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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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A. Stellung d. Ind. Die Wohlfahrtsfrage. Quellen d. Pauperismus. §. 34.
leicht Bettler, als hier; nirgends war die Gränzlinie zwischen
beiden Extremen so schmal, so schwer zu behaupten; ein Schritt
nach der einen oder andern Seite, und lawinenartig wuchs die
Noth oder der Ueberfluß.

Der Grund dieser Erscheinung lag zunächst in der unglei-
chen Vertheilung des Druckes, den die Kriege auf die ökono-
mische Lage der wohlhabenden und ärmeren Klasse ausübten.
Die Kriege riefen allerdings den Reichen nicht minder, als den
Armen von seinen Feldern, aber mit dem ungeheuern Unter-
schied, daß die des Armen inzwischen unbebaut liegen blieben,
die des Reichen aber von Sklaven bebaut wurden. 363) In älte-
ster Zeit freilich, als die Kriege mehr den Charakter von Raub-
zügen trugen, mochte die Feldarbeit kaum darunter leiden; sie
wurden in der Regel in Zeiten verlegt, wo es auf dem Felde
nichts zu thun gab. In demselben Maße aber, als die Kriege
an Bedeutung gewannen, der Kriegsschauplatz ein entfernterer,
die Dauer des Feldzuges eine längere ward, in demselben Maße
mußte die Landwirthschaft dies verspüren. Aber, und dies ist
der entscheidende Punkt: nicht schlechthin -- das hätte zwar den
Wohlstand des gesammten Volks beeinträchtigen, nicht aber das
Verhältniß des Besitzstandes der einzelnen Klassen so völlig ver-
ändern können. Entscheidend ward hier jener Unterschied in
der Bewirthschaftung des Landes: ob nämlich der Besitzer seine
Felder selbst bestellte, oder sie durch Sklaven versehen ließ. Der
letztern Methode der Bewirthschaftung war der Krieg ungefähr-
lich, da er ihr keine Arbeitskräfte entzog, für die erstere hinge-
gen bedeutete jeder Krieg von längerer Dauer eine Störung,

363) Hierauf legt auch Appian. de bello civili I. c. 7 allen Nachdruck,
nur hat er, was die Folgen dieses Unterschiedes anbelangt, nicht den eigentlich
entscheidenden Punkt getroffen, sondern sich an ein weniger wesentliches Mo-
ment gehalten. Er motivirt nämlich den Reichthum der großen Grundbesitzer
dadurch, daß ihre familia rustica sich wegen ihrer Befreiung vom Kriegsdienst
ins Unermeßliche habe vermehren können, während die freie Bauernbevölke-
rung durch die Kriege decimirt worden sei.
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A. Stellung d. Ind. Die Wohlfahrtsfrage. Quellen d. Pauperismus. §. 34.
leicht Bettler, als hier; nirgends war die Gränzlinie zwiſchen
beiden Extremen ſo ſchmal, ſo ſchwer zu behaupten; ein Schritt
nach der einen oder andern Seite, und lawinenartig wuchs die
Noth oder der Ueberfluß.

Der Grund dieſer Erſcheinung lag zunächſt in der unglei-
chen Vertheilung des Druckes, den die Kriege auf die ökono-
miſche Lage der wohlhabenden und ärmeren Klaſſe ausübten.
Die Kriege riefen allerdings den Reichen nicht minder, als den
Armen von ſeinen Feldern, aber mit dem ungeheuern Unter-
ſchied, daß die des Armen inzwiſchen unbebaut liegen blieben,
die des Reichen aber von Sklaven bebaut wurden. 363) In älte-
ſter Zeit freilich, als die Kriege mehr den Charakter von Raub-
zügen trugen, mochte die Feldarbeit kaum darunter leiden; ſie
wurden in der Regel in Zeiten verlegt, wo es auf dem Felde
nichts zu thun gab. In demſelben Maße aber, als die Kriege
an Bedeutung gewannen, der Kriegsſchauplatz ein entfernterer,
die Dauer des Feldzuges eine längere ward, in demſelben Maße
mußte die Landwirthſchaft dies verſpüren. Aber, und dies iſt
der entſcheidende Punkt: nicht ſchlechthin — das hätte zwar den
Wohlſtand des geſammten Volks beeinträchtigen, nicht aber das
Verhältniß des Beſitzſtandes der einzelnen Klaſſen ſo völlig ver-
ändern können. Entſcheidend ward hier jener Unterſchied in
der Bewirthſchaftung des Landes: ob nämlich der Beſitzer ſeine
Felder ſelbſt beſtellte, oder ſie durch Sklaven verſehen ließ. Der
letztern Methode der Bewirthſchaftung war der Krieg ungefähr-
lich, da er ihr keine Arbeitskräfte entzog, für die erſtere hinge-
gen bedeutete jeder Krieg von längerer Dauer eine Störung,

