Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.Die Jurisprudenz. §. 42. nen. 540) Freilich darf man die Bedeutung dieser Legisactionennicht unterschätzen, denn sie enthielten nicht bloß die Form des Rechts, sondern zum großen Theil das Recht selbst. Allein für unseren Zweck gewähren sie uns doch kaum einen Anhalts- punkt. Eine um so ergiebigere Quelle aber zur Beantwortung unserer Fragen können wir uns dadurch erschließen, daß wir das ältere Civilrecht mit der alten Religion und dem fas ver- gleichen. Auf diesen letzten beiden Gebieten waren die Ponti- fices unbestrittenermaßen autonom; was sich hier findet, kam jedenfalls von ihnen. Treffen wir nun auf dem Gebiete des Civilrechts dieselben Grundsätze, dieselbe Methode, kurz densel- ben Styl wieder, wie auf diesen beiden Gebieten, und zwar einen künstlichen, gelehrten Styl, wie er nur dem Techniker eigen, der Periode der reinen Volksthümlichkeit aber völlig fremd ist -- in dem Fall werden wir, da wir einmal für zwei jener Gebiete den Styl mit aller Gewißheit als den pontifici- schen bezeichnen dürfen, zu der Behauptung berechtigt sein, daß alles, was innerhalb des Civilrechts in demselben Styl gearbei- tet ist, im Wesentlichen von den Pontifices stammt. Um jedem Einwande gegen die Beweiskraft dieses Schlusses vorzubeugen, bemerke ich, daß die Annahme: es sei dieser Styl schon für den Pontifices im Rechte heimisch gewesen und von ihnen die Religion und das fas adoptirt, in dem Maße gegen alle geschicht- lichen Gesetze verstoßen würde, daß sie einer ernstlichen Wider- legung nicht bedarf. Gibt man aber den pontificischen Ursprung desselben zu, so wird eine andere denkbare Annahme, nämlich 540) Die legis actiones werden von spätern Schriftstellern auf die Bü-
cher der Pontifices zurückgeführt, so von Cicero de orat. I, 43 (Leist Ver- such einer Geschichte der römischen Rechtssysteme S. 15) und Valerius Pro- bus de notis antiquis. Der letztere Schriftsteller identificirt geradezu die monumenta pontificum (§. 1) mit den legis actiones (§. 4). S. darüber Th. Mommsen in seiner Ausgabe dieses Schriftstellers in den Berichten der Sächs. Gesellschaft der Wiss., philos.-histor. Classe 1853, S. 131 (besonde- rer Abdruck, Leipzig bei Hirzel). Die Jurisprudenz. §. 42. nen. 540) Freilich darf man die Bedeutung dieſer Legisactionennicht unterſchätzen, denn ſie enthielten nicht bloß die Form des Rechts, ſondern zum großen Theil das Recht ſelbſt. Allein für unſeren Zweck gewähren ſie uns doch kaum einen Anhalts- punkt. Eine um ſo ergiebigere Quelle aber zur Beantwortung unſerer Fragen können wir uns dadurch erſchließen, daß wir das ältere Civilrecht mit der alten Religion und dem fas ver- gleichen. Auf dieſen letzten beiden Gebieten waren die Ponti- fices unbeſtrittenermaßen autonom; was ſich hier findet, kam jedenfalls von ihnen. Treffen wir nun auf dem Gebiete des Civilrechts dieſelben Grundſätze, dieſelbe Methode, kurz denſel- ben Styl wieder, wie auf dieſen beiden Gebieten, und zwar einen künſtlichen, gelehrten Styl, wie er nur dem Techniker eigen, der Periode der reinen Volksthümlichkeit aber völlig fremd iſt — in dem Fall werden wir, da wir einmal für zwei jener Gebiete den Styl mit aller Gewißheit als den pontifici- ſchen bezeichnen dürfen, zu der Behauptung berechtigt ſein, daß alles, was innerhalb des Civilrechts in demſelben Styl gearbei- tet iſt, im Weſentlichen von den Pontifices ſtammt. Um jedem Einwande gegen die Beweiskraft dieſes Schluſſes vorzubeugen, bemerke ich, daß die Annahme: es ſei dieſer Styl ſchon für den Pontifices im Rechte heimiſch geweſen und von ihnen die Religion und das fas adoptirt, in dem Maße gegen alle geſchicht- lichen Geſetze verſtoßen würde, daß ſie einer ernſtlichen Wider- legung nicht bedarf. Gibt man aber den pontificiſchen Urſprung deſſelben zu, ſo wird eine andere denkbare Annahme, nämlich 540) Die legis actiones werden von ſpätern Schriftſtellern auf die Bü-
cher der Pontifices zurückgeführt, ſo von Cicero de orat. I, 43 (Leiſt Ver- ſuch einer Geſchichte der römiſchen Rechtsſyſteme S. 15) und Valerius Pro- bus de notis antiquis. Der letztere Schriftſteller identificirt geradezu die monumenta pontificum (§. 1) mit den legis actiones (§. 4). S. darüber Th. Mommſen in ſeiner Ausgabe dieſes Schriftſtellers in den Berichten der Sächſ. Geſellſchaft der Wiſſ., philoſ.-hiſtor. Claſſe 1853, S. 131 (beſonde- rer Abdruck, Leipzig bei Hirzel). <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0129" n="423"/><fw place="top" type="header">Die Jurisprudenz. §. 42.</fw><lb/> nen. <note place="foot" n="540)">Die <hi rendition="#aq">legis actiones</hi> werden von ſpätern Schriftſtellern auf die Bü-<lb/> cher der Pontifices zurückgeführt, ſo von <hi rendition="#aq">Cicero de orat. I,</hi> 43 (Leiſt Ver-<lb/> ſuch einer Geſchichte der römiſchen Rechtsſyſteme S. 15) und <hi rendition="#aq">Valerius Pro-<lb/> bus de notis antiquis.</hi> Der letztere Schriftſteller identificirt geradezu die<lb/><hi rendition="#aq">monumenta pontificum</hi> (§. 1) mit den <hi rendition="#aq">legis actiones</hi> (§. 4). S. darüber<lb/> Th. Mommſen in ſeiner Ausgabe dieſes Schriftſtellers in den Berichten der<lb/> Sächſ. Geſellſchaft der Wiſſ., philoſ.-hiſtor. Claſſe 1853, S. 131 (beſonde-<lb/> rer Abdruck, Leipzig bei Hirzel).</note> Freilich darf man die Bedeutung dieſer Legisactionen<lb/> nicht unterſchätzen, denn ſie enthielten nicht bloß die <hi rendition="#g">Form</hi> des<lb/> Rechts, ſondern zum großen Theil das <hi rendition="#g">Recht ſelbſt</hi>. Allein<lb/> für unſeren Zweck gewähren ſie uns doch kaum einen Anhalts-<lb/> punkt. Eine um ſo ergiebigere Quelle aber zur Beantwortung<lb/> unſerer Fragen können wir uns dadurch erſchließen, daß wir<lb/> das ältere Civilrecht mit der alten Religion und dem <hi rendition="#aq">fas</hi> ver-<lb/> gleichen. Auf dieſen letzten beiden Gebieten waren die Ponti-<lb/> fices unbeſtrittenermaßen autonom; was ſich hier findet, kam<lb/> jedenfalls von ihnen. Treffen wir nun auf dem Gebiete des<lb/> Civilrechts dieſelben Grundſätze, dieſelbe Methode, kurz denſel-<lb/> ben Styl wieder, wie auf dieſen beiden Gebieten, und zwar<lb/> einen künſtlichen, gelehrten Styl, wie er nur dem Techniker<lb/> eigen, der Periode der reinen Volksthümlichkeit aber völlig<lb/> fremd iſt — in dem Fall werden wir, da wir einmal für zwei<lb/> jener Gebiete den Styl mit aller Gewißheit als den pontifici-<lb/> ſchen bezeichnen dürfen, zu der Behauptung berechtigt ſein, daß<lb/> alles, was innerhalb des Civilrechts in demſelben Styl gearbei-<lb/> tet iſt, im Weſentlichen von den Pontifices ſtammt. Um jedem<lb/> Einwande gegen die Beweiskraft dieſes Schluſſes vorzubeugen,<lb/> bemerke ich, daß die Annahme: es ſei dieſer Styl ſchon <hi rendition="#g">für</hi><lb/> den Pontifices im Rechte heimiſch geweſen und von ihnen die<lb/> Religion und das <hi rendition="#aq">fas</hi> adoptirt, in dem Maße gegen alle geſchicht-<lb/> lichen Geſetze verſtoßen würde, daß ſie einer ernſtlichen Wider-<lb/> legung nicht bedarf. Gibt man aber den pontificiſchen Urſprung<lb/> deſſelben zu, ſo wird eine andere denkbare Annahme, nämlich<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [423/0129]
Die Jurisprudenz. §. 42.
