Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. zwischen den Juristen und Laien der damaligen Zeit nicht ineine Verschiedenheit ihres Wissens, sondern des Könnens setzen wollen; die Ueberlegenheit der ersteren habe sich lediglich auf die Anwendung des Rechts bezogen. Allein dieser Be- hauptung stehen nicht bloß alle äußern Zeugnisse, sondern auch die innere Wahrscheinlichkeit entgegen. Waren auch die Gesetze Jedermann vor Augen, so war doch die Interpretation Sache der Pontifices; 537) bot auch die Oeffentlichkeit der Gerichts- sitzungen Gelegenheit, den Gang des Verfahrens und das rein Aeußerliche der Klagformulare kennen zu lernen, so war doch schon die Kenntniß, wo und wie die verschiedenen Formeln an- zuwenden, welcher Sinn mit ihnen zu verbinden etwas mehr Theoretisches, durch das bloße Zusehen nicht so leicht zu Erler- nendes. Allein der entscheidende Umstand ist der, daß es außer der Volkssitte und den Gesetzen noch eine dritte Rechtsquelle das Recht der Wissenschaft oder das jus civile im engern Sinn 538) gab, zu der nur der Pontifex völlig freien Zutritt hatte. Als nothwendiger Inhalt dieser pontificischen Rechts- 537) L. 2 §. 6 de orig. jur. (1. 2). 538) S. die Darstellung bei Pomponius L. 2 §. 5, 6 cit., in der das jus civile oder das alte Juristen-Recht sich unmittelbar an die XII Tafeln anschließt. 539) Wie fest und treu die römische juristische Tradition war, dafür gibt
die Notiz bei Pomponius L. 2 §. 38 de orig. jur. (1. 2) über den ersten ple- bejischen Pontifex Maximus Tib. Coruncanius, daß man von demselben zwar Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. zwiſchen den Juriſten und Laien der damaligen Zeit nicht ineine Verſchiedenheit ihres Wiſſens, ſondern des Könnens ſetzen wollen; die Ueberlegenheit der erſteren habe ſich lediglich auf die Anwendung des Rechts bezogen. Allein dieſer Be- hauptung ſtehen nicht bloß alle äußern Zeugniſſe, ſondern auch die innere Wahrſcheinlichkeit entgegen. Waren auch die Geſetze Jedermann vor Augen, ſo war doch die Interpretation Sache der Pontifices; 537) bot auch die Oeffentlichkeit der Gerichts- ſitzungen Gelegenheit, den Gang des Verfahrens und das rein Aeußerliche der Klagformulare kennen zu lernen, ſo war doch ſchon die Kenntniß, wo und wie die verſchiedenen Formeln an- zuwenden, welcher Sinn mit ihnen zu verbinden etwas mehr Theoretiſches, durch das bloße Zuſehen nicht ſo leicht zu Erler- nendes. Allein der entſcheidende Umſtand iſt der, daß es außer der Volksſitte und den Geſetzen noch eine dritte Rechtsquelle das Recht der Wiſſenſchaft oder das jus civile im engern Sinn 538) gab, zu der nur der Pontifex völlig freien Zutritt hatte. Als nothwendiger Inhalt dieſer pontificiſchen Rechts- 537) L. 2 §. 6 de orig. jur. (1. 2). 538) S. die Darſtellung bei Pomponius L. 2 §. 5, 6 cit., in der das jus civile oder das alte Juriſten-Recht ſich unmittelbar an die XII Tafeln anſchließt. 539) Wie feſt und treu die römiſche juriſtiſche Tradition war, dafür gibt
die Notiz bei Pomponius L. 2 §. 38 de orig. jur. (1. 2) über den erſten ple- bejiſchen Pontifex Maximus Tib. Coruncanius, daß man von demſelben zwar <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0126" n="420"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Erſter Abſchn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die juriſt. Technik. <hi rendition="#aq">B.</hi> Des ält. Rechts.</fw><lb/> zwiſchen den Juriſten und Laien der damaligen Zeit nicht in<lb/> eine Verſchiedenheit ihres <hi rendition="#g">Wiſſens</hi>, ſondern des <hi rendition="#g">Könnens</hi><lb/> ſetzen wollen; die Ueberlegenheit der erſteren habe ſich lediglich<lb/> auf die <hi rendition="#g">Anwendung</hi> des Rechts bezogen. Allein dieſer Be-<lb/> hauptung ſtehen nicht bloß alle äußern Zeugniſſe, ſondern auch<lb/> die innere Wahrſcheinlichkeit entgegen. Waren auch die Geſetze<lb/> Jedermann vor Augen, ſo war doch die Interpretation Sache<lb/> der Pontifices; <note place="foot" n="537)"><hi rendition="#aq">L. 2 §. 6 de orig. jur. (1. 2).