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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts.
nerung des Volks zurückgelassen hat. Und in der That war der
Riß ein schroffer -- um dies behaupten zu können, reichen un-
sere sonstigen Nachrichten vollkommen aus -- und zwar beruhte
diese Schroffheit wesentlich mit auf der eigenthümlichen Form,
die die Jurisprudenz während der ersten Jahrhunderte ihres
Bestehens an sich trug.

Die Kenntniß der Gesetze, die Kunst der Interpretation und
die Legis Actionen, berichtet uns Pomponius, 534) waren in der
Zeit nach den XII Tafeln in den Händen der Pontifices, und
jährlich ward ein Mitglied aus dem Collegium zur Handhabung
der Rechtspflege (qui praeesset privatis) committirt. Derselbe
Pomponius aber redet in §. 27 des citirten Fragments von
einem gleichzeitigen jus dicere der Consuln. Wie vereinigt sich
beides? Alle Maßregeln, die Ausflüsse des imperium waren
z. B. die addictio des Schuldners, der Erlaß eines Befehls
u. s. w., konnten nur von dem Magistrat verhängt werden, da-
gegen fiel die Entscheidung eigentlicher Prozesse den Pontifices
anheim. Dies aber mit einer Beschränkung. Mit Streitigkei-
ten nämlich, die keine Rechtskenntniß voraussetzten z. B. über
Theilung eines Nachlasses zwischen den Erben, Taxation einer
Sache, über Regulirung des Laufs der Gewässer brauchte man
die Pontifices nicht zu behelligen; jeder Bürger und Bauer war
hier eben so brauchbar und vielleicht brauchbarer, als sie. Für
derartige Rechtsstreitigkeiten (jurgium, arbitrium) war höchst
wahrscheinlich die legis actio per judicis arbitrive postulatio-
nem
bestimmt, und zwar ward der Antrag auf Bestellung eines
solchen Richters aus dem Volk beim Consul, nach Einführung
der Prätur beim Prätor gestellt. 535) Im übrigen nun waren
ausschließlich die Pontifices competent, wie schon daraus her-

534) L. 2 §. 6 de orig. jur. (1. 2).
535) Die betreffende Formel bei Valerius Probus §. 4 lautet nach der
ohne Zweifel allein richtigen Lesart, die der neueste Herausgeber, Th. Momm-
sen, in den Text aufgenommen, so: te, Praetor, judicem arbitrumve po-
stulo uti des. Praetor
hieß bekanntlich früher auch der Consul.

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
nerung des Volks zurückgelaſſen hat. Und in der That war der
Riß ein ſchroffer — um dies behaupten zu können, reichen un-
ſere ſonſtigen Nachrichten vollkommen aus — und zwar beruhte
dieſe Schroffheit weſentlich mit auf der eigenthümlichen Form,
die die Jurisprudenz während der erſten Jahrhunderte ihres
Beſtehens an ſich trug.

Die Kenntniß der Geſetze, die Kunſt der Interpretation und
die Legis Actionen, berichtet uns Pomponius, 534) waren in der
Zeit nach den XII Tafeln in den Händen der Pontifices, und
jährlich ward ein Mitglied aus dem Collegium zur Handhabung
der Rechtspflege (qui praeesset privatis) committirt. Derſelbe
Pomponius aber redet in §. 27 des citirten Fragments von
einem gleichzeitigen jus dicere der Conſuln. Wie vereinigt ſich
beides? Alle Maßregeln, die Ausflüſſe des imperium waren
z. B. die addictio des Schuldners, der Erlaß eines Befehls
u. ſ. w., konnten nur von dem Magiſtrat verhängt werden, da-
gegen fiel die Entſcheidung eigentlicher Prozeſſe den Pontifices
anheim. Dies aber mit einer Beſchränkung. Mit Streitigkei-
ten nämlich, die keine Rechtskenntniß vorausſetzten z. B. über
Theilung eines Nachlaſſes zwiſchen den Erben, Taxation einer
Sache, über Regulirung des Laufs der Gewäſſer brauchte man
die Pontifices nicht zu behelligen; jeder Bürger und Bauer war
hier eben ſo brauchbar und vielleicht brauchbarer, als ſie. Für
derartige Rechtsſtreitigkeiten (jurgium, arbitrium) war höchſt
wahrſcheinlich die legis actio per judicis arbitrive postulatio-
nem
beſtimmt, und zwar ward der Antrag auf Beſtellung eines
ſolchen Richters aus dem Volk beim Conſul, nach Einführung
der Prätur beim Prätor geſtellt. 535) Im übrigen nun waren
ausſchließlich die Pontifices competent, wie ſchon daraus her-

534) L. 2 §. 6 de orig. jur. (1. 2).
535) Die betreffende Formel bei Valerius Probus §. 4 lautet nach der
ohne Zweifel allein richtigen Lesart, die der neueſte Herausgeber, Th. Momm-
ſen, in den Text aufgenommen, ſo: te, Praetor, judicem arbitrumve po-
stulo uti des. Praetor
hieß bekanntlich früher auch der Conſul.
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[418/0124] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. nerung des Volks zurückgelaſſen hat. Und in der That war der Riß ein ſchroffer — um dies behaupten zu können, reichen un- ſere ſonſtigen Nachrichten vollkommen aus — und zwar beruhte dieſe Schroffheit weſentlich mit auf der eigenthümlichen Form, die die Jurisprudenz während der erſten Jahrhunderte ihres Beſtehens an ſich trug. Die Kenntniß der Geſetze, die Kunſt der Interpretation und die Legis Actionen, berichtet uns Pomponius, 534) waren in der Zeit nach den XII Tafeln in den Händen der Pontifices, und jährlich ward ein Mitglied aus dem Collegium zur Handhabung der Rechtspflege (qui praeesset privatis) committirt. Derſelbe Pomponius aber redet in §. 27 des citirten Fragments von einem gleichzeitigen jus dicere der Conſuln. Wie vereinigt ſich beides? Alle Maßregeln, die Ausflüſſe des imperium waren z. B. die addictio des Schuldners, der Erlaß eines Befehls u. ſ. w., konnten nur von dem Magiſtrat verhängt werden, da- gegen fiel die Entſcheidung eigentlicher Prozeſſe den Pontifices anheim. Dies aber mit einer Beſchränkung. Mit Streitigkei- ten nämlich, die keine Rechtskenntniß vorausſetzten z. B. über Theilung eines Nachlaſſes zwiſchen den Erben, Taxation einer Sache, über Regulirung des Laufs der Gewäſſer brauchte man die Pontifices nicht zu behelligen; jeder Bürger und Bauer war hier eben ſo brauchbar und vielleicht brauchbarer, als ſie. Für derartige Rechtsſtreitigkeiten (jurgium, arbitrium) war höchſt wahrſcheinlich die legis actio per judicis arbitrive postulatio- nem beſtimmt, und zwar ward der Antrag auf Beſtellung eines ſolchen Richters aus dem Volk beim Conſul, nach Einführung der Prätur beim Prätor geſtellt. 535) Im übrigen nun waren ausſchließlich die Pontifices competent, wie ſchon daraus her- 534) L. 2 §. 6 de orig. jur. (1. 2). 535) Die betreffende Formel bei Valerius Probus §. 4 lautet nach der ohne Zweifel allein richtigen Lesart, die der neueſte Herausgeber, Th. Momm- ſen, in den Text aufgenommen, ſo: te, Praetor, judicem arbitrumve po- stulo uti des. Praetor hieß bekanntlich früher auch der Conſul.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/124>, abgerufen am 24.11.2024.