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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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C. Histor. Bedeutung d. Systems. Entdeckung d. Privatrechts. §. 36.
des Gesichtspunktes der Macht und Herrschaft, die Betrachtung
des gesammten Privatrechts und aller seiner Verhältnisse unter
diesem Einen Gesichtspunkt ist eben das absolut Richtige. Ju-
ristisch diese Verhältnisse zu betrachten heißt nichts anderes, als
den abstract-rechtlichen Machtgehalt derselben ausscheiden und
zur Darstellung bringen. Jedes Recht ist ein Stück concret ge-
wordener und bestimmt gestalteter Willensmacht; nur die Ver-
hältnisse sind juristische und nur soweit sind sie es, als in ihnen
dieser Bestandtheil sich findet; was sie sonst noch enthalten an
andern Stoffen, an sittlichen, politischen, ökonomischen Ideen
u. s. w., kommt für die juristische Betrachtung gar nicht in
Betracht. Wenn die Römer nun die Rechtsverhältnisse von
vornherein unter diesem exclusiven juristischen Gesichtspunkt
auffaßten, so finde ich den Grund davon in unserm Macht- und
Freiheitstriebe, in der Gewalt, die der Gedanke der Herrschaft
auf das römische Gemüth ausübte, in der Einseitigkeit und
Energie, mit der sie ihn als letzten Endzweck überall verfolgten.
Ich meine nicht, als ob es nicht höhere Endzwecke gebe, als die-
sen römischen -- aber was die Römer bei Verfolgung desselben
gefunden, das darf und soll der Welt zu gute kommen. Ob es
niedrige Gewinnsucht war, die den Handel in ferne Länder und
zu neuen Entdeckungen führte, was gilt es uns? die Entdeckung
selbst werden wir darum nicht verschmähen. So möchte der
Höhepunkt der römischen Sittlichkeit noch so tief liegen, un-
gleich tiefer, als ich ihn im bisherigen angenommen habe, er
lag aber gerade in der richtigen Höhe, daß man von hier aus
eine Entdeckung machen konnte und mußte, die man von einem
wirklich oder vermeintlich höheren Punkte aus nicht gemacht
haben würde -- die Entdeckung des Privatrechts. Diese
Errungenschaft kann und soll jedes Volk sich zu Nutze machen,
ohne im übrigen auch nur die geringste Aehnlichkeit mit den
Römern zu haben. Nur mißverstehe man mich nicht. Es ist
neuerdings die Behauptung aufgestellt, das römische Recht sei

Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 20

C. Hiſtor. Bedeutung d. Syſtems. Entdeckung d. Privatrechts. §. 36.
des Geſichtspunktes der Macht und Herrſchaft, die Betrachtung
des geſammten Privatrechts und aller ſeiner Verhältniſſe unter
dieſem Einen Geſichtspunkt iſt eben das abſolut Richtige. Ju-
riſtiſch dieſe Verhältniſſe zu betrachten heißt nichts anderes, als
den abſtract-rechtlichen Machtgehalt derſelben ausſcheiden und
zur Darſtellung bringen. Jedes Recht iſt ein Stück concret ge-
wordener und beſtimmt geſtalteter Willensmacht; nur die Ver-
hältniſſe ſind juriſtiſche und nur ſoweit ſind ſie es, als in ihnen
dieſer Beſtandtheil ſich findet; was ſie ſonſt noch enthalten an
andern Stoffen, an ſittlichen, politiſchen, ökonomiſchen Ideen
u. ſ. w., kommt für die juriſtiſche Betrachtung gar nicht in
Betracht. Wenn die Römer nun die Rechtsverhältniſſe von
vornherein unter dieſem excluſiven juriſtiſchen Geſichtspunkt
auffaßten, ſo finde ich den Grund davon in unſerm Macht- und
Freiheitstriebe, in der Gewalt, die der Gedanke der Herrſchaft
auf das römiſche Gemüth ausübte, in der Einſeitigkeit und
Energie, mit der ſie ihn als letzten Endzweck überall verfolgten.
Ich meine nicht, als ob es nicht höhere Endzwecke gebe, als die-
ſen römiſchen — aber was die Römer bei Verfolgung desſelben
gefunden, das darf und ſoll der Welt zu gute kommen. Ob es
niedrige Gewinnſucht war, die den Handel in ferne Länder und
zu neuen Entdeckungen führte, was gilt es uns? die Entdeckung
ſelbſt werden wir darum nicht verſchmähen. So möchte der
Höhepunkt der römiſchen Sittlichkeit noch ſo tief liegen, un-
gleich tiefer, als ich ihn im bisherigen angenommen habe, er
lag aber gerade in der richtigen Höhe, daß man von hier aus
eine Entdeckung machen konnte und mußte, die man von einem
wirklich oder vermeintlich höheren Punkte aus nicht gemacht
haben würde — die Entdeckung des Privatrechts. Dieſe
Errungenſchaft kann und ſoll jedes Volk ſich zu Nutze machen,
ohne im übrigen auch nur die geringſte Aehnlichkeit mit den
Römern zu haben. Nur mißverſtehe man mich nicht. Es iſt
neuerdings die Behauptung aufgeſtellt, das römiſche Recht ſei

Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. II. 20
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[305/0319] C. Hiſtor. Bedeutung d. Syſtems. Entdeckung d. Privatrechts. §. 36. des Geſichtspunktes der Macht und Herrſchaft, die Betrachtung des geſammten Privatrechts und aller ſeiner Verhältniſſe unter dieſem Einen Geſichtspunkt iſt eben das abſolut Richtige. Ju- riſtiſch dieſe Verhältniſſe zu betrachten heißt nichts anderes, als den abſtract-rechtlichen Machtgehalt derſelben ausſcheiden und zur Darſtellung bringen. Jedes Recht iſt ein Stück concret ge- wordener und beſtimmt geſtalteter Willensmacht; nur die Ver- hältniſſe ſind juriſtiſche und nur ſoweit ſind ſie es, als in ihnen dieſer Beſtandtheil ſich findet; was ſie ſonſt noch enthalten an andern Stoffen, an ſittlichen, politiſchen, ökonomiſchen Ideen u. ſ. w., kommt für die juriſtiſche Betrachtung gar nicht in Betracht. Wenn die Römer nun die Rechtsverhältniſſe von vornherein unter dieſem excluſiven juriſtiſchen Geſichtspunkt auffaßten, ſo finde ich den Grund davon in unſerm Macht- und Freiheitstriebe, in der Gewalt, die der Gedanke der Herrſchaft auf das römiſche Gemüth ausübte, in der Einſeitigkeit und Energie, mit der ſie ihn als letzten Endzweck überall verfolgten. Ich meine nicht, als ob es nicht höhere Endzwecke gebe, als die- ſen römiſchen — aber was die Römer bei Verfolgung desſelben gefunden, das darf und ſoll der Welt zu gute kommen. Ob es niedrige Gewinnſucht war, die den Handel in ferne Länder und zu neuen Entdeckungen führte, was gilt es uns? die Entdeckung ſelbſt werden wir darum nicht verſchmähen. So möchte der Höhepunkt der römiſchen Sittlichkeit noch ſo tief liegen, un- gleich tiefer, als ich ihn im bisherigen angenommen habe, er lag aber gerade in der richtigen Höhe, daß man von hier aus eine Entdeckung machen konnte und mußte, die man von einem wirklich oder vermeintlich höheren Punkte aus nicht gemacht haben würde — die Entdeckung des Privatrechts. Dieſe Errungenſchaft kann und ſoll jedes Volk ſich zu Nutze machen, ohne im übrigen auch nur die geringſte Aehnlichkeit mit den Römern zu haben. Nur mißverſtehe man mich nicht. Es iſt neuerdings die Behauptung aufgeſtellt, das römiſche Recht ſei Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. II. 20

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/319>, abgerufen am 28.11.2024.