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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Sinn derselben. §. 32.
Maße mit der Stellung des Hausherrn verbunden, daß sie im
einzelnen Fall durch eklatante Unfähigkeit zwar faktisch verscherzt
werden kann, aber nicht erst erworben zu werden braucht. Auch
wenn sie wankend geworden ist, kann der Hausherr, wenn er
sich seiner Macht bedienen will, sich selber helfen; von einer
Beihülfe des Staats war consequenterweise keine Rede. Thät-
liche
Widersetzlichkeit des Kindes gegen die Eltern galt als
furchtbarer, die Sacertät nach sich ziehender Frevel. 300)

Die ganze Gestaltung des Verhältnisses brachte es nothwen-
dig mit sich, daß der Hausherr der Schutzherr und Vertreter
der ihm unterworfenen Personen war. Ein Unrecht, das sie
von Fremden erlitten hatten, berechtigte nur ihn zur Klage, er
selbst galt juristisch als der Verletzte. Aber ebenso richtete sich
die Klage gegen ihn, wenn sie Dritten Unrecht zugefügt hatten.
In beiden Fällen stand es bei ihm, ob es zur Klage kommen
sollte, nur mußte er im letzten Fall, wenn er ihre Defension
ablehnte, sie dem Gegner zur Satisfaktion überantworten (noxae
dedere
). Auch nach dieser Seite hin hatte er es mithin in
seiner Hand, dem Recht den Eintritt über die Schwelle des
Hauses zu versagen, in seiner Person den Angriff aufzufangen.

So läßt sich also das römische Haus als eine durch die
hausherrliche Gewalt in sich abgeschlossene selbständige Welt
bezeichnen -- eine Dase innerhalb der dürren Rechtsschöpfung.
Wie die Natur die zartesten Theile gern mit schirmender Decke
umgibt, so hat hier die rauhe und harte Schale jener Gewalt
nur den Zweck, die zartesten Verhältnisse der sittlichen Existenz
gegen alle äußern Eingriffe zu schützen, jede nachtheilige Be-
rührung mit der Außenwelt, jeden prosaisch-juristischen Luftzug
abzuwehren und die freieste Entfaltung des innerlichen Lebens
zu ermöglichen.

Das ist es, was wir unter der innern, aus der Verfas-
sung des römischen Hauses folgenden Abgeschlossenheit desselben

300) Festus sub plorare.

A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Sinn derſelben. §. 32.
Maße mit der Stellung des Hausherrn verbunden, daß ſie im
einzelnen Fall durch eklatante Unfähigkeit zwar faktiſch verſcherzt
werden kann, aber nicht erſt erworben zu werden braucht. Auch
wenn ſie wankend geworden iſt, kann der Hausherr, wenn er
ſich ſeiner Macht bedienen will, ſich ſelber helfen; von einer
Beihülfe des Staats war conſequenterweiſe keine Rede. Thät-
liche
Widerſetzlichkeit des Kindes gegen die Eltern galt als
furchtbarer, die Sacertät nach ſich ziehender Frevel. 300)

Die ganze Geſtaltung des Verhältniſſes brachte es nothwen-
dig mit ſich, daß der Hausherr der Schutzherr und Vertreter
der ihm unterworfenen Perſonen war. Ein Unrecht, das ſie
von Fremden erlitten hatten, berechtigte nur ihn zur Klage, er
ſelbſt galt juriſtiſch als der Verletzte. Aber ebenſo richtete ſich
die Klage gegen ihn, wenn ſie Dritten Unrecht zugefügt hatten.
In beiden Fällen ſtand es bei ihm, ob es zur Klage kommen
ſollte, nur mußte er im letzten Fall, wenn er ihre Defenſion
ablehnte, ſie dem Gegner zur Satisfaktion überantworten (noxae
dedere
). Auch nach dieſer Seite hin hatte er es mithin in
ſeiner Hand, dem Recht den Eintritt über die Schwelle des
Hauſes zu verſagen, in ſeiner Perſon den Angriff aufzufangen.

So läßt ſich alſo das römiſche Haus als eine durch die
hausherrliche Gewalt in ſich abgeſchloſſene ſelbſtändige Welt
bezeichnen — eine Daſe innerhalb der dürren Rechtsſchöpfung.
Wie die Natur die zarteſten Theile gern mit ſchirmender Decke
umgibt, ſo hat hier die rauhe und harte Schale jener Gewalt
nur den Zweck, die zarteſten Verhältniſſe der ſittlichen Exiſtenz
gegen alle äußern Eingriffe zu ſchützen, jede nachtheilige Be-
rührung mit der Außenwelt, jeden proſaiſch-juriſtiſchen Luftzug
abzuwehren und die freieſte Entfaltung des innerlichen Lebens
zu ermöglichen.

Das iſt es, was wir unter der innern, aus der Verfaſ-
ſung des römiſchen Hauſes folgenden Abgeſchloſſenheit deſſelben

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[203/0217] A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Sinn derſelben. §. 32. Maße mit der Stellung des Hausherrn verbunden, daß ſie im einzelnen Fall durch eklatante Unfähigkeit zwar faktiſch verſcherzt werden kann, aber nicht erſt erworben zu werden braucht. Auch wenn ſie wankend geworden iſt, kann der Hausherr, wenn er ſich ſeiner Macht bedienen will, ſich ſelber helfen; von einer Beihülfe des Staats war conſequenterweiſe keine Rede. Thät- liche Widerſetzlichkeit des Kindes gegen die Eltern galt als furchtbarer, die Sacertät nach ſich ziehender Frevel. 300) Die ganze Geſtaltung des Verhältniſſes brachte es nothwen- dig mit ſich, daß der Hausherr der Schutzherr und Vertreter der ihm unterworfenen Perſonen war. Ein Unrecht, das ſie von Fremden erlitten hatten, berechtigte nur ihn zur Klage, er ſelbſt galt juriſtiſch als der Verletzte. Aber ebenſo richtete ſich die Klage gegen ihn, wenn ſie Dritten Unrecht zugefügt hatten. In beiden Fällen ſtand es bei ihm, ob es zur Klage kommen ſollte, nur mußte er im letzten Fall, wenn er ihre Defenſion ablehnte, ſie dem Gegner zur Satisfaktion überantworten (noxae dedere). Auch nach dieſer Seite hin hatte er es mithin in ſeiner Hand, dem Recht den Eintritt über die Schwelle des Hauſes zu verſagen, in ſeiner Perſon den Angriff aufzufangen. So läßt ſich alſo das römiſche Haus als eine durch die hausherrliche Gewalt in ſich abgeſchloſſene ſelbſtändige Welt bezeichnen — eine Daſe innerhalb der dürren Rechtsſchöpfung. Wie die Natur die zarteſten Theile gern mit ſchirmender Decke umgibt, ſo hat hier die rauhe und harte Schale jener Gewalt nur den Zweck, die zarteſten Verhältniſſe der ſittlichen Exiſtenz gegen alle äußern Eingriffe zu ſchützen, jede nachtheilige Be- rührung mit der Außenwelt, jeden proſaiſch-juriſtiſchen Luftzug abzuwehren und die freieſte Entfaltung des innerlichen Lebens zu ermöglichen. Das iſt es, was wir unter der innern, aus der Verfaſ- ſung des römiſchen Hauſes folgenden Abgeſchloſſenheit deſſelben 300) Festus sub plorare.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/217>, abgerufen am 24.11.2024.