Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.A. Stellung des Indiv. Die Freiheit eine Schranke der Willkühr. §. 33. sollten, wurden in Wirklichkeit zu Werkzeugen der Unfreiheit,zu Ketten und Banden, unter denen die subjektive Freiheit zu erliegen drohte. Diese Möglichkeit einer Selbstvernichtung scheint, wie ge- Das römische Recht gewährt uns für die vorliegende Frage A. Stellung des Indiv. Die Freiheit eine Schranke der Willkühr. §. 33. ſollten, wurden in Wirklichkeit zu Werkzeugen der Unfreiheit,zu Ketten und Banden, unter denen die ſubjektive Freiheit zu erliegen drohte. Dieſe Möglichkeit einer Selbſtvernichtung ſcheint, wie ge- Das römiſche Recht gewährt uns für die vorliegende Frage <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p><pb facs="#f0237" n="223"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">A.</hi> Stellung des Indiv. Die Freiheit eine Schranke der Willkühr. §. 33.</fw><lb/> ſollten, wurden in Wirklichkeit zu Werkzeugen der Unfreiheit,<lb/> zu Ketten und Banden, unter denen die ſubjektive Freiheit zu<lb/> erliegen drohte.</p><lb/> <p>Dieſe Möglichkeit einer Selbſtvernichtung ſcheint, wie ge-<lb/> ſagt, im Weſen der Freiheit begründet, und damit der Beweis<lb/> erbracht, daß die Freiheit in ihrer vollen Conſequenz praktiſch<lb/> unausführbar, einer Beſchränkung von Seiten der legislativen<lb/> Gewalt bedürftig iſt. Das iſt aber nur Schein; er verſchwin-<lb/> det, ſowie man nur den Freiheitsbegriff richtig erfaßt. Der<lb/> Anſpruch des Individuums auf die <hi rendition="#g">rechtliche</hi> Freiheit ſtützte<lb/> ſich, wie wir §. 30 nachzuweiſen verſuchten, auf eine ethiſche<lb/> Grundlage, — den ſchöpferiſchen Beruf der Perſönlichkeit. Dar-<lb/> aus ergibt ſich zunächſt für das Individuum der Geſichtspunkt,<lb/> daß ſein <hi rendition="#g">Recht</hi> auf Freiheit zugleich eine <hi rendition="#g">Pflicht</hi> iſt, für den<lb/> Staat aber, daß er nur dieſe wahre, ethiſch berechtigte Freiheit<lb/> des Subjekts anzuerkennen und zu verwirklichen hat. Seine<lb/> Aufgabe der Freiheit des Subjekts gegenüber iſt alſo nicht eine<lb/> bloß negative, ein Gewährenlaſſen, ein Nichteingreifen in ein<lb/> fremdes Gebiet, ſeine Stellung nicht die des indifferenten Zu-<lb/> ſchauers; ſondern ſeine Aufgabe iſt weſentlich poſitiver Art:<lb/> Verwirklichung der rechtlichen Freiheit, Sicherſtellung derſelben<lb/> gegen die Gefahr einer Unterdrückung oder Entziehung, drohe<lb/> dieſelbe von außen oder von Seiten des Subjekts ſelbſt (Selbſt-<lb/> vernichtung der Freiheit). Darin eine dem Begriff der Freiheit<lb/> widerſtrebende Bevormundung von Seiten des Staats zu erbli-<lb/> cken, iſt nur möglich, wenn man weder der Freiheit, noch dem<lb/> Staat eine ſittliche Beſtimmung zuſchreibt.</p><lb/> <p>Das römiſche Recht gewährt uns für die vorliegende Frage<lb/> ein höchſt inſtructives Beiſpiel, das uns aller ferneren allgemei-<lb/> nen Betrachtungen überhebt; man möge daran zugleich erkennen,<lb/> mit welcher Gedankenloſigkeit und Oberflächlichkeit man mitunter<lb/> über daſſelbe abgeurtheilt hat. Blinde Lobredner des germani-<lb/> ſchen Rechts, die den Balken im eigenen Auge überſahen und<lb/> den Splitter im Auge des Nächſten erkannten, haben gerade die<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [223/0237]
A. Stellung des Indiv. Die Freiheit eine Schranke der Willkühr. §. 33.
ſollten, wurden in Wirklichkeit zu Werkzeugen der Unfreiheit,
zu Ketten und Banden, unter denen die ſubjektive Freiheit zu
erliegen drohte.
Dieſe Möglichkeit einer Selbſtvernichtung ſcheint, wie ge-
ſagt, im Weſen der Freiheit begründet, und damit der Beweis
erbracht, daß die Freiheit in ihrer vollen Conſequenz praktiſch
unausführbar, einer Beſchränkung von Seiten der legislativen
Gewalt bedürftig iſt. Das iſt aber nur Schein; er verſchwin-
det, ſowie man nur den Freiheitsbegriff richtig erfaßt. Der
Anſpruch des Individuums auf die rechtliche Freiheit ſtützte
ſich, wie wir §. 30 nachzuweiſen verſuchten, auf eine ethiſche
Grundlage, — den ſchöpferiſchen Beruf der Perſönlichkeit. Dar-
aus ergibt ſich zunächſt für das Individuum der Geſichtspunkt,
daß ſein Recht auf Freiheit zugleich eine Pflicht iſt, für den
Staat aber, daß er nur dieſe wahre, ethiſch berechtigte Freiheit
des Subjekts anzuerkennen und zu verwirklichen hat. Seine
Aufgabe der Freiheit des Subjekts gegenüber iſt alſo nicht eine
bloß negative, ein Gewährenlaſſen, ein Nichteingreifen in ein
fremdes Gebiet, ſeine Stellung nicht die des indifferenten Zu-
ſchauers; ſondern ſeine Aufgabe iſt weſentlich poſitiver Art:
Verwirklichung der rechtlichen Freiheit, Sicherſtellung derſelben
gegen die Gefahr einer Unterdrückung oder Entziehung, drohe
dieſelbe von außen oder von Seiten des Subjekts ſelbſt (Selbſt-
vernichtung der Freiheit). Darin eine dem Begriff der Freiheit
widerſtrebende Bevormundung von Seiten des Staats zu erbli-
cken, iſt nur möglich, wenn man weder der Freiheit, noch dem
Staat eine ſittliche Beſtimmung zuſchreibt.
Das römiſche Recht gewährt uns für die vorliegende Frage
ein höchſt inſtructives Beiſpiel, das uns aller ferneren allgemei-
nen Betrachtungen überhebt; man möge daran zugleich erkennen,
mit welcher Gedankenloſigkeit und Oberflächlichkeit man mitunter
über daſſelbe abgeurtheilt hat. Blinde Lobredner des germani-
ſchen Rechts, die den Balken im eigenen Auge überſahen und
den Splitter im Auge des Nächſten erkannten, haben gerade die
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