Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Das Familienleben. §. 32. Gegenwart das weibliche Geschlecht höher stellen, demselbeneine größere Achtung und Verehrung erweisen können, als die vermeintlich so rohen Römer. Das weibliche Geschlecht war ih- rer Ansicht nach dem männlichen nicht bloß völlig ebenbürtig und daher in socialer Beziehung nicht zurückgesetzt, 306) wie bei allen vorrömischen Völkern, sondern es war ein Gegenstand höhe- rer Achtung, es stand eine Stufe über dem männlichen. Die Strenge, mit der man darauf hielt, daß das Dekorum so- wohl gegen Frauenzimmer, 307) als von denselben 308) bewahrt wurde, die Empfindlichkeit, die man in letzterer Beziehung be- wies, die höhere sittliche Reinheit und Fleckenlosigkeit, 309) die manorum pudet uxorem ducere in convivium, aut cujus non mater- familias primum locum tenet aedium atque in celebritate versatur? Quod multo fit aliter in Graecia, nam neque in convivium adhibetur nisi propinquorum, neque sedet nisi in interiore parte aedium, quae gunaiko- nitis appellatur, quo nemo accedit nisi propinqua cognatione conjunctus. 306) Gallus von Becker B. 2, S. 6. 307) Bei K. Wächter über Ehescheidungen bei den Römern S. 11 u. fl. sind mehre Züge mitgetheilt, z. B. man sollte ihnen auf der Straße aus dem Wege gehen, der Liktor konnte jeden, selbst den Vater des Consuln, aus dem Wege räumen, nur Matronen nicht; es war streng verboten, in ihrer Gegen- wart etwas Unanständiges zu sagen oder zu thun; bei der in jus vocatio durfte man sie nicht berühren u. s. w. 308) Von der ungewöhnlichen Strenge in dieser Beziehung gibt Val. Max. VI. 3. 9--12 mehre eklatante Proben. Die Römer waren überhaupt, was den äußern Anstand und den guten Ton anbetrifft, weit empfindlicher, als man sie sich vorstellt, vielleicht in höherem Grade, als wir es sind. So ward z. B. ein Senator vom Censor aus dem Senat gestoßen, weil er seine Frau ge- küßt hatte in Gegenwart seiner erwachsenen Tochter. Plut. Cato major c. 17. Cic. de off. I. 35. Val. Max. II. 1. 7 ... nec pater cum filio pubere, nec socer cum genero lavabatur .. quia inter ista tam sancta vincula non minus quam in aliquo sacrato loco nudare se nefas esse credebatur. So ferner ibid. VI. 1. 8 promissorum matrifamilias nummorum gratia (stu- prosa mente) diem ad populum dixit eumque hoc uno crimine damnando. 309) Keuschheit verlangt auch der Orientale von seiner Frau, aber nicht in ihrem, sondern in seinem Interesse. In Rom begehrte man die Keuschheit der Frau ihrer selbst wegen, der Verlust derselben galt für ein schlimmeres Uebel, als der des Lebens, darum tödtete Virginius seine Tochter, darum Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 14
A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Das Familienleben. §. 32. Gegenwart das weibliche Geſchlecht höher ſtellen, demſelbeneine größere Achtung und Verehrung erweiſen können, als die vermeintlich ſo rohen Römer. Das weibliche Geſchlecht war ih- rer Anſicht nach dem männlichen nicht bloß völlig ebenbürtig und daher in ſocialer Beziehung nicht zurückgeſetzt, 306) wie bei allen vorrömiſchen Völkern, ſondern es war ein Gegenſtand höhe- rer Achtung, es ſtand eine Stufe über dem männlichen. Die Strenge, mit der man darauf hielt, daß das Dekorum ſo- wohl gegen Frauenzimmer, 307) als von denſelben 308) bewahrt wurde, die Empfindlichkeit, die man in letzterer Beziehung be- wies, die höhere ſittliche Reinheit und Fleckenloſigkeit, 309) die manorum pudet uxorem ducere in convivium, aut cujus non mater- familias primum locum tenet aedium atque in celebritate versatur? Quod multo fit aliter in Graecia, nam neque in convivium adhibetur nisi propinquorum, neque sedet nisi in interiore parte aedium, quae γυναικω- νῖτις appellatur, quo nemo accedit nisi propinqua cognatione conjunctus. 306) Gallus von Becker B. 2, S. 6. 307) Bei K. Wächter über Eheſcheidungen bei den Römern S. 11 u. fl. ſind mehre Züge mitgetheilt, z. B. man ſollte ihnen auf der Straße aus dem Wege gehen, der Liktor konnte jeden, ſelbſt den Vater des Conſuln, aus dem Wege räumen, nur Matronen nicht; es war ſtreng verboten, in ihrer Gegen- wart etwas Unanſtändiges zu ſagen oder zu thun; bei der in jus vocatio durfte man ſie nicht berühren u. ſ. w. 308) Von der ungewöhnlichen Strenge in dieſer Beziehung gibt Val. Max. VI. 3. 