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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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3. Die juristische Construction. §. 41.
schen Construction. Wie verhält sich letztere zu der früher (§. 38)
entwickelten höchsten Aufgabe der Technik, der Erleichterung der
subjectiven Beherrschung des Rechts? Wir wollen das durch
die Construction im Sinn der naturhistorischen Methode gestal-
tete Recht das System nennen und fassen den Inhalt der fol-
genden Ausführung in die beiden Sätze zusammen: das System
ist die praktisch vortheilhafteste Form des positiv gegebenen
Stoffs; und: es ist die Quelle neuen Stoffs.

1. Das System ist die praktisch vortheilhafteste
Form des positiv gegebenen Stoffs
.

Die Erhebung des Rechts zum System im obigen Sinn ent-
zieht demselben, wie bereits früher bemerkt, seine äußerlich
praktische Form, ohne die innere praktische Kraft desselben zu
vermindern. Alle unsere Begriffe, Eintheilungen sind praktische
Potenzen; gewonnen aus Rechtssätzen, lassen sie sich jederzeit
von dem, der es versteht, auf sie zurückführen. 526)

Wenn nun jene Umwandlung einerseits die bisherige Brauch-
barkeit des Stoffs um nichts beeinträchtigt, vervollkommnet sie
ihn andererseits in höchst wesentlicher Weise.

Erstens: das System ist die anschaulichste, weil pla-
stische
Form des Stoffs. Während derselbe bisher als rein stoff-
artige Substanz mit dem Gedächtniß erfaßt werden mußte,
geschieht dies jetzt vermittelst des juristischen Anschauungs-
vermögens
. Das Charakteristische der Anschauung liegt
in der Einheit, Totalität und Simultaneität des Bildes, das sie
dem Geist vorführt. Die Anschauung sucht nicht erst das Ein-
zelne zusammen, wie das Gedächtniß, sondern sie hat dasselbe
gleichzeitig und in seinem ganzen Zusammenhang vor Augen.
Dies setzt aber voraus, daß ein solcher Zusammenhang, eine Ein-
heit, kurz ein objectiv Anschauliches existire. Diese objective An-
schaulichkeit wird nun für das Recht eben begründet durch das

526) S. Bd. 1 S. 27, 28.

3. Die juriſtiſche Conſtruction. §. 41.
ſchen Conſtruction. Wie verhält ſich letztere zu der früher (§. 38)
entwickelten höchſten Aufgabe der Technik, der Erleichterung der
ſubjectiven Beherrſchung des Rechts? Wir wollen das durch
die Conſtruction im Sinn der naturhiſtoriſchen Methode geſtal-
tete Recht das Syſtem nennen und faſſen den Inhalt der fol-
genden Ausführung in die beiden Sätze zuſammen: das Syſtem
iſt die praktiſch vortheilhafteſte Form des poſitiv gegebenen
Stoffs; und: es iſt die Quelle neuen Stoffs.

1. Das Syſtem iſt die praktiſch vortheilhafteſte
Form des poſitiv gegebenen Stoffs
.

Die Erhebung des Rechts zum Syſtem im obigen Sinn ent-
zieht demſelben, wie bereits früher bemerkt, ſeine äußerlich
praktiſche Form, ohne die innere praktiſche Kraft deſſelben zu
vermindern. Alle unſere Begriffe, Eintheilungen ſind praktiſche
Potenzen; gewonnen aus Rechtsſätzen, laſſen ſie ſich jederzeit
von dem, der es verſteht, auf ſie zurückführen. 526)

Wenn nun jene Umwandlung einerſeits die bisherige Brauch-
barkeit des Stoffs um nichts beeinträchtigt, vervollkommnet ſie
ihn andererſeits in höchſt weſentlicher Weiſe.

Erſtens: das Syſtem iſt die anſchaulichſte, weil pla-
ſtiſche
Form des Stoffs. Während derſelbe bisher als rein ſtoff-
artige Subſtanz mit dem Gedächtniß erfaßt werden mußte,
geſchieht dies jetzt vermittelſt des juriſtiſchen Anſchauungs-
vermögens
. Das Charakteriſtiſche der Anſchauung liegt
in der Einheit, Totalität und Simultaneität des Bildes, das ſie
dem Geiſt vorführt. Die Anſchauung ſucht nicht erſt das Ein-
zelne zuſammen, wie das Gedächtniß, ſondern ſie hat daſſelbe
gleichzeitig und in ſeinem ganzen Zuſammenhang vor Augen.
Dies ſetzt aber voraus, daß ein ſolcher Zuſammenhang, eine Ein-
heit, kurz ein objectiv Anſchauliches exiſtire. Dieſe objective An-
ſchaulichkeit wird nun für das Recht eben begründet durch das

526) S. Bd. 1 S. 27, 28.
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[409/0115] 3. Die juriſtiſche Conſtruction. §. 41. ſchen Conſtruction. Wie verhält ſich letztere zu der früher (§. 38) entwickelten höchſten Aufgabe der Technik, der Erleichterung der ſubjectiven Beherrſchung des Rechts? Wir wollen das durch die Conſtruction im Sinn der naturhiſtoriſchen Methode geſtal- tete Recht das Syſtem nennen und faſſen den Inhalt der fol- genden Ausführung in die beiden Sätze zuſammen: das Syſtem iſt die praktiſch vortheilhafteſte Form des poſitiv gegebenen Stoffs; und: es iſt die Quelle neuen Stoffs. 1. Das Syſtem iſt die praktiſch vortheilhafteſte Form des poſitiv gegebenen Stoffs. Die Erhebung des Rechts zum Syſtem im obigen Sinn ent- zieht demſelben, wie bereits früher bemerkt, ſeine äußerlich praktiſche Form, ohne die innere praktiſche Kraft deſſelben zu vermindern. Alle unſere Begriffe, Eintheilungen ſind praktiſche Potenzen; gewonnen aus Rechtsſätzen, laſſen ſie ſich jederzeit von dem, der es verſteht, auf ſie zurückführen. 526) Wenn nun jene Umwandlung einerſeits die bisherige Brauch- barkeit des Stoffs um nichts beeinträchtigt, vervollkommnet ſie ihn andererſeits in höchſt weſentlicher Weiſe. Erſtens: das Syſtem iſt die anſchaulichſte, weil pla- ſtiſche Form des Stoffs. Während derſelbe bisher als rein ſtoff- artige Subſtanz mit dem Gedächtniß erfaßt werden mußte, geſchieht dies jetzt vermittelſt des juriſtiſchen Anſchauungs- vermögens. Das Charakteriſtiſche der Anſchauung liegt in der Einheit, Totalität und Simultaneität des Bildes, das ſie dem Geiſt vorführt. Die Anſchauung ſucht nicht erſt das Ein- zelne zuſammen, wie das Gedächtniß, ſondern ſie hat daſſelbe gleichzeitig und in ſeinem ganzen Zuſammenhang vor Augen. Dies ſetzt aber voraus, daß ein ſolcher Zuſammenhang, eine Ein- heit, kurz ein objectiv Anſchauliches exiſtire. Dieſe objective An- ſchaulichkeit wird nun für das Recht eben begründet durch das 526) S. Bd. 1 S. 27, 28.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/115>, abgerufen am 21.11.2024.