Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite
Haften an der Aeußerlichkeit. I. Der Materialismus. §. 43.

So erscheint also nach unsern bisherigen Ausführungen der
Werth-, Frucht- und Successionsbegriff ursprünglich
zuerst an der Sache und geht erst später von ihr auch auf an-
dere Verhältnisse über. Diese Beobachtung führt von selbst zu
der Frage, ob sich dieselbe Erscheinung nicht auch rücksichtlich
anderer wiederhole, und in der That brauchen wir nicht lange
zu suchen. Alle Begriffe und Verhältnisse, die im spätern Recht
außer an Sachen auch an andern Gegenständen vorkommen,
haben in der Sache ihren ursprünglichen und natürlichen Aus-
gangspunkt gehabt. So zuerst der Besitz. Die primitive Form
desselben ist der Sachenbesitz, der Quasibesitz ist ungleich
jüngeren Ursprunges, ja er ist bei den Römern nicht einmal
zum völligen Abschluß gelangt. Sodann das Pfandrecht.
Ursprünglich beschränkt auf Sachen ist es im spätern Recht auf
alle Rechte ausgedehnt, die einen Geldwerth haben und sich irgend-
wie übertragen lassen z. B. Forderungen und Nießbrauch. 603)
Von den Universalklagen, der hereditatis petitio, dem inter-
dictum quorum bonorum,
dem interd. possessorium des bo-
norum emtor
geht die erstere zur Zeit der classischen Juristen
auch gegen juris possessores; daß sie ursprünglich nur gegen
die Besitzer erbschaftlicher Sachen gerichtet war, wird um so
weniger beanstandet werden, als diese Beschränkung bei den
beiden letztern sich auch noch in späterer Zeit erhalten hat. 604)

(das Pfand und Pfandrecht), superficies (das Haus und das Recht darauf),
iter, via (der Weg und die Weggerechtigkeit) u. a. m.
603) So auch das pignus in causa judicati captum. Die Bedeu-
tung des Fortschrittes vom verus ususfructus zum quasi ususfructus nebst
den entsprechenden Erscheinungen des Obligationenrechts (depositum irre-
gulare, locatio irreg.
u. a.) kann ich erst im dritten System klar machen.
604) L. 2 quor. bon. (43. 2). Huschke Ueber das Recht des Nexum
S. 156 u. fl. ist der Ansicht, daß von dem Uebergang der bona auf den bo-
norum possessor, emptor
und sector ursprünglich die Forderungen und
Schulden ausgenommen gewesen, der Begriff der Masse (bona) sich also an-
fänglich auf die körperlichen Sachen beschränkt habe. Vom Standpunkt der
im Text entwickelten Idee aus hat diese Ansicht eine große innere Wahr-
Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 30
Haften an der Aeußerlichkeit. I. Der Materialismus. §. 43.

So erſcheint alſo nach unſern bisherigen Ausführungen der
Werth-, Frucht- und Succeſſionsbegriff urſprünglich
zuerſt an der Sache und geht erſt ſpäter von ihr auch auf an-
dere Verhältniſſe über. Dieſe Beobachtung führt von ſelbſt zu
der Frage, ob ſich dieſelbe Erſcheinung nicht auch rückſichtlich
anderer wiederhole, und in der That brauchen wir nicht lange
zu ſuchen. Alle Begriffe und Verhältniſſe, die im ſpätern Recht
außer an Sachen auch an andern Gegenſtänden vorkommen,
haben in der Sache ihren urſprünglichen und natürlichen Aus-
gangspunkt gehabt. So zuerſt der Beſitz. Die primitive Form
deſſelben iſt der Sachenbeſitz, der Quaſibeſitz iſt ungleich
jüngeren Urſprunges, ja er iſt bei den Römern nicht einmal
zum völligen Abſchluß gelangt. Sodann das Pfandrecht.
Urſprünglich beſchränkt auf Sachen iſt es im ſpätern Recht auf
alle Rechte ausgedehnt, die einen Geldwerth haben und ſich irgend-
wie übertragen laſſen z. B. Forderungen und Nießbrauch. 603)
Von den Univerſalklagen, der hereditatis petitio, dem inter-
dictum quorum bonorum,
dem interd. possessorium des bo-
norum emtor
geht die erſtere zur Zeit der claſſiſchen Juriſten
auch gegen juris possessores; daß ſie urſprünglich nur gegen
die Beſitzer erbſchaftlicher Sachen gerichtet war, wird um ſo
weniger beanſtandet werden, als dieſe Beſchränkung bei den
beiden letztern ſich auch noch in ſpäterer Zeit erhalten hat. 604)

(das Pfand und Pfandrecht), superficies (das Haus und das Recht darauf),
iter, via (der Weg und die Weggerechtigkeit) u. a. m.
603) So auch das pignus in causa judicati captum. Die Bedeu-
tung des Fortſchrittes vom verus ususfructus zum quasi ususfructus nebſt
den entſprechenden Erſcheinungen des Obligationenrechts (depositum irre-
gulare, locatio irreg.
u. a.) kann ich erſt im dritten Syſtem klar machen.
604) L. 2 quor. bon. (43. 2). Huſchke Ueber das Recht des Nexum
S. 156 u. fl. iſt der Anſicht, daß von dem Uebergang der bona auf den bo-
norum possessor, emptor
und sector urſprünglich die Forderungen und
Schulden ausgenommen geweſen, der Begriff der Maſſe (bona) ſich alſo an-
fänglich auf die körperlichen Sachen beſchränkt habe. Vom Standpunkt der
im Text entwickelten Idee aus hat dieſe Anſicht eine große innere Wahr-
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. II. 30
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <pb facs="#f0171" n="465"/>
                  <fw place="top" type="header">Haften an der Aeußerlichkeit. <hi rendition="#aq">I.</hi> Der Materialismus. §. 43.</fw><lb/>
                  <p>So er&#x017F;cheint al&#x017F;o nach un&#x017F;ern bisherigen Ausführungen der<lb/><hi rendition="#g">Werth-, Frucht-</hi> und <hi rendition="#g">Succe&#x017F;&#x017F;ionsbegriff</hi> ur&#x017F;prünglich<lb/>
zuer&#x017F;t an der <hi rendition="#g">Sache</hi> und geht er&#x017F;t &#x017F;päter von ihr auch auf an-<lb/>
dere Verhältni&#x017F;&#x017F;e über. Die&#x017F;e Beobachtung führt von &#x017F;elb&#x017F;t zu<lb/>
der Frage, ob &#x017F;ich die&#x017F;elbe Er&#x017F;cheinung nicht auch rück&#x017F;ichtlich<lb/>
anderer wiederhole, und in der That brauchen wir nicht lange<lb/>
zu &#x017F;uchen. Alle Begriffe und Verhältni&#x017F;&#x017F;e, die im &#x017F;pätern Recht<lb/>
außer an Sachen auch an andern Gegen&#x017F;tänden vorkommen,<lb/>
haben in der Sache ihren ur&#x017F;prünglichen und natürlichen Aus-<lb/>
gangspunkt gehabt. So zuer&#x017F;t der <hi rendition="#g">Be&#x017F;itz</hi>. Die primitive Form<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben i&#x017F;t der <hi rendition="#g">Sachenbe&#x017F;itz</hi>, der Qua&#x017F;ibe&#x017F;itz i&#x017F;t ungleich<lb/>
jüngeren Ur&#x017F;prunges, ja er i&#x017F;t bei den Römern nicht einmal<lb/>
zum völligen Ab&#x017F;chluß gelangt. Sodann das <hi rendition="#g">Pfandrecht</hi>.<lb/>
Ur&#x017F;prünglich be&#x017F;chränkt auf <hi rendition="#g">Sachen</hi> i&#x017F;t es im &#x017F;pätern Recht auf<lb/>
alle Rechte ausgedehnt, die einen Geldwerth haben und &#x017F;ich irgend-<lb/>
wie übertragen la&#x017F;&#x017F;en z. B. Forderungen und Nießbrauch. <note place="foot" n="603)">So auch das <hi rendition="#aq">pignus in causa judicati captum.</hi> Die Bedeu-<lb/>
tung des Fort&#x017F;chrittes vom <hi rendition="#aq">verus ususfructus</hi> zum <hi rendition="#aq">quasi ususfructus</hi> neb&#x017F;t<lb/>
den ent&#x017F;prechenden Er&#x017F;cheinungen des Obligationenrechts (<hi rendition="#aq">depositum irre-<lb/>
gulare, locatio irreg.</hi> u. a.) kann ich er&#x017F;t im dritten Sy&#x017F;tem klar machen.</note><lb/>
Von den Univer&#x017F;alklagen, der <hi rendition="#aq">hereditatis petitio,</hi> dem <hi rendition="#aq">inter-<lb/>
dictum quorum bonorum,</hi> dem <hi rendition="#aq">interd. possessorium</hi> des <hi rendition="#aq">bo-<lb/>
norum emtor</hi> geht die er&#x017F;tere zur Zeit der cla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Juri&#x017F;ten<lb/>
auch gegen <hi rendition="#aq">juris possessores;</hi> daß &#x017F;ie ur&#x017F;prünglich nur gegen<lb/>
die Be&#x017F;itzer erb&#x017F;chaftlicher <hi rendition="#g">Sachen</hi> gerichtet war, wird um &#x017F;o<lb/>
weniger bean&#x017F;tandet werden, als die&#x017F;e Be&#x017F;chränkung bei den<lb/>
beiden letztern &#x017F;ich auch noch in &#x017F;päterer Zeit erhalten hat. <note xml:id="seg2pn_16_1" next="#seg2pn_16_2" place="foot" n="604)"><hi rendition="#aq">L. 2 quor. bon. (43. 2).</hi> Hu&#x017F;chke Ueber das Recht des Nexum<lb/>
S. 156 u. fl. i&#x017F;t der An&#x017F;icht, daß von dem Uebergang der <hi rendition="#aq">bona</hi> auf den <hi rendition="#aq">bo-<lb/>
norum possessor, emptor</hi> und <hi rendition="#aq">sector</hi> ur&#x017F;prünglich die Forderungen und<lb/>
Schulden ausgenommen gewe&#x017F;en, der Begriff der Ma&#x017F;&#x017F;e <hi rendition="#aq">(bona)</hi> &#x017F;ich al&#x017F;o an-<lb/>
fänglich auf die körperlichen Sachen be&#x017F;chränkt habe. Vom Standpunkt der<lb/>
im Text entwickelten Idee aus hat die&#x017F;e An&#x017F;icht eine große innere Wahr-</note><lb/><note xml:id="seg2pn_15_2" prev="#seg2pn_15_1" place="foot" n="602)">(das Pfand und Pfandrecht), <hi rendition="#aq">superficies</hi> (das Haus und das Recht darauf),<lb/><hi rendition="#aq">iter, via</hi> (der Weg und die Weggerechtigkeit) u. a. m.</note><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Jhering, Gei&#x017F;t d. röm. Rechts. <hi rendition="#aq">II.</hi> 30</fw><lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[465/0171] Haften an der Aeußerlichkeit. I. Der Materialismus. §. 43. So erſcheint alſo nach unſern bisherigen Ausführungen der Werth-, Frucht- und Succeſſionsbegriff urſprünglich zuerſt an der Sache und geht erſt ſpäter von ihr auch auf an- dere Verhältniſſe über. Dieſe Beobachtung führt von ſelbſt zu der Frage, ob ſich dieſelbe Erſcheinung nicht auch rückſichtlich anderer wiederhole, und in der That brauchen wir nicht lange zu ſuchen. Alle Begriffe und Verhältniſſe, die im ſpätern Recht außer an Sachen auch an andern Gegenſtänden vorkommen, haben in der Sache ihren urſprünglichen und natürlichen Aus- gangspunkt gehabt. So zuerſt der Beſitz. Die primitive Form deſſelben iſt der Sachenbeſitz, der Quaſibeſitz iſt ungleich jüngeren Urſprunges, ja er iſt bei den Römern nicht einmal zum völligen Abſchluß gelangt. Sodann das Pfandrecht. Urſprünglich beſchränkt auf Sachen iſt es im ſpätern Recht auf alle Rechte ausgedehnt, die einen Geldwerth haben und ſich irgend- wie übertragen laſſen z. B. Forderungen und Nießbrauch. 603) Von den Univerſalklagen, der hereditatis petitio, dem inter- dictum quorum bonorum, dem interd. possessorium des bo- norum emtor geht die erſtere zur Zeit der claſſiſchen Juriſten auch gegen juris possessores; daß ſie urſprünglich nur gegen die Beſitzer erbſchaftlicher Sachen gerichtet war, wird um ſo weniger beanſtandet werden, als dieſe Beſchränkung bei den beiden letztern ſich auch noch in ſpäterer Zeit erhalten hat. 604) 602) 603) So auch das pignus in causa judicati captum. Die Bedeu- tung des Fortſchrittes vom verus ususfructus zum quasi ususfructus nebſt den entſprechenden Erſcheinungen des Obligationenrechts (depositum irre- gulare, locatio irreg. u. a.) kann ich erſt im dritten Syſtem klar machen. 604) L. 2 quor. bon. (43. 2). Huſchke Ueber das Recht des Nexum S. 156 u. fl. iſt der Anſicht, daß von dem Uebergang der bona auf den bo- norum possessor, emptor und sector urſprünglich die Forderungen und Schulden ausgenommen geweſen, der Begriff der Maſſe (bona) ſich alſo an- fänglich auf die körperlichen Sachen beſchränkt habe. Vom Standpunkt der im Text entwickelten Idee aus hat dieſe Anſicht eine große innere Wahr- 602) (das Pfand und Pfandrecht), superficies (das Haus und das Recht darauf), iter, via (der Weg und die Weggerechtigkeit) u. a. m. Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. II. 30

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/171
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/171>, abgerufen am 24.11.2024.