Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.I. Aeußerer Eindruck der Rechtswelt -- Oeffentlichkeit -- §. 23. cipationstestament erhielt. 6) Nirgends würde uns wohl dieOeffentlichkeit so am unrechten Ort und so hinderlich erscheinen, als bei den Testamenten, und in späterer Zeit war man aus guten Gründen in Rom derselben Ansicht. In der öffentlichen Errichtung der Testamente erblicke ich ebenso wie in der öffentli- chen Abstimmung einen Beweis moralischer Selbständigkeit. Es liegt in der Natur letztwilliger Dispositionen, daß sie häufig die Ansprüche und Erwartungen, zu denen Verwandte und Freunde des Testators sich berechtigt halten, durchkreuzen, den Einen zur Dankbarkeit verpflichten und dafür einen Andern verletzen. Die Sitte, derartige Bestimmungen öffentlich zu treffen, setzt also im allgemeinen einen gewissen Muth voraus, den Muth, sich dem Haß und der Verfolgung der in ihren Erwartungen getäuschten Per- sonen auszusetzen. Das heimliche Testament ist das Palladium der Feigheit, in vielen Fällen sogar der Deckmantel und dadurch das Mittel des Betruges, 7) eine Mine, Personen gelegt, die 6) Die Einführung schriftlicher Testamente, mittelst deren eine Verheim- lichung des letzten Willens möglich ward, gehört meiner Ansicht nach der spä- tern Zeit an. Für diese Ansicht berufe ich mich hier nur auf die Herrschaft der Oeffentlichkeit in diesem System. Die tabulae des Testaments passen in die ältere Zeit ebensowenig, als die tabellae bei der Abstimmung in den Comi- tien. Eine weitere Begründung würde hier zu weit führen. 7) Dieser Gesichtspunkt wird im Titel 16 §. 1 der Novellen Theodos II
(Hänel Novellae constitutiones imperatorum etc. S. 61) ausdrücklich an- erkannt. Die Compilatoren Justinians haben diesen Passus bei ihrem Auszuge in der L. 21 Cod. de test. (6. 23) weggelassen. Natura, heißt es dort, ta- lis est hominum, ut quosdam diligant, alios timeant, quibusdam sint officiosae gratiae debitores, alios suspicentur, quorundam fidem intelli- gant eligendam, aliis nihil credendum existiment, nec tamen au- deant, de singulis quae sentiant, confiteri. Ideo veteres testamenta scripta testibus offerebant oblatarumque eis tabularum per- hiberi testimonium postulabant. Sed .... eo res processit, -- ut dum sua quisque nonnunquam judicia publicare formidat, dum testibus testamenti sua non audet secreta commit- tere, ne suis facultatibus inhiantes offendat, intesta- tus mori, quam sua mentis arcana periculose patiatur exprimere. I. Aeußerer Eindruck der Rechtswelt — Oeffentlichkeit — §. 23. cipationsteſtament erhielt. 6) Nirgends würde uns wohl dieOeffentlichkeit ſo am unrechten Ort und ſo hinderlich erſcheinen, als bei den Teſtamenten, und in ſpäterer Zeit war man aus guten Gründen in Rom derſelben Anſicht. In der öffentlichen Errichtung der Teſtamente erblicke ich ebenſo wie in der öffentli- chen Abſtimmung einen Beweis moraliſcher Selbſtändigkeit. Es liegt in der Natur letztwilliger Dispoſitionen, daß ſie häufig die Anſprüche und Erwartungen, zu denen Verwandte und Freunde des Teſtators ſich berechtigt halten, durchkreuzen, den Einen zur Dankbarkeit verpflichten und dafür einen Andern verletzen. Die Sitte, derartige Beſtimmungen öffentlich zu treffen, ſetzt alſo im allgemeinen einen gewiſſen Muth voraus, den Muth, ſich dem Haß und der Verfolgung der in ihren Erwartungen getäuſchten Per- ſonen auszuſetzen. Das heimliche Teſtament iſt das Palladium der Feigheit, in vielen Fällen ſogar der Deckmantel und dadurch das Mittel des Betruges, 7) eine Mine, Perſonen gelegt, die 6) Die Einführung ſchriftlicher Teſtamente, mittelſt deren eine Verheim- lichung des letzten Willens möglich ward, gehört meiner Anſicht nach der ſpä- tern Zeit an. Für dieſe Anſicht berufe ich mich hier nur auf die Herrſchaft der Oeffentlichkeit in dieſem Syſtem. Die tabulae des Teſtaments paſſen in die ältere Zeit ebenſowenig, als die tabellae bei der Abſtimmung in den Comi- tien. Eine weitere Begründung würde hier zu weit führen. 7) Dieſer Geſichtspunkt wird im Titel 16 §. 1 der Novellen Theodos II
(Hänel Novellae constitutiones imperatorum etc. S. 61) ausdrücklich an- erkannt. Die Compilatoren Juſtinians haben dieſen Paſſus bei ihrem Auszuge in der L. 21 Cod. de test. (6. 23) weggelaſſen. Natura, heißt es dort, ta- lis est hominum, ut quosdam diligant, alios timeant, quibusdam sint officiosae gratiae debitores, alios suspicentur, quorundam fidem intelli- gant eligendam, aliis nihil credendum existiment, nec tamen au- deant, de singulis quae sentiant, confiteri. Ideo veteres testamenta scripta testibus offerebant oblatarumque eis tabularum per- hiberi testimonium postulabant. Sed .... eo res processit, — ut dum sua quisque nonnunquam judicia publicare formidat, dum testibus testamenti sua non audet secreta commit- tere, ne suis facultatibus inhiantes offendat, intesta- tus mori, quam sua mentis arcana periculose patiatur exprimere. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0027" n="13"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Aeußerer Eindruck der Rechtswelt — Oeffentlichkeit — §. 23.</fw><lb/> cipationsteſtament erhielt. <note place="foot" n="6)">Die Einführung ſchriftlicher Teſtamente, mittelſt deren eine Verheim-<lb/> lichung des letzten Willens möglich ward, gehört meiner Anſicht nach der ſpä-<lb/> tern Zeit an. Für dieſe Anſicht berufe ich mich hier nur auf die Herrſchaft der<lb/> Oeffentlichkeit in dieſem Syſtem. Die <hi rendition="#aq">tabulae</hi> des Teſtaments paſſen in die<lb/> ältere Zeit ebenſowenig, als die <hi rendition="#aq">tabellae</hi> bei der Abſtimmung in den Comi-<lb/> tien. Eine weitere Begründung würde hier zu weit führen.</note> Nirgends würde uns wohl die<lb/> Oeffentlichkeit ſo am unrechten Ort und ſo hinderlich erſcheinen,<lb/> als bei den Teſtamenten, und in ſpäterer Zeit war man aus<lb/> guten Gründen in Rom derſelben Anſicht. In der öffentlichen<lb/> Errichtung der Teſtamente erblicke ich ebenſo wie in der öffentli-<lb/> chen Abſtimmung einen Beweis moraliſcher Selbſtändigkeit. Es<lb/> liegt in der Natur letztwilliger Dispoſitionen, daß ſie häufig die<lb/> Anſprüche und Erwartungen, zu denen Verwandte und Freunde<lb/> des Teſtators ſich berechtigt halten, durchkreuzen, den Einen zur<lb/> Dankbarkeit verpflichten und dafür einen Andern verletzen. Die<lb/> Sitte, derartige Beſtimmungen öffentlich zu treffen, ſetzt alſo im<lb/> allgemeinen einen gewiſſen Muth voraus, den Muth, ſich dem Haß<lb/> und der Verfolgung der in ihren Erwartungen getäuſchten Per-<lb/> ſonen auszuſetzen. Das heimliche Teſtament iſt das Palladium<lb/> der Feigheit, in vielen Fällen ſogar der Deckmantel und dadurch<lb/> das Mittel des Betruges, <note place="foot" n="7)">Dieſer Geſichtspunkt wird im Titel 16 §. 1 der Novellen Theodos <hi rendition="#aq">II<lb/> (Hänel Novellae constitutiones imperatorum etc.</hi> S. 61) ausdrücklich an-<lb/> erkannt. Die Compilatoren Juſtinians haben dieſen Paſſus bei ihrem Auszuge<lb/> in der <hi rendition="#aq">L. 21 Cod. de test.</hi> (6. 23) weggelaſſen. <hi rendition="#aq">Natura,</hi> heißt es dort, <hi rendition="#aq">ta-<lb/> lis est hominum, ut quosdam diligant, alios timeant, quibusdam sint<lb/> officiosae gratiae debitores, alios suspicentur, quorundam fidem intelli-<lb/> gant eligendam, aliis nihil credendum existiment, <hi rendition="#g">nec tamen au-<lb/> deant, de singulis quae sentiant, confiteri. Ideo</hi> veteres<lb/> testamenta scripta testibus offerebant oblatarumque eis tabularum per-<lb/> hiberi testimonium postulabant. Sed .... eo res processit, — <hi rendition="#g">ut dum<lb/> sua quisque nonnunquam judicia publicare formidat,<lb/> dum testibus testamenti sua non audet secreta commit-<lb/> tere, ne suis facultatibus inhiantes offendat, intesta-<lb/> tus mori, quam sua mentis arcana periculose patiatur<lb/> exprimere</hi>.</hi></note> eine Mine, Perſonen gelegt, die<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [13/0027]
I. Aeußerer Eindruck der Rechtswelt — Oeffentlichkeit — §. 23.
cipationsteſtament erhielt. 6) Nirgends würde uns wohl die
Oeffentlichkeit ſo am unrechten Ort und ſo hinderlich erſcheinen,
als bei den Teſtamenten, und in ſpäterer Zeit war man aus
guten Gründen in Rom derſelben Anſicht. In der öffentlichen
Errichtung der Teſtamente erblicke ich ebenſo wie in der öffentli-
chen Abſtimmung einen Beweis moraliſcher Selbſtändigkeit. Es
liegt in der Natur letztwilliger Dispoſitionen, daß ſie häufig die
Anſprüche und Erwartungen, zu denen Verwandte und Freunde
des Teſtators ſich berechtigt halten, durchkreuzen, den Einen zur
Dankbarkeit verpflichten und dafür einen Andern verletzen. Die
Sitte, derartige Beſtimmungen öffentlich zu treffen, ſetzt alſo im
allgemeinen einen gewiſſen Muth voraus, den Muth, ſich dem Haß
und der Verfolgung der in ihren Erwartungen getäuſchten Per-
ſonen auszuſetzen. Das heimliche Teſtament iſt das Palladium
der Feigheit, in vielen Fällen ſogar der Deckmantel und dadurch
das Mittel des Betruges, 7) eine Mine, Perſonen gelegt, die
6) Die Einführung ſchriftlicher Teſtamente, mittelſt deren eine Verheim-
lichung des letzten Willens möglich ward, gehört meiner Anſicht nach der ſpä-
tern Zeit an. Für dieſe Anſicht berufe ich mich hier nur auf die Herrſchaft der
Oeffentlichkeit in dieſem Syſtem. Die tabulae des Teſtaments paſſen in die
ältere Zeit ebenſowenig, als die tabellae bei der Abſtimmung in den Comi-
tien. Eine weitere Begründung würde hier zu weit führen.
7) Dieſer Geſichtspunkt wird im Titel 16 §. 1 der Novellen Theodos II
(Hänel Novellae constitutiones imperatorum etc. S. 61) ausdrücklich an-
erkannt. Die Compilatoren Juſtinians haben dieſen Paſſus bei ihrem Auszuge
in der L. 21 Cod. de test. (6. 23) weggelaſſen. Natura, heißt es dort, ta-
lis est hominum, ut quosdam diligant, alios timeant, quibusdam sint
officiosae gratiae debitores, alios suspicentur, quorundam fidem intelli-
gant eligendam, aliis nihil credendum existiment, nec tamen au-
deant, de singulis quae sentiant, confiteri. Ideo veteres
testamenta scripta testibus offerebant oblatarumque eis tabularum per-
hiberi testimonium postulabant. Sed .... eo res processit, — ut dum
sua quisque nonnunquam judicia publicare formidat,
dum testibus testamenti sua non audet secreta commit-
tere, ne suis facultatibus inhiantes offendat, intesta-
tus mori, quam sua mentis arcana periculose patiatur
exprimere.
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