</hi></note> bot auch die Oeffentlichkeit der Gerichts-<lb/> ſitzungen Gelegenheit, den Gang des Verfahrens und das rein<lb/> Aeußerliche der Klagformulare kennen zu lernen, ſo war doch<lb/> ſchon die Kenntniß, wo und wie die verſchiedenen Formeln an-<lb/> zuwenden, welcher Sinn mit ihnen zu verbinden etwas mehr<lb/> Theoretiſches, durch das bloße Zuſehen nicht ſo leicht zu Erler-<lb/> nendes. Allein der entſcheidende Umſtand iſt der, daß es außer<lb/> der Volksſitte und den Geſetzen noch eine dritte Rechtsquelle das<lb/> Recht der Wiſſenſchaft oder das <hi rendition="#aq">jus civile</hi> im engern Sinn <note place="foot" n="538)">S. die Darſtellung bei Pomponius <hi rendition="#aq">L. 2 §. 5, 6 cit.,</hi> in der das<lb/><hi rendition="#aq">jus civile</hi> oder das alte Juriſten-Recht ſich unmittelbar an die <hi rendition="#aq">XII</hi> Tafeln<lb/> anſchließt.</note><lb/> gab, zu der nur der Pontifex völlig freien Zutritt hatte.</p><lb/> <p>Als nothwendiger Inhalt dieſer <hi rendition="#g">pontificiſchen Rechts-<lb/> disciplin</hi> ſtellt ſich uns zunächſt dar die Tradition der bisheri-<lb/> gen <hi rendition="#g">Praxis</hi>. Daß der Boden zur Bildung einer conſtanten<lb/> Praxis ein höchſt geeigneter war, wird eben ſo wenig der Bemer-<lb/> kung bedürfen, als daß die Fortpflanzung derſelben durch ſchrift-<lb/> liche und mündliche Tradition ſich der Natur der Sache nach nur<lb/> auf die Mitglieder des Collegs beſchränkte. Im Volk mußte die<lb/> Erinnerung wichtiger Rechtsfälle und Entſcheidungen leicht ver-<lb/> fliegen, bei jenem Colleg hingegen ward ſie fixirt und pflanzte<lb/> ſich treu von einer Generation zur andern fort. <note xml:id="seg2pn_11_1" next="#seg2pn_11_2" place="foot" n="539)">Wie feſt und treu die römiſche juriſtiſche Tradition war, dafür gibt<lb/> die Notiz bei Pomponius <hi rendition="#aq">L. 2 §. 38 de orig. jur.</hi> (1. 2) über den erſten ple-<lb/> bejiſchen Pontifex Maximus Tib. Coruncanius, daß man von demſelben zwar</note> Den zweiten<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [420/0126]
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
zwiſchen den Juriſten und Laien der damaligen Zeit nicht in
eine Verſchiedenheit ihres Wiſſens, ſondern des Könnens
ſetzen wollen; die Ueberlegenheit der erſteren habe ſich lediglich
auf die Anwendung des Rechts bezogen. Allein dieſer Be-
hauptung ſtehen nicht bloß alle äußern Zeugniſſe, ſondern auch
die innere Wahrſcheinlichkeit entgegen. Waren auch die Geſetze
Jedermann vor Augen, ſo war doch die Interpretation Sache
der Pontifices; 537) bot auch die Oeffentlichkeit der Gerichts-
ſitzungen Gelegenheit, den Gang des Verfahrens und das rein
Aeußerliche der Klagformulare kennen zu lernen, ſo war doch
ſchon die Kenntniß, wo und wie die verſchiedenen Formeln an-
zuwenden, welcher Sinn mit ihnen zu verbinden etwas mehr
Theoretiſches, durch das bloße Zuſehen nicht ſo leicht zu Erler-
nendes. Allein der entſcheidende Umſtand iſt der, daß es außer
der Volksſitte und den Geſetzen noch eine dritte Rechtsquelle das
Recht der Wiſſenſchaft oder das jus civile im engern Sinn 538)
gab, zu der nur der Pontifex völlig freien Zutritt hatte.
Als nothwendiger Inhalt dieſer pontificiſchen Rechts-
disciplin ſtellt ſich uns zunächſt dar die Tradition der bisheri-
gen Praxis. Daß der Boden zur Bildung einer conſtanten
Praxis ein höchſt geeigneter war, wird eben ſo wenig der Bemer-
kung bedürfen, als daß die Fortpflanzung derſelben durch ſchrift-
liche und mündliche Tradition ſich der Natur der Sache nach nur
auf die Mitglieder des Collegs beſchränkte. Im Volk mußte die
Erinnerung wichtiger Rechtsfälle und Entſcheidungen leicht ver-
fliegen, bei jenem Colleg hingegen ward ſie fixirt und pflanzte
ſich treu von einer Generation zur andern fort. 539) Den zweiten
537) L. 2 §. 6 de orig. jur. (1. 2).
538) S. die Darſtellung bei Pomponius L. 2 §. 5, 6 cit., in der das
jus civile oder das alte Juriſten-Recht ſich unmittelbar an die XII Tafeln
anſchließt.
539) Wie feſt und treu die römiſche juriſtiſche Tradition war, dafür gibt
die Notiz bei Pomponius L. 2 §. 38 de orig. jur. (1. 2) über den erſten ple-
bejiſchen Pontifex Maximus Tib. Coruncanius, daß man von demſelben zwar
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |