Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweit. Buch. Erst. Abschn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
Kaufpreis des Guten ist.421) Gegen den Mißbrauch der tribu-
nitischen Gewalt gab es gerade die wenigsten verfassungsmäßi-
gen Garantien, gegen den Mißbrauch des Veto gar keine, und
von allen Gewalten hatte gerade diese sich am meisten überho-
ben und vergangen, und doch findet Cicero selbst für sie in je-
nem Gesichtspunkt einen ausreichenden Grund zu ihrer Recht-
fertigung. Fateor, sagt er, in ista ipsa potestate inesse
quiddam mali, sed bonum quod est quaesitum in ea, sine
isto malo non haberemus
.
In der That aber verliert
jene Gefahr des Mißbrauchs bei näherer Betrachtung ein er-
kleckliches von dem Schreckhaften, das sie vom abstracten Stand-
punkte aus zu haben scheint. Daß ein Tribun aus Uebermuth
den Consul ins Gefängniß werfen läßt, der Censor aus Chi-
kane Senatoren und Ritter aus der Liste streicht und seine Krea-
turen in den Senat bringt, daß der Consul die Schätze des
Aerars zu nichtigen Zwecken vergeudet oder aus persönlicher
Abneigung sich weigert, die vom Volke gewählten Magistrate
des folgenden Jahrs zu proklamiren, daß die Augurn im poli-
tischen Partheiinteresse wegen angeblicher Formfehler in den
Auspicien die Wahlen und andere staatsrechtliche Akte cassiren
-- alles das war abstract genommen durchaus möglich und
kam späterhin, als die Willkühr sich aller Scham entband und
selbst vor offenbaren Verletzungen der Gesetze nicht zurückbebte,
wirklich vor. Freilich blieb denn auch die nothwendige Folge
der Ausschweifung nicht aus -- die Selbstvernichtung, wie wir
im folgenden Buch zeigen werden. Wir stehen aber hier noch
in der alten Zeit, und für sie gilt etwas anderes. Auf die
verfassungsmäßigen Garantien lege ich kein entscheidendes Ge-
wicht; sie bestanden auch später, ohne daß sie dem Uebel hätten

421) De leg. III. c. 10. Sed iniqua est in omni re accusanda prae-
termissis bonis malorum enumeratio vitiorumque selectio. Nam isto
quidem modo vel consulatus vituperabilis est, si consulum, quos enume-
rare nolo, peccata collegeris.

Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
Kaufpreis des Guten iſt.421) Gegen den Mißbrauch der tribu-
nitiſchen Gewalt gab es gerade die wenigſten verfaſſungsmäßi-
gen Garantien, gegen den Mißbrauch des Veto gar keine, und
von allen Gewalten hatte gerade dieſe ſich am meiſten überho-
ben und vergangen, und doch findet Cicero ſelbſt für ſie in je-
nem Geſichtspunkt einen ausreichenden Grund zu ihrer Recht-
fertigung. Fateor, ſagt er, in ista ipsa potestate inesse
quiddam mali, sed bonum quod est quaesitum in ea, sine
isto malo non haberemus
.
In der That aber verliert
jene Gefahr des Mißbrauchs bei näherer Betrachtung ein er-
kleckliches von dem Schreckhaften, das ſie vom abſtracten Stand-
punkte aus zu haben ſcheint. Daß ein Tribun aus Uebermuth
den Conſul ins Gefängniß werfen läßt, der Cenſor aus Chi-
kane Senatoren und Ritter aus der Liſte ſtreicht und ſeine Krea-
turen in den Senat bringt, daß der Conſul die Schätze des
Aerars zu nichtigen Zwecken vergeudet oder aus perſönlicher
Abneigung ſich weigert, die vom Volke gewählten Magiſtrate
des folgenden Jahrs zu proklamiren, daß die Augurn im poli-
tiſchen Partheiintereſſe wegen angeblicher Formfehler in den
Auſpicien die Wahlen und andere ſtaatsrechtliche Akte caſſiren
— alles das war abſtract genommen durchaus möglich und
kam ſpäterhin, als die Willkühr ſich aller Scham entband und
ſelbſt vor offenbaren Verletzungen der Geſetze nicht zurückbebte,
wirklich vor. Freilich blieb denn auch die nothwendige Folge
der Ausſchweifung nicht aus — die Selbſtvernichtung, wie wir
im folgenden Buch zeigen werden. Wir ſtehen aber hier noch
in der alten Zeit, und für ſie gilt etwas anderes. Auf die
verfaſſungsmäßigen Garantien lege ich kein entſcheidendes Ge-
wicht; ſie beſtanden auch ſpäter, ohne daß ſie dem Uebel hätten

