Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

B. Stellung der Magistratur. -- Verhältniß zum Senat. §. 35.
greift sich aber, daß das Gutachten und der Antrag einer Kör-
perschaft, die aus den durch ihre sociale Stellung, politische
Einsicht und Erfahrung hervorragendsten Männern bestand, für
den Consul sowohl wie in den Augen des Volks eine hohe mo-
ralische Autorität haben mußte. Ganz abgesehen davon mußte
schon das eigene Interesse den Consul bestimmen, alle wichti-
gen Maßregeln mit dem Senat zu berathen und ein möglichst
gutes Vernehmen mit ihm zu unterhalten, um an ihm dem
Volk gegenüber einen moralischen Rückhalt zu haben. Konnte
er bei Maßregeln, die voraussichtlichermaßen auf Widerstand
stoßen würden, sich die Zustimmung des Senats verschaffen, 448)
so lenkte er nicht bloß das Odium und die Gefahr einer dem-
nächstigen Verurtheilung 449) von sich ab, sondern die Maßregel
selbst fand von vornherein eine ganz andere Aufnahme, als
wenn er einseitig aus eigner Machtvollkommenheit sie verhängt
hatte. 450) Dazu kommt ferner, daß die Bewilligung der Pro-
vinzen, Legionen, Triumphe u. s. w. vom Senat abhing, ein
ehrgeiziger Magistrat also allen Anlaß hatte, sich den Senat
geneigt zu machen. So begreift es sich, daß die Senatsbe-

ließ. S. außerdem die von Rubino Untersuchungen u. s. w. S. 145 u. 146
beigebrachten Stellen.
448) Aus demselben Grunde fühlte sich der Senat veranlaßt, Fragen,
die er verfassungsmäßig allein entscheiden konnte, an das Volk zu bringen.
So z. B. Liv. V, 36. Itaque ne penes ipsos culpa esset ..., cog-
nitionem .. ad populum rejiciunt
und VII, 20. IX, 30. Rubino a. a. O.
S. 273, 274.
449) Liv. V, 29. Hier wurden zwei Tribunen, die auf Veranlassung des
Senats intercedirt hatten, dennoch hinterher verurtheilt, aber wie Livius
sagt: pessimo exemplo, und gerade dieser Fall zeigt deutlich, welchen Schutz
die Autoritas senatus gewährte. Die Consuln wurden aufs bitterste ge-
tadelt, daß sie es gelitten hätten: fide publica decipi tribunos, qui
senatus auctoritatem sequuti essent.
450) Es werden Fälle erwähnt, wo der Magistrat, weil ihm diese mora-
lische Unterstützung des Senats fehlte, seine durchaus legalen Intentionen
nicht durchsetzen konnte, z. B. Liv. VIII, 15.

B. Stellung der Magiſtratur. — Verhältniß zum Senat. §. 35.
greift ſich aber, daß das Gutachten und der Antrag einer Kör-
perſchaft, die aus den durch ihre ſociale Stellung, politiſche
Einſicht und Erfahrung hervorragendſten Männern beſtand, für
den Conſul ſowohl wie in den Augen des Volks eine hohe mo-
raliſche Autorität haben mußte. Ganz abgeſehen davon mußte
ſchon das eigene Intereſſe den Conſul beſtimmen, alle wichti-
gen Maßregeln mit dem Senat zu berathen und ein möglichſt
gutes Vernehmen mit ihm zu unterhalten, um an ihm dem
Volk gegenüber einen moraliſchen Rückhalt zu haben. Konnte
er bei Maßregeln, die vorausſichtlichermaßen auf Widerſtand
ſtoßen würden, ſich die Zuſtimmung des Senats verſchaffen, 448)
ſo lenkte er nicht bloß das Odium und die Gefahr einer dem-
nächſtigen Verurtheilung 449) von ſich ab, ſondern die Maßregel
ſelbſt fand von vornherein eine ganz andere Aufnahme, als
wenn er einſeitig aus eigner Machtvollkommenheit ſie verhängt
hatte. 450) Dazu kommt ferner, daß die Bewilligung der Pro-
vinzen, Legionen, Triumphe u. ſ. w. vom Senat abhing, ein
ehrgeiziger Magiſtrat alſo allen Anlaß hatte, ſich den Senat
geneigt zu machen. So begreift es ſich, daß die Senatsbe-

ließ. S. außerdem die von Rubino Unterſuchungen u. ſ. w. S. 145 u. 146
beigebrachten Stellen.
