Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.I. Der Selbständigkeitstrieb. 4. Verwirklichung des Rechts. §. 28. Grund vor, ihn erst aus späterer Zeit zu datiren. Es vermin-dert sich aber das Gewicht dieser Eingriffe, wenn man bedenkt, daß sie nur negativer Art waren, die beabsichtigte rechtliche Ver- fügung zwar vertagen, aber nicht eine andere an deren Stelle setzen konnten, sowie daß dem Einspruch keine Rechtskraft zu- kam, so daß also nicht nur der Nachfolger im Amt, sondern der Urheber selbst ihn zurücknehmen konnte. Und sodann hatte die ganze Einrichtung nicht einen der Rechtspflege feindlichen Cha- rakter, sondern umgekehrt den Zweck, ihr zu dienen, eine Partheilichkeit und Ungerechtigkeit des Prätors unschädlich zu machen. Im Anfange der Republik, als noch die Rechtspflege ausschließlich in den Händen der Patricier und den Einwir- kungen des Partheiinteresses ausgesetzt war, mußte das Veto der Tribunen auch in seiner Anwendung gegen rechtliche Ver- fügungen patricischer Beamten für die Plebs unschätzbar sein. Wie wenig die Römer in der That geneigt waren, das 80) Ueber den letzten historischen Grund dieser Erscheinung habe ich früher (B. 1. S. 186--188) meine Meinung geäußert. 81) Beispiele sind bereits an der citirten Stelle Note 97 angegeben. 6*
I. Der Selbſtändigkeitstrieb. 4. Verwirklichung des Rechts. §. 28. Grund vor, ihn erſt aus ſpäterer Zeit zu datiren. Es vermin-dert ſich aber das Gewicht dieſer Eingriffe, wenn man bedenkt, daß ſie nur negativer Art waren, die beabſichtigte rechtliche Ver- fügung zwar vertagen, aber nicht eine andere an deren Stelle ſetzen konnten, ſowie daß dem Einſpruch keine Rechtskraft zu- kam, ſo daß alſo nicht nur der Nachfolger im Amt, ſondern der Urheber ſelbſt ihn zurücknehmen konnte. Und ſodann hatte die ganze Einrichtung nicht einen der Rechtspflege feindlichen Cha- rakter, ſondern umgekehrt den Zweck, ihr zu dienen, eine Partheilichkeit und Ungerechtigkeit des Prätors unſchädlich zu machen. Im Anfange der Republik, als noch die Rechtspflege ausſchließlich in den Händen der Patricier und den Einwir- kungen des Partheiintereſſes ausgeſetzt war, mußte das Veto der Tribunen auch in ſeiner Anwendung gegen rechtliche Ver- fügungen patriciſcher Beamten für die Plebs unſchätzbar ſein. Wie wenig die Römer in der That geneigt waren, das 80) Ueber den letzten hiſtoriſchen Grund dieſer Erſcheinung habe ich früher (B. 1. S. 186—188) meine Meinung geäußert. 81) Beiſpiele ſind bereits an der citirten Stelle Note 97 angegeben. 6*
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I. Der Selbſtändigkeitstrieb. 4. Verwirklichung des Rechts. §. 28.
Grund vor, ihn erſt aus ſpäterer Zeit zu datiren. Es vermin-
dert ſich aber das Gewicht dieſer Eingriffe, wenn man bedenkt,
daß ſie nur negativer Art waren, die beabſichtigte rechtliche Ver-
fügung zwar vertagen, aber nicht eine andere an deren Stelle
ſetzen konnten, ſowie daß dem Einſpruch keine Rechtskraft zu-
kam, ſo daß alſo nicht nur der Nachfolger im Amt, ſondern der
Urheber ſelbſt ihn zurücknehmen konnte. Und ſodann hatte die
ganze Einrichtung nicht einen der Rechtspflege feindlichen Cha-
rakter, ſondern umgekehrt den Zweck, ihr zu dienen, eine
Partheilichkeit und Ungerechtigkeit des Prätors unſchädlich zu
machen. Im Anfange der Republik, als noch die Rechtspflege
ausſchließlich in den Händen der Patricier und den Einwir-
kungen des Partheiintereſſes ausgeſetzt war, mußte das Veto
der Tribunen auch in ſeiner Anwendung gegen rechtliche Ver-
fügungen patriciſcher Beamten für die Plebs unſchätzbar ſein.
Wie wenig die Römer in der That geneigt waren, das
Gebiet der Juſtiz zu verkürzen oder ſie in ihrer Selbſtändigkeit
zu beeinträchtigen, zeigt ſich ſchlagend an einem Punkt, der
ſonſt der eigentliche Tummelplatz der Conflikte zwiſchen Staats-
gewalt und Juſtiz zu ſein pflegt, nämlich an dem Verhältniß der
Juſtiz zur Polizei und Verwaltung. Während anderwärts die
Polizei ſo leicht zu Uebergriffen in das Gebiet der Juſtiz inklinirt,
hat ſie in Rom umgekehrt einen beträchtlichen Theil ihres Ge-
bietes an die Juſtiz abgetreten. 80) Unſere heutigen Polizeicon-
traventionen 81) bildeten nämlich in Rom, wenigſtens der Mehr-
zahl nach, den Gegenſtand eines ganz regulären Civilprozeſſes
zwiſchen dem Contravenienten und dem öffentlichen Kläger
(d. h. jedem aus dem Volk, der dieſe Rolle übernommen hatte).
Der Prätor wie der Richter befolgten hier durchaus die ſtrengen
Grundſätze des Civilrechts, und der Staat oder das Volk,
80) Ueber den letzten hiſtoriſchen Grund dieſer Erſcheinung habe ich
früher (B. 1. S. 186—188) meine Meinung geäußert.
81) Beiſpiele ſind bereits an der citirten Stelle Note 97 angegeben.
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