363) Hierauf legt auch Appian. de bello civili I. c. 7 allen Nachdruck,
nur hat er, was die Folgen dieſes Unterſchiedes anbelangt, nicht den eigentlich
entſcheidenden Punkt getroffen, ſondern ſich an ein weniger weſentliches Mo-
ment gehalten. Er motivirt nämlich den Reichthum der großen Grundbeſitzer
dadurch, daß ihre familia rustica ſich wegen ihrer Befreiung vom Kriegsdienſt
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rung durch die Kriege decimirt worden ſei.
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[243/0257] A. Stellung d. Ind. Die Wohlfahrtsfrage. Quellen d. Pauperismus. §. 34. leicht Bettler, als hier; nirgends war die Gränzlinie zwiſchen beiden Extremen ſo ſchmal, ſo ſchwer zu behaupten; ein Schritt nach der einen oder andern Seite, und lawinenartig wuchs die Noth oder der Ueberfluß. Der Grund dieſer Erſcheinung lag zunächſt in der unglei- chen Vertheilung des Druckes, den die Kriege auf die ökono- miſche Lage der wohlhabenden und ärmeren Klaſſe ausübten. Die Kriege riefen allerdings den Reichen nicht minder, als den Armen von ſeinen Feldern, aber mit dem ungeheuern Unter- ſchied, daß die des Armen inzwiſchen unbebaut liegen blieben, die des Reichen aber von Sklaven bebaut wurden. 363) In älte- ſter Zeit freilich, als die Kriege mehr den Charakter von Raub- zügen trugen, mochte die Feldarbeit kaum darunter leiden; ſie wurden in der Regel in Zeiten verlegt, wo es auf dem Felde nichts zu thun gab. In demſelben Maße aber, als die Kriege an Bedeutung gewannen, der Kriegsſchauplatz ein entfernterer, die Dauer des Feldzuges eine längere ward, in demſelben Maße mußte die Landwirthſchaft dies verſpüren. Aber, und dies iſt der entſcheidende Punkt: nicht ſchlechthin — das hätte zwar den Wohlſtand des geſammten Volks beeinträchtigen, nicht aber das Verhältniß des Beſitzſtandes der einzelnen Klaſſen ſo völlig ver- ändern können. Entſcheidend ward hier jener Unterſchied in der Bewirthſchaftung des Landes: ob nämlich der Beſitzer ſeine Felder ſelbſt beſtellte, oder ſie durch Sklaven verſehen ließ. Der letztern Methode der Bewirthſchaftung war der Krieg ungefähr- lich, da er ihr keine Arbeitskräfte entzog, für die erſtere hinge- gen bedeutete jeder Krieg von längerer Dauer eine Störung, 363) Hierauf legt auch Appian. de bello civili I. c. 7 allen Nachdruck, nur hat er, was die Folgen dieſes Unterſchiedes anbelangt, nicht den eigentlich entſcheidenden Punkt getroffen, ſondern ſich an ein weniger weſentliches Mo- ment gehalten. Er motivirt nämlich den Reichthum der großen Grundbeſitzer dadurch, daß ihre familia rustica ſich wegen ihrer Befreiung vom Kriegsdienſt ins Unermeßliche habe vermehren können, während die freie Bauernbevölke- rung durch die Kriege decimirt worden ſei. 16*

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/257>, abgerufen am 21.11.2024.