421) De leg. III. c. 10. Sed iniqua est in omni re accusanda prae-
termissis bonis malorum enumeratio vitiorumque selectio. Nam isto
quidem modo vel consulatus vituperabilis est, si consulum, quos enume-
rare nolo, peccata collegeris.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p><pb facs="#f0292" n="278"/><fw place="top" type="header">Zweit. Buch. Er&#x017F;t. Ab&#x017F;chn. <hi rendition="#aq">II.</hi> Die Grundtriebe. <hi rendition="#aq">III.</hi> Der Freiheitstrieb.</fw><lb/>
Kaufpreis des Guten i&#x017F;t.<note place="foot" n="421)"><hi rendition="#aq">De leg. III. c. 10. Sed iniqua est in omni re accusanda prae-<lb/>
termissis bonis malorum enumeratio vitiorumque selectio. Nam isto<lb/>
quidem modo vel consulatus vituperabilis est, si consulum, quos enume-<lb/>
rare nolo, peccata collegeris.</hi></note> Gegen den Mißbrauch der tribu-<lb/>
niti&#x017F;chen Gewalt gab es gerade die wenig&#x017F;ten verfa&#x017F;&#x017F;ungsmäßi-<lb/>
gen Garantien, gegen den Mißbrauch des Veto gar keine, und<lb/>
von allen Gewalten hatte gerade die&#x017F;e &#x017F;ich am mei&#x017F;ten überho-<lb/>
ben und vergangen, und doch findet Cicero &#x017F;elb&#x017F;t für &#x017F;ie in je-<lb/>
nem Ge&#x017F;ichtspunkt einen ausreichenden Grund zu ihrer Recht-<lb/>
fertigung. <hi rendition="#aq">Fateor,</hi> &#x017F;agt er, <hi rendition="#aq">in ista ipsa potestate inesse<lb/>
quiddam mali, sed <hi rendition="#g">bonum</hi> quod est quaesitum in ea, <hi rendition="#g">sine<lb/>
isto malo non haberemus</hi>.</hi> In der That aber verliert<lb/>
jene Gefahr des Mißbrauchs bei näherer Betrachtung ein er-<lb/>
kleckliches von dem Schreckhaften, das &#x017F;ie vom ab&#x017F;tracten Stand-<lb/>
punkte aus zu haben &#x017F;cheint. Daß ein Tribun aus Uebermuth<lb/>
den Con&#x017F;ul ins Gefängniß werfen läßt, der Cen&#x017F;or aus Chi-<lb/>
kane Senatoren und Ritter aus der Li&#x017F;te &#x017F;treicht und &#x017F;eine Krea-<lb/>
turen in den Senat bringt, daß der Con&#x017F;ul die Schätze des<lb/>
Aerars zu nichtigen Zwecken vergeudet oder aus per&#x017F;önlicher<lb/>
Abneigung &#x017F;ich weigert, die vom Volke gewählten Magi&#x017F;trate<lb/>
des folgenden Jahrs zu proklamiren, daß die Augurn im poli-<lb/>
ti&#x017F;chen Partheiintere&#x017F;&#x017F;e wegen angeblicher Formfehler in den<lb/>
Au&#x017F;picien die Wahlen und andere &#x017F;taatsrechtliche Akte ca&#x017F;&#x017F;iren<lb/>
&#x2014; alles das war ab&#x017F;tract genommen durchaus möglich und<lb/>
kam &#x017F;päterhin, als die Willkühr &#x017F;ich aller Scham entband und<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t vor offenbaren Verletzungen der Ge&#x017F;etze nicht zurückbebte,<lb/>
wirklich vor. Freilich blieb denn auch die nothwendige Folge<lb/>
der Aus&#x017F;chweifung nicht aus &#x2014; die Selb&#x017F;tvernichtung, wie wir<lb/>
im folgenden Buch zeigen werden. Wir &#x017F;tehen aber hier noch<lb/>
in der <hi rendition="#g">alten</hi> Zeit, und für &#x017F;ie gilt etwas anderes. Auf die<lb/>
verfa&#x017F;&#x017F;ungsmäßigen Garantien lege ich kein ent&#x017F;cheidendes Ge-<lb/>
wicht; &#x017F;ie be&#x017F;tanden auch &#x017F;päter, ohne daß &#x017F;ie dem Uebel hätten<lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[278/0292] Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. Kaufpreis des Guten iſt. 421) Gegen den Mißbrauch der tribu- nitiſchen Gewalt gab es gerade die wenigſten verfaſſungsmäßi- gen Garantien, gegen den Mißbrauch des Veto gar keine, und von allen Gewalten hatte gerade dieſe ſich am meiſten überho- ben und vergangen, und doch findet Cicero ſelbſt für ſie in je- nem Geſichtspunkt einen ausreichenden Grund zu ihrer Recht- fertigung. Fateor, ſagt er, in ista ipsa potestate inesse quiddam mali, sed bonum quod est quaesitum in ea, sine isto malo non haberemus. In der That aber verliert jene Gefahr des Mißbrauchs bei näherer Betrachtung ein er- kleckliches von dem Schreckhaften, das ſie vom abſtracten Stand- punkte aus zu haben ſcheint. Daß ein Tribun aus Uebermuth den Conſul ins Gefängniß werfen läßt, der Cenſor aus Chi- kane Senatoren und Ritter aus der Liſte ſtreicht und ſeine Krea- turen in den Senat bringt, daß der Conſul die Schätze des Aerars zu nichtigen Zwecken vergeudet oder aus perſönlicher Abneigung ſich weigert, die vom Volke gewählten Magiſtrate des folgenden Jahrs zu proklamiren, daß die Augurn im poli- tiſchen Partheiintereſſe wegen angeblicher Formfehler in den Auſpicien die Wahlen und andere ſtaatsrechtliche Akte caſſiren — alles das war abſtract genommen durchaus möglich und kam ſpäterhin, als die Willkühr ſich aller Scham entband und ſelbſt vor offenbaren Verletzungen der Geſetze nicht zurückbebte, wirklich vor. Freilich blieb denn auch die nothwendige Folge der Ausſchweifung nicht aus — die Selbſtvernichtung, wie wir im folgenden Buch zeigen werden. Wir ſtehen aber hier noch in der alten Zeit, und für ſie gilt etwas anderes. Auf die verfaſſungsmäßigen Garantien lege ich kein entſcheidendes Ge- wicht; ſie beſtanden auch ſpäter, ohne daß ſie dem Uebel hätten 421) De leg. III. c. 10. Sed iniqua est in omni re accusanda prae- termissis bonis malorum enumeratio vitiorumque selectio. Nam isto quidem modo vel consulatus vituperabilis est, si consulum, quos enume- rare nolo, peccata collegeris.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/292
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/292>, abgerufen am 22.11.2024.