Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.Zweit. Buch. Erst. Abschn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. vorübergehende Verhältnisse dieser Art ist die Obligatio ebensosehr die entsprechende Form, wie sie bei ihrer Empfindlichkeit gegen den Wechsel der Besitzer und der Generationen für jene Verhältnisse durchaus ungeeignet sein würde. Die Garantie, die bei den Personalservituten ganz abgesehn von allem Inhalt in dem Moment der Vergänglichkeit lag, mußte hier bei den Prädialservituten durch Beschränkung des Inhalts der Ser- vitut erreicht werden, und zwar geschah dies in der Weise, daß man den Gesichtspunkt festhielt: die Prädialservituten haben nicht den Zweck, dem Besitzer Vortheile zuzuwenden, die von dem Besitz eines Grundstücks unabhängig sein könnten, die ihm bloß persönlich einen Gewinn oder eine Annehmlichkeit gewäh- ren würden, sondern sie sollen ein Interesse der Sache selbst befriedigen, ihr, so zu sagen, behülflich sein, ihre öko- nomische Bestimmung zu erreichen. Welcher Servituten- inhalt nach diesem Gesichtspunkt möglich sei, hatte die Praxis entschieden; es läßt sich denken, daß auch hier wie überall eine allmählige Entwicklung Statt fand, daß man die Servitut ur- sprünglich mehr auf die Fälle eines eigentlichen Bedürfnisses einschränkte (Weggerechtigkeiten und Wasserservituten), später aber jenen Gesichtspunkt mit größerer Freiheit handhabte.359) 359) So daß also namentlich die servitutes praed. urban. spätern Ur-
sprungs wären, was ich schon aus dem Bd. 1. S. 207 angegebenen Grunde für wahrscheinlich halte. Ich meine, man muß bei den Servituten davon ausgehen, daß ein unmittelbares Bedürfniß sie hervorgetrieben hat, dies ist bei den im Text genannten der Fall; die übrigen S. P. R., so wie sämmt- liche S. P. U. konnten höchstens auf ein hypothetisches Bedürfniß fußen (d. h. wenn ich gerade so und gerade an dieser Stelle bauen, für mein Vieh nicht auf meinem eigenen Landgut Waiden einrichten wollte u. s. w.), also auf einen Grund, der in der Hand der Parthei selbst lag. Der Strenge des alten Rechts gegenüber kann ich darin nur Concessionen gegen eine nach freierer Bewegung und größerer Behaglichkeit verlangenden Zeit erblicken. Diese An- sicht ist übrigens bereits von Andern ausführlicher begründet, und genügt es hier Bezug zu nehmen auf E. Zachariä v. Lingenthal über die Unterscheidung zwischen servit. rust. und urb. und R. Elvers die Servitutenlehre Bd. 1 S. 1--16. Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. vorübergehende Verhältniſſe dieſer Art iſt die Obligatio ebenſoſehr die entſprechende Form, wie ſie bei ihrer Empfindlichkeit gegen den Wechſel der Beſitzer und der Generationen für jene Verhältniſſe durchaus ungeeignet ſein würde. Die Garantie, die bei den Perſonalſervituten ganz abgeſehn von allem Inhalt in dem Moment der Vergänglichkeit lag, mußte hier bei den Prädialſervituten durch Beſchränkung des Inhalts der Ser- vitut erreicht werden, und zwar geſchah dies in der Weiſe, daß man den Geſichtspunkt feſthielt: die Prädialſervituten haben nicht den Zweck, dem Beſitzer Vortheile zuzuwenden, die von dem Beſitz eines Grundſtücks unabhängig ſein könnten, die ihm bloß perſönlich einen Gewinn oder eine Annehmlichkeit gewäh- ren würden, ſondern ſie ſollen ein Intereſſe der Sache ſelbſt befriedigen, ihr, ſo zu ſagen, behülflich ſein, ihre öko- nomiſche Beſtimmung zu erreichen. Welcher Servituten- inhalt nach dieſem Geſichtspunkt möglich ſei, hatte die Praxis entſchieden; es läßt ſich denken, daß auch hier wie überall eine allmählige Entwicklung Statt fand, daß man die Servitut ur- ſprünglich mehr auf die Fälle eines eigentlichen Bedürfniſſes einſchränkte (Weggerechtigkeiten und Waſſerſervituten), ſpäter aber jenen Geſichtspunkt mit größerer Freiheit handhabte.359) 359) So daß alſo namentlich die servitutes praed. urban. ſpätern Ur-
