Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Nichtjuristischen, so kann sie zweitens auch ersteres unter sichabgränzen d. h. den Gegensatz zwischen den einzelnen rechtlichen Geschäften signalisiren. Ich will dies an dem obigen Beispiel der Servitut nachweisen. Die dem Richter vorgelegten Ver- handlungen zwischen zwei Partheien über die angebliche Bestel- lung einer Servitut können ihn zwischen vier verschiedenen An- nahmen schwanken lassen: 1. die Servitut ist bestellt (Ding- liches Rechtsgeschäft), 2. sie ist bloß versprochen (Obliga- tion), 3. es ist bloß die widerrufliche Benutzung einge- räumt (Precarium), 4. es ist bloß die innere Geneigtheit zur Einräumung derselben ausgesprochen. Für den römischen Richter bot die Frage kaum eine Schwierigkeit, denn für den ersten Zweck bedurfte es der Mancipation oder der Abtretung vor Gericht, für den zweiten der Stipulation, fehlte es an jeder Form, so konnte nur der dritte oder vierte Fall vorliegen. Ge- rade für die beiden letzten Fälle aber war der Mangel eines äußern Unterscheidungsmerkmals völlig gleichgültig, denn in beiden Fällen war alles auf den guten Willen des Concedenten gestellt, der Gegner hatte keine Klage, der Richter ihn also hier wie dort schlechthin abzuweisen. Für unsern heutigen Richter kann unter Umständen die Frage, ob eine im Testament bedachte Person nach Absicht des Erblassers Legatar oder Erbe sein soll, große Schwierigkeiten haben, für den römischen Richter waren dieselben durch die verschiedene Form der Erbeseinsetzung und der Legate völlig abgeschnitten. Der Nutzen der Form besteht also dem bisherigen nach in Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. Nichtjuriſtiſchen, ſo kann ſie zweitens auch erſteres unter ſichabgränzen d. h. den Gegenſatz zwiſchen den einzelnen rechtlichen Geſchäften ſignaliſiren. Ich will dies an dem obigen Beiſpiel der Servitut nachweiſen. Die dem Richter vorgelegten Ver- handlungen zwiſchen zwei Partheien über die angebliche Beſtel- lung einer Servitut können ihn zwiſchen vier verſchiedenen An- nahmen ſchwanken laſſen: 1. die Servitut iſt beſtellt (Ding- liches Rechtsgeſchäft), 2. ſie iſt bloß verſprochen (Obliga- tion), 3. es iſt bloß die widerrufliche Benutzung einge- räumt (Precarium), 4. es iſt bloß die innere Geneigtheit zur Einräumung derſelben ausgeſprochen. Für den römiſchen Richter bot die Frage kaum eine Schwierigkeit, denn für den erſten Zweck bedurfte es der Mancipation oder der Abtretung vor Gericht, für den zweiten der Stipulation, fehlte es an jeder Form, ſo konnte nur der dritte oder vierte Fall vorliegen. Ge- rade für die beiden letzten Fälle aber war der Mangel eines äußern Unterſcheidungsmerkmals völlig gleichgültig, denn in beiden Fällen war alles auf den guten Willen des Concedenten geſtellt, der Gegner hatte keine Klage, der Richter ihn alſo hier wie dort ſchlechthin abzuweiſen. Für unſern heutigen Richter kann unter Umſtänden die Frage, ob eine im Teſtament bedachte Perſon nach Abſicht des Erblaſſers Legatar oder Erbe ſein ſoll, große Schwierigkeiten haben, für den römiſchen Richter waren dieſelben durch die verſchiedene Form der Erbeseinſetzung und der Legate völlig abgeſchnitten. Der Nutzen der Form beſteht alſo dem bisherigen nach in <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <div n="8"> <div n="9"> <p><pb facs="#f0228" n="522"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Erſter Abſchn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die juriſt. Technik. <hi rendition="#aq">B.</hi> Des ält. 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Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
Nichtjuriſtiſchen, ſo kann ſie zweitens auch erſteres unter ſich
abgränzen d. h. den Gegenſatz zwiſchen den einzelnen rechtlichen
Geſchäften ſignaliſiren. Ich will dies an dem obigen Beiſpiel
der Servitut nachweiſen. Die dem Richter vorgelegten Ver-
handlungen zwiſchen zwei Partheien über die angebliche Beſtel-
lung einer Servitut können ihn zwiſchen vier verſchiedenen An-
nahmen ſchwanken laſſen: 1. die Servitut iſt beſtellt (Ding-
liches Rechtsgeſchäft), 2. ſie iſt bloß verſprochen (Obliga-
tion), 3. es iſt bloß die widerrufliche Benutzung einge-
räumt (Precarium), 4. es iſt bloß die innere Geneigtheit
zur Einräumung derſelben ausgeſprochen. Für den römiſchen
Richter bot die Frage kaum eine Schwierigkeit, denn für den
erſten Zweck bedurfte es der Mancipation oder der Abtretung
vor Gericht, für den zweiten der Stipulation, fehlte es an jeder
Form, ſo konnte nur der dritte oder vierte Fall vorliegen. Ge-
rade für die beiden letzten Fälle aber war der Mangel eines
äußern Unterſcheidungsmerkmals völlig gleichgültig, denn in
beiden Fällen war alles auf den guten Willen des Concedenten
geſtellt, der Gegner hatte keine Klage, der Richter ihn alſo hier
wie dort ſchlechthin abzuweiſen. Für unſern heutigen Richter
kann unter Umſtänden die Frage, ob eine im Teſtament bedachte
Perſon nach Abſicht des Erblaſſers Legatar oder Erbe ſein ſoll,
große Schwierigkeiten haben, für den römiſchen Richter waren
dieſelben durch die verſchiedene Form der Erbeseinſetzung und
der Legate völlig abgeſchnitten.
Der Nutzen der Form beſteht alſo dem bisherigen nach in
der Erleichterung und Sicherung der Diagnoſe — ein Gewinn,
der ſcheinbar und zunächſt nur dem Richter, in der That und
ſchließlich aber der Parthei ſelbſt und dem Verkehr zu gute kömmt.
Denn wie unter der Schwierigkeit und Unſicherheit der patho-
logiſchen Diagnoſe weniger der Arzt, als der Patient, ſo leidet
unter der der juriſtiſchen weniger der Richter, als die Parthei.
Jene Erleichterung für den Richter aber muß der Verkehr mit
einem Opfer von ſeiner Seite erkaufen, die Mühe und Ar-
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