9—12 mehre eklatante Proben. Die Römer waren überhaupt, was den äußern Anſtand und den guten Ton anbetrifft, weit empfindlicher, als man ſie ſich vorſtellt, vielleicht in höherem Grade, als wir es ſind. So ward z. B. ein Senator vom Cenſor aus dem Senat geſtoßen, weil er ſeine Frau ge- küßt hatte in Gegenwart ſeiner erwachſenen Tochter. Plut. Cato major c. 17. Cic. de off. I. 35. Val. Max. II. 1. 7 … nec pater cum filio pubere, nec socer cum genero lavabatur .. quia inter ista tam sancta vincula non minus quam in aliquo sacrato loco nudare se nefas esse credebatur. So ferner ibid. VI. 1. 8 promissorum matrifamilias nummorum gratia (stu- prosa mente) diem ad populum dixit eumque hoc uno crimine damnando. 309) Keuſchheit verlangt auch der Orientale von ſeiner Frau, aber nicht in ihrem, ſondern in ſeinem Intereſſe. In Rom begehrte man die Keuſchheit der Frau ihrer ſelbſt wegen, der Verluſt derſelben galt für ein ſchlimmeres Uebel, als der des Lebens, darum tödtete Virginius ſeine Tochter, darum Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. II. 14
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A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Das Familienleben. §. 32.
Gegenwart das weibliche Geſchlecht höher ſtellen, demſelben
eine größere Achtung und Verehrung erweiſen können, als die
vermeintlich ſo rohen Römer. Das weibliche Geſchlecht war ih-
rer Anſicht nach dem männlichen nicht bloß völlig ebenbürtig und
daher in ſocialer Beziehung nicht zurückgeſetzt, 306) wie bei allen
vorrömiſchen Völkern, ſondern es war ein Gegenſtand höhe-
rer Achtung, es ſtand eine Stufe über dem männlichen. Die
Strenge, mit der man darauf hielt, daß das Dekorum ſo-
wohl gegen Frauenzimmer, 307) als von denſelben 308) bewahrt
wurde, die Empfindlichkeit, die man in letzterer Beziehung be-
wies, die höhere ſittliche Reinheit und Fleckenloſigkeit, 309) die
305)
306) Gallus von Becker B. 2, S. 6.
307) Bei K. Wächter über Eheſcheidungen bei den Römern S. 11 u. fl.
ſind mehre Züge mitgetheilt, z. B. man ſollte ihnen auf der Straße aus dem
Wege gehen, der Liktor konnte jeden, ſelbſt den Vater des Conſuln, aus dem
Wege räumen, nur Matronen nicht; es war ſtreng verboten, in ihrer Gegen-
wart etwas Unanſtändiges zu ſagen oder zu thun; bei der in jus vocatio
durfte man ſie nicht berühren u. ſ. w.
308) Von der ungewöhnlichen Strenge in dieſer Beziehung gibt Val.
Max. VI. 3. 9—12 mehre eklatante Proben. Die Römer waren überhaupt,
was den äußern Anſtand und den guten Ton anbetrifft, weit empfindlicher, als
man ſie ſich vorſtellt, vielleicht in höherem Grade, als wir es ſind. So ward
z. B. ein Senator vom Cenſor aus dem Senat geſtoßen, weil er ſeine Frau ge-
küßt hatte in Gegenwart ſeiner erwachſenen Tochter. Plut. Cato major c. 17.
Cic. de off. I. 35. Val. Max. II. 1. 7 … nec pater cum filio pubere, nec
socer cum genero lavabatur .. quia inter ista tam sancta vincula non
minus quam in aliquo sacrato loco nudare se nefas esse credebatur. So
ferner ibid. VI. 1. 8 promissorum matrifamilias nummorum gratia (stu-
prosa mente) diem ad populum dixit eumque hoc uno crimine damnando.
309) Keuſchheit verlangt auch der Orientale von ſeiner Frau, aber nicht
in ihrem, ſondern in ſeinem Intereſſe. In Rom begehrte man die Keuſchheit
der Frau ihrer ſelbſt wegen, der Verluſt derſelben galt für ein ſchlimmeres
Uebel, als der des Lebens, darum tödtete Virginius ſeine Tochter, darum
305) manorum pudet uxorem ducere in convivium, aut cujus non mater-
familias primum locum tenet aedium atque in celebritate versatur?
Quod multo fit aliter in Graecia, nam neque in convivium adhibetur nisi
propinquorum, neque sedet nisi in interiore parte aedium, quae γυναικω-
νῖτις appellatur, quo nemo accedit nisi propinqua cognatione conjunctus.
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. II. 14
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