ſprungs wären, was ich ſchon aus dem Bd. 1. S. 207 angegebenen Grunde für wahrſcheinlich halte. Ich meine, man muß bei den Servituten davon ausgehen, daß ein unmittelbares Bedürfniß ſie hervorgetrieben hat, dies iſt bei den im Text genannten der Fall; die übrigen S. P. R., ſo wie ſämmt- liche S. P. U. konnten höchſtens auf ein hypothetiſches Bedürfniß fußen (d. h. wenn ich gerade ſo und gerade an dieſer Stelle bauen, für mein Vieh nicht auf meinem eigenen Landgut Waiden einrichten wollte u. ſ. w.), alſo auf einen Grund, der in der Hand der Parthei ſelbſt lag. Der Strenge des alten Rechts gegenüber kann ich darin nur Conceſſionen gegen eine nach freierer Bewegung und größerer Behaglichkeit verlangenden Zeit erblicken. Dieſe An- ſicht iſt übrigens bereits von Andern ausführlicher begründet, und genügt es hier Bezug zu nehmen auf E. Zachariä v. Lingenthal über die Unterſcheidung zwiſchen servit. rust. und urb. und R. Elvers die Servitutenlehre Bd. 1 S. 1—16. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p><pb facs="#f0250" n="236"/><fw place="top" type="header">Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. <hi rendition="#aq">II.</hi> Die Grundtriebe. <hi rendition="#aq">III.</hi> Der Freiheitstrieb.</fw><lb/> vorübergehende Verhältniſſe dieſer Art iſt die Obligatio ebenſo<lb/> ſehr die entſprechende Form, wie ſie bei ihrer Empfindlichkeit<lb/> gegen den Wechſel der Beſitzer und der Generationen für jene<lb/> Verhältniſſe durchaus ungeeignet ſein würde. Die Garantie,<lb/> die bei den Perſonalſervituten ganz abgeſehn von allem Inhalt<lb/> in dem Moment der Vergänglichkeit lag, mußte hier bei den<lb/> Prädialſervituten durch Beſchränkung des <hi rendition="#g">Inhalts</hi> der Ser-<lb/> vitut erreicht werden, und zwar geſchah dies in der Weiſe, daß<lb/> man den Geſichtspunkt feſthielt: die Prädialſervituten haben<lb/> nicht den Zweck, dem Beſitzer Vortheile zuzuwenden, die von<lb/> dem Beſitz eines Grundſtücks unabhängig ſein könnten, die ihm<lb/> bloß perſönlich einen Gewinn oder eine Annehmlichkeit gewäh-<lb/> ren würden, ſondern ſie ſollen ein <hi rendition="#g">Intereſſe der Sache</hi><lb/> ſelbſt befriedigen, ihr, ſo zu ſagen, behülflich ſein, ihre <hi rendition="#g">öko-<lb/> nomiſche Beſtimmung</hi> zu erreichen. Welcher Servituten-<lb/> inhalt nach dieſem Geſichtspunkt möglich ſei, hatte die Praxis<lb/> entſchieden; es läßt ſich denken, daß auch hier wie überall eine<lb/> allmählige Entwicklung Statt fand, daß man die Servitut ur-<lb/> ſprünglich mehr auf die Fälle eines eigentlichen Bedürfniſſes<lb/> einſchränkte (Weggerechtigkeiten und Waſſerſervituten), ſpäter<lb/> aber jenen Geſichtspunkt mit größerer Freiheit handhabte.<note place="foot" n="359)">So daß alſo namentlich die <hi rendition="#aq">servitutes praed. urban.</hi> ſpätern Ur-<lb/> ſprungs wären, was ich ſchon aus dem Bd. 1. S. 207 angegebenen Grunde<lb/> für wahrſcheinlich halte. Ich meine, man muß bei den Servituten davon<lb/> ausgehen, daß ein unmittelbares <hi rendition="#g">Bedürfniß</hi> ſie hervorgetrieben hat, dies<lb/> iſt bei den im Text genannten der Fall; die übrigen <hi rendition="#aq">S. P. R.,</hi> ſo wie ſämmt-<lb/> liche <hi rendition="#aq">S. P. U.