nen. 540) Freilich darf man die Bedeutung dieſer Legisactionen
nicht unterſchätzen, denn ſie enthielten nicht bloß die Form des
Rechts, ſondern zum großen Theil das Recht ſelbſt. Allein
für unſeren Zweck gewähren ſie uns doch kaum einen Anhalts-
punkt. Eine um ſo ergiebigere Quelle aber zur Beantwortung
unſerer Fragen können wir uns dadurch erſchließen, daß wir
das ältere Civilrecht mit der alten Religion und dem fas ver-
gleichen. Auf dieſen letzten beiden Gebieten waren die Ponti-
fices unbeſtrittenermaßen autonom; was ſich hier findet, kam
jedenfalls von ihnen. Treffen wir nun auf dem Gebiete des
Civilrechts dieſelben Grundſätze, dieſelbe Methode, kurz denſel-
ben Styl wieder, wie auf dieſen beiden Gebieten, und zwar
einen künſtlichen, gelehrten Styl, wie er nur dem Techniker
eigen, der Periode der reinen Volksthümlichkeit aber völlig
fremd iſt — in dem Fall werden wir, da wir einmal für zwei
jener Gebiete den Styl mit aller Gewißheit als den pontifici-
ſchen bezeichnen dürfen, zu der Behauptung berechtigt ſein, daß
alles, was innerhalb des Civilrechts in demſelben Styl gearbei-
tet iſt, im Weſentlichen von den Pontifices ſtammt. Um jedem
Einwande gegen die Beweiskraft dieſes Schluſſes vorzubeugen,
bemerke ich, daß die Annahme: es ſei dieſer Styl ſchon für
den Pontifices im Rechte heimiſch geweſen und von ihnen die
Religion und das fas adoptirt, in dem Maße gegen alle geſchicht-
lichen Geſetze verſtoßen würde, daß ſie einer ernſtlichen Wider-
legung nicht bedarf. Gibt man aber den pontificiſchen Urſprung
deſſelben zu, ſo wird eine andere denkbare Annahme, nämlich
540) Die legis actiones werden von ſpätern Schriftſtellern auf die Bü-
cher der Pontifices zurückgeführt, ſo von Cicero de orat. I, 43 (Leiſt Ver-
ſuch einer Geſchichte der römiſchen Rechtsſyſteme S. 15) und Valerius Pro-
bus de notis antiquis. Der letztere Schriftſteller identificirt geradezu die
monumenta pontificum (§. 1) mit den legis actiones (§. 4). S. darüber
Th. Mommſen in ſeiner Ausgabe dieſes Schriftſtellers in den Berichten der
Sächſ. Geſellſchaft der Wiſſ., philoſ.-hiſtor. Claſſe 1853, S. 131 (beſonde-
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