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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts.
sich unbeschadet der Forderungen des Lebens mit dem an dem
Aeußerlichen haftenden Sinn abfindet.

So lange die römische Herrschaft sich auf ein kleines Stadt-
gebiet beschränkte, war es ausführbar, daß bei der Vindication
eines Grundstücks der Prätor sich mit den Partheien an Ort
und Stelle verfügte. Als jenes Gebiet in seiner Ausdehnung
einen gewissen Punkt überschritten, mußte man die Einrichtung
fallen lassen. Indem man sich aber einerseits der Nothwendig-
keit fügte, suchte man doch andererseits den Schein und die Er-
innerung der alten Einrichtung dadurch aufrecht zu erhalten,
daß man das Grundstück durch eine von den Partheien geholte
Scholle vor Gericht repräsentiren ließ. Man ermöglichte da-
durch zugleich die Beibehaltung der auf die Anwesenheit des
Grundstücks berechneten Vornahmen und Formeln. Die Arro-
gation geschah in alter Zeit in den Curiatcomitien unter Mit-
wirkung der Pontifices durch einen förmlichen Volksbeschluß.
Auch diese Einrichtung ward später unhaltbar, und wahrschein-
lich kam sie einfach dadurch ab, daß das Volk aus Mangel an
Interesse wegblieb. Bekanntlich wurden von da an die Arroga-
tionen lediglich durch die Pontifices vollzogen -- denn daß die
Lictoren ihnen gegenüber kein selbständiges Entscheidungsrecht
hatten, bedarf nicht der Bemerkung -- allein da es einmal
eines Beschlusses der Curiatversammlung bedurfte, so half man
sich dadurch, daß man die 30 Curien durch 30 Lictoren vertreten
ließ. Der Sache nach war die alte Einrichtung aufgegeben,
aber bis zu einem gewissen Grade war doch der äußere Schein
derselben gerettet. Andere Beispiele werden noch gelegentlich
nachfolgen (s. auch B. 1 S. 326 und oben S. 534).

Ich wende mich jetzt der Fortdauer von Formen zu, die
ihre Bedeutung verloren haben. Das so eben betrachtete
Verhältniß der repräsentativen Formen steht gewissermaßen in
der Mitte zwischen diesem und dem ersten Fall; insofern diesel-
ben eine morphologisch neue Form enthalten, neigen sie sich

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
ſich unbeſchadet der Forderungen des Lebens mit dem an dem
Aeußerlichen haftenden Sinn abfindet.

So lange die römiſche Herrſchaft ſich auf ein kleines Stadt-
gebiet beſchränkte, war es ausführbar, daß bei der Vindication
eines Grundſtücks der Prätor ſich mit den Partheien an Ort
und Stelle verfügte. Als jenes Gebiet in ſeiner Ausdehnung
einen gewiſſen Punkt überſchritten, mußte man die Einrichtung
fallen laſſen