</hi> konnten höchſtens auf ein hypothetiſches Bedürfniß fußen (d. h.<lb/> wenn ich gerade ſo und gerade an dieſer Stelle bauen, für mein Vieh nicht<lb/> auf meinem eigenen Landgut Waiden einrichten wollte u. ſ. w.), alſo auf<lb/> einen Grund, der in der Hand der Parthei ſelbſt lag. Der Strenge des alten<lb/> Rechts gegenüber kann ich darin nur Conceſſionen gegen eine nach freierer<lb/> Bewegung und größerer Behaglichkeit verlangenden Zeit erblicken. Dieſe An-<lb/> ſicht iſt übrigens bereits von Andern ausführlicher begründet, und genügt es<lb/> hier Bezug zu nehmen auf E. Zachariä v. Lingenthal über die Unterſcheidung<lb/> zwiſchen <hi rendition="#aq">servit. rust.</hi> und <hi rendition="#aq">urb.</hi> und R. Elvers die Servitutenlehre Bd. 1<lb/> S. 1—16.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [236/0250]
Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
vorübergehende Verhältniſſe dieſer Art iſt die Obligatio ebenſo
ſehr die entſprechende Form, wie ſie bei ihrer Empfindlichkeit
gegen den Wechſel der Beſitzer und der Generationen für jene
Verhältniſſe durchaus ungeeignet ſein würde. Die Garantie,
die bei den Perſonalſervituten ganz abgeſehn von allem Inhalt
in dem Moment der Vergänglichkeit lag, mußte hier bei den
Prädialſervituten durch Beſchränkung des Inhalts der Ser-
vitut erreicht werden, und zwar geſchah dies in der Weiſe, daß
man den Geſichtspunkt feſthielt: die Prädialſervituten haben
nicht den Zweck, dem Beſitzer Vortheile zuzuwenden, die von
dem Beſitz eines Grundſtücks unabhängig ſein könnten, die ihm
bloß perſönlich einen Gewinn oder eine Annehmlichkeit gewäh-
ren würden, ſondern ſie ſollen ein Intereſſe der Sache
ſelbſt befriedigen, ihr, ſo zu ſagen, behülflich ſein, ihre öko-
nomiſche Beſtimmung zu erreichen. Welcher Servituten-
inhalt nach dieſem Geſichtspunkt möglich ſei, hatte die Praxis
entſchieden; es läßt ſich denken, daß auch hier wie überall eine
allmählige Entwicklung Statt fand, daß man die Servitut ur-
ſprünglich mehr auf die Fälle eines eigentlichen Bedürfniſſes
einſchränkte (Weggerechtigkeiten und Waſſerſervituten), ſpäter
aber jenen Geſichtspunkt mit größerer Freiheit handhabte. 359)
359) So daß alſo namentlich die servitutes praed. urban. ſpätern Ur-
ſprungs wären, was ich ſchon aus dem Bd. 1. S. 207 angegebenen Grunde
für wahrſcheinlich halte. Ich meine, man muß bei den Servituten davon
ausgehen, daß ein unmittelbares Bedürfniß ſie hervorgetrieben hat, dies
iſt bei den im Text genannten der Fall; die übrigen S. P. R., ſo wie ſämmt-
liche S. P. U. konnten höchſtens auf ein hypothetiſches Bedürfniß fußen (d. h.
wenn ich gerade ſo und gerade an dieſer Stelle bauen, für mein Vieh nicht
auf meinem eigenen Landgut Waiden einrichten wollte u. ſ. w.), alſo auf
einen Grund, der in der Hand der Parthei ſelbſt lag. Der Strenge des alten
Rechts gegenüber kann ich darin nur Conceſſionen gegen eine nach freierer
Bewegung und größerer Behaglichkeit verlangenden Zeit erblicken. Dieſe An-
ſicht iſt übrigens bereits von Andern ausführlicher begründet, und genügt es
hier Bezug zu nehmen auf E. Zachariä v. Lingenthal über die Unterſcheidung
zwiſchen servit. rust. und urb. und R. Elvers die Servitutenlehre Bd. 1
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