448) Aus demſelben Grunde fühlte ſich der Senat veranlaßt, Fragen,
die er verfaſſungsmäßig allein entſcheiden konnte, an das Volk zu bringen.
So z. B. Liv. V, 36. Itaque ne penes ipsos culpa esset …, cog-
nitionem .. ad populum rejiciunt
und VII, 20. IX, 30. Rubino a. a. O.
S. 273, 274.
449) Liv. V, 29. Hier wurden zwei Tribunen, die auf Veranlaſſung des
Senats intercedirt hatten, dennoch hinterher verurtheilt, aber wie Livius
ſagt: pessimo exemplo, und gerade dieſer Fall zeigt deutlich, welchen Schutz
die Autoritas senatus gewährte. Die Conſuln wurden aufs bitterſte ge-
tadelt, daß ſie es gelitten hätten: fide publica decipi tribunos, qui
senatus auctoritatem sequuti essent.
450) Es werden Fälle erwähnt, wo der Magiſtrat, weil ihm dieſe mora-
liſche Unterſtützung des Senats fehlte, ſeine durchaus legalen Intentionen
nicht durchſetzen konnte, z. B. Liv. VIII, 15.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p><pb facs="#f0307" n="293"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">B.</hi> Stellung der Magi&#x017F;tratur. &#x2014; Verhältniß zum Senat. §. 35.</fw><lb/>
greift &#x017F;ich aber, daß das Gutachten und der Antrag einer Kör-<lb/>
per&#x017F;chaft, die aus den durch ihre &#x017F;ociale Stellung, politi&#x017F;che<lb/>
Ein&#x017F;icht und Erfahrung hervorragend&#x017F;ten Männern be&#x017F;tand, für<lb/>
den Con&#x017F;ul &#x017F;owohl wie in den Augen des Volks eine hohe mo-<lb/>
rali&#x017F;che Autorität haben mußte. Ganz abge&#x017F;ehen davon mußte<lb/>
&#x017F;chon das eigene Intere&#x017F;&#x017F;e den Con&#x017F;ul be&#x017F;timmen, alle wichti-<lb/>
gen Maßregeln mit dem Senat zu berathen und ein möglich&#x017F;t<lb/>
gutes Vernehmen mit ihm zu unterhalten, um an ihm dem<lb/>
Volk gegenüber einen morali&#x017F;chen Rückhalt zu haben. Konnte<lb/>
er bei Maßregeln, die voraus&#x017F;ichtlichermaßen auf Wider&#x017F;tand<lb/>
&#x017F;toßen würden, &#x017F;ich die Zu&#x017F;timmung des Senats ver&#x017F;chaffen, <note place="foot" n="448)">Aus dem&#x017F;elben Grunde fühlte &#x017F;ich der Senat veranlaßt, Fragen,<lb/>
die er verfa&#x017F;&#x017F;ungsmäßig allein ent&#x017F;cheiden konnte, an das Volk zu bringen.<lb/>
So z. B. <hi rendition="#aq">Liv. V, 36. Itaque <hi rendition="#g">ne penes ipsos culpa esset</hi> &#x2026;, cog-<lb/>
nitionem .. ad populum rejiciunt</hi> und <hi rendition="#aq">VII, 20. IX,</hi> 30. Rubino a. a. O.<lb/>
S. 273, 274.</note><lb/>
&#x017F;o lenkte er nicht bloß das Odium und die Gefahr einer dem-<lb/>
näch&#x017F;tigen Verurtheilung <note place="foot" n="449)"><hi rendition="#aq">Liv. V,</hi> 29. Hier wurden zwei Tribunen, die auf Veranla&#x017F;&#x017F;ung des<lb/>
Senats intercedirt hatten, dennoch hinterher verurtheilt, aber wie Livius<lb/>
&#x017F;agt: <hi rendition="#aq">pessimo exemplo,</hi> und gerade die&#x017F;er Fall zeigt deutlich, welchen Schutz<lb/>
die <hi rendition="#aq">Autoritas senatus</hi> gewährte. Die Con&#x017F;uln wurden aufs bitter&#x017F;te ge-<lb/>
tadelt, daß &#x017F;ie es gelitten hätten: <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">fide publica decipi</hi> tribunos, qui<lb/>
senatus auctoritatem sequuti essent.</hi></note> von &#x017F;ich ab, &#x017F;ondern die Maßregel<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t fand von vornherein eine ganz andere Aufnahme, als<lb/>
