas Unnatürliches enthal-
ten, läßt ſich dies auch wohl begreifen.
Der Zuſtand, in den das Mancipium den Sohn brachte,
hatte nach Ausſage der Römer eine gewiſſe Aehnlichkeit mit der
Sklaverei, allein mehr faktiſch, als rechtlich. Denn in rechtlicher
Beziehung beſtanden ſehr weſentliche Verſchiedenheiten zwi-
ſchen beiden Verhältniſſen, namentlich die Verantwortlichkeit
275) Wenn man jene Rechtsgeſchäfte ſchon in früherer Zeit kannte und
alſo auch eine Form dafür beſaß, wie konnte man auf den künſtlichen, durch
Worte der XII Tafeln, die hierauf gar keinen Bezug hatten, veranlaßten
Umweg (Gaj. I. §. 132) verfallen?
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