Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Das Familienleben. §. 32. Buche geschilderten Gentilverfassung erscheint dieser Gedankegeradezu als staatsrechtlich-constitutives Prinzip. Gleichgültig- keit der Römer gegen die Familie! -- es läßt sich kaum etwas so ausgesucht Verkehrtes denken. Bei den Römern, wo der Uebergang in eine fremde Familie und der Austritt aus der bisherigen eine capitis deminutio begründete! Was heißt das denn anders, als: die Familie ist der Inbegriff alles Glückes und Rechts, Familie verloren, alles verloren? Bei den Rö- mern, wo die Verwandten im Leben einen durch die Sitte ge- sicherten Einfluß ausübten, von dem wir, die wir auf unsere "Familienliebe" pochen, keine Ahnung mehr haben? Aber gerade dies Moment der Liebe, wird man sagen, dies gebricht den Römern. Als ob jener Familienverfassung der ältesten Zeit nicht ein sittliches Motiv der Anhänglichkeit, Treue, kurz der Familienliebe zu Grunde läge, und als ob, ganz abgesehen hiervon, die Liebe sich in den Gesetzen zeigen müßte! In ihnen ist allerdings für das gegenwärtige System von Liebe nichts zu entdecken, sondern sie halten sich an die abstracte, aller sittlichen Beziehungen zu der Familie entbundene Person. Von der Continuität der Geschlechter, von dem Zusammenhange der Familie u. s. w. ist in dem abstracten Recht keine Rede; hier galt als höchste Aufgabe, das Sublimat der reinen, atomisti- schen Persönlichkeit zu gewinnen, alle fremdartigen Sub- stanzen aber zu verflüchtigen. Aber nicht etwa in der Meinung, um die römische Welt mit solchen abstracten Personen, richtiger Kobolden zu bevölkern, die dieselbe sofort dem Untergange entge- gengeführt haben würden, sondern um dem freien Walten des sittlichen Geistes eine Aufgabe zu überlassen, die auch eine noch so schulmeisterliche Gesetzgebung nicht ganz wird entbehrlich machen können, die Aufgabe nämlich, aus jenen dürren Ske- letten Menschen, Römer, aus dem Aggregat der Atome sittliche Gemeinschaften zu machen. Die Sitte also ist es, die richten muß. Und wenn wir dann A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Das Familienleben. §. 32. Buche geſchilderten Gentilverfaſſung erſcheint dieſer Gedankegeradezu als ſtaatsrechtlich-conſtitutives Prinzip. Gleichgültig- keit der Römer gegen die Familie! — es läßt ſich kaum etwas ſo ausgeſucht Verkehrtes denken. Bei den Römern, wo der Uebergang in eine fremde Familie und der Austritt aus der bisherigen eine capitis deminutio begründete! Was heißt das denn anders, als: die Familie iſt der Inbegriff alles Glückes und Rechts, Familie verloren, alles verloren? Bei den Rö- mern, wo die Verwandten im Leben einen durch die Sitte ge- ſicherten Einfluß ausübten, von dem wir, die wir auf unſere „Familienliebe“ pochen, keine Ahnung mehr haben? Aber gerade dies Moment der Liebe, wird man ſagen, dies gebricht den Römern. Als ob jener Familienverfaſſung der älteſten Zeit nicht ein ſittliches Motiv der Anhänglichkeit, Treue, kurz der Familienliebe zu Grunde läge, und als ob, ganz abgeſehen hiervon, die Liebe ſich in den Geſetzen zeigen müßte! In ihnen iſt allerdings für das gegenwärtige Syſtem von Liebe nichts zu entdecken, ſondern ſie halten ſich an die abſtracte, aller ſittlichen Beziehungen zu der Familie entbundene Perſon. Von der Continuität der Geſchlechter, von dem Zuſammenhange der Familie u. ſ. w. iſt in dem abſtracten Recht keine Rede; hier galt als höchſte Aufgabe, das Sublimat der reinen, atomiſti- ſchen Perſönlichkeit zu gewinnen, alle fremdartigen Sub- ſtanzen aber zu verflüchtigen. Aber nicht etwa in der Meinung, um die römiſche Welt mit ſolchen abſtracten Perſonen, richtiger Kobolden zu bevölkern, die dieſelbe ſofort dem Untergange entge- gengeführt haben würden, ſondern um dem freien Walten des ſittlichen Geiſtes eine Aufgabe zu überlaſſen, die auch eine noch ſo ſchulmeiſterliche Geſetzgebung nicht ganz wird entbehrlich machen können, die Aufgabe nämlich, aus jenen dürren Ske- letten Menſchen, Römer, aus dem Aggregat der Atome ſittliche Gemeinſchaften zu machen. Die Sitte alſo iſt es, die richten muß. 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A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Das Familienleben. §. 32.
Buche geſchilderten Gentilverfaſſung erſcheint dieſer Gedanke
geradezu als ſtaatsrechtlich-conſtitutives Prinzip. Gleichgültig-
keit der Römer gegen die Familie! — es läßt ſich kaum etwas
ſo ausgeſucht Verkehrtes denken. Bei den Römern, wo der
Uebergang in eine fremde Familie und der Austritt aus der
bisherigen eine capitis deminutio begründete! Was heißt das
denn anders, als: die Familie iſt der Inbegriff alles Glückes
und Rechts, Familie verloren, alles verloren? Bei den Rö-
mern, wo die Verwandten im Leben einen durch die Sitte ge-
ſicherten Einfluß ausübten, von dem wir, die wir auf unſere
„Familienliebe“ pochen, keine Ahnung mehr haben? Aber gerade
dies Moment der Liebe, wird man ſagen, dies gebricht
den Römern. Als ob jener Familienverfaſſung der älteſten
Zeit nicht ein ſittliches Motiv der Anhänglichkeit, Treue, kurz
der Familienliebe zu Grunde läge, und als ob, ganz abgeſehen
hiervon, die Liebe ſich in den Geſetzen zeigen müßte! In ihnen
iſt allerdings für das gegenwärtige Syſtem von Liebe nichts
zu entdecken, ſondern ſie halten ſich an die abſtracte, aller
ſittlichen Beziehungen zu der Familie entbundene Perſon. Von
der Continuität der Geſchlechter, von dem Zuſammenhange der
Familie u. ſ. w. iſt in dem abſtracten Recht keine Rede; hier galt
als höchſte Aufgabe, das Sublimat der reinen, atomiſti-
ſchen Perſönlichkeit zu gewinnen, alle fremdartigen Sub-
ſtanzen aber zu verflüchtigen. Aber nicht etwa in der Meinung,
um die römiſche Welt mit ſolchen abſtracten Perſonen, richtiger
Kobolden zu bevölkern, die dieſelbe ſofort dem Untergange entge-
gengeführt haben würden, ſondern um dem freien Walten des
ſittlichen Geiſtes eine Aufgabe zu überlaſſen, die auch eine noch
ſo ſchulmeiſterliche Geſetzgebung nicht ganz wird entbehrlich
machen können, die Aufgabe nämlich, aus jenen dürren Ske-
letten Menſchen, Römer, aus dem Aggregat der Atome ſittliche
Gemeinſchaften zu machen.
Die Sitte alſo iſt es, die richten muß. Und wenn wir dann
fragen, wie war das Familienleben der Römer in alter Zeit,
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