wenn er ein&#x017F;eitig aus eigner Machtvollkommenheit &#x017F;ie verhängt<lb/>
hatte. <note place="foot" n="450)">Es werden Fälle erwähnt, wo der Magi&#x017F;trat, weil ihm die&#x017F;e mora-<lb/>
li&#x017F;che Unter&#x017F;tützung des Senats fehlte, &#x017F;eine durchaus legalen Intentionen<lb/>
nicht durch&#x017F;etzen konnte, z. B. <hi rendition="#aq">Liv. VIII,</hi> 15.</note> Dazu kommt ferner, daß die Bewilligung der Pro-<lb/>
vinzen, Legionen, Triumphe u. &#x017F;. w. vom Senat abhing, ein<lb/>
ehrgeiziger Magi&#x017F;trat al&#x017F;o allen Anlaß hatte, &#x017F;ich den Senat<lb/>
geneigt zu machen. So begreift es &#x017F;ich, daß die Senatsbe-<lb/><note xml:id="seg2pn_46_2" prev="#seg2pn_46_1" place="foot" n="447)">ließ. S. außerdem die von Rubino Unter&#x017F;uchungen u. &#x017F;. w. S. 145 u. 146<lb/>
beigebrachten Stellen.</note><lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[293/0307] B. Stellung der Magiſtratur. — Verhältniß zum Senat. §. 35. greift ſich aber, daß das Gutachten und der Antrag einer Kör- perſchaft, die aus den durch ihre ſociale Stellung, politiſche Einſicht und Erfahrung hervorragendſten Männern beſtand, für den Conſul ſowohl wie in den Augen des Volks eine hohe mo- raliſche Autorität haben mußte. Ganz abgeſehen davon mußte ſchon das eigene Intereſſe den Conſul beſtimmen, alle wichti- gen Maßregeln mit dem Senat zu berathen und ein möglichſt gutes Vernehmen mit ihm zu unterhalten, um an ihm dem Volk gegenüber einen moraliſchen Rückhalt zu haben. Konnte er bei Maßregeln, die vorausſichtlichermaßen auf Widerſtand ſtoßen würden, ſich die Zuſtimmung des Senats verſchaffen, 448) ſo lenkte er nicht bloß das Odium und die Gefahr einer dem- nächſtigen Verurtheilung 449) von ſich ab, ſondern die Maßregel ſelbſt fand von vornherein eine ganz andere Aufnahme, als wenn er einſeitig aus eigner Machtvollkommenheit ſie verhängt hatte. 450) Dazu kommt ferner, daß die Bewilligung der Pro- vinzen, Legionen, Triumphe u. ſ. w. vom Senat abhing, ein ehrgeiziger Magiſtrat alſo allen Anlaß hatte, ſich den Senat geneigt zu machen. So begreift es ſich, daß die Senatsbe- 447) 448) Aus demſelben Grunde fühlte ſich der Senat veranlaßt, Fragen, die er verfaſſungsmäßig allein entſcheiden konnte, an das Volk zu bringen. So z. B. Liv. V, 36. Itaque ne penes ipsos culpa esset …, cog- nitionem .. ad populum rejiciunt und VII, 20. IX, 30. Rubino a. a. O. S. 273, 274. 449) Liv. V, 29. Hier wurden zwei Tribunen, die auf Veranlaſſung des Senats intercedirt hatten, dennoch hinterher verurtheilt, aber wie Livius ſagt: pessimo exemplo, und gerade dieſer Fall zeigt deutlich, welchen Schutz die Autoritas senatus gewährte. Die Conſuln wurden aufs bitterſte ge- tadelt, daß ſie es gelitten hätten: fide publica decipi tribunos, qui senatus auctoritatem sequuti essent. 450) Es werden Fälle erwähnt, wo der Magiſtrat, weil ihm dieſe mora- liſche Unterſtützung des Senats fehlte, ſeine durchaus legalen Intentionen nicht durchſetzen konnte, z. B. Liv. VIII, 15. 447) ließ. S. außerdem die von Rubino Unterſuchungen u. ſ. w. S. 145 u. 146 beigebrachten Stellen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/307
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/307>, abgerufen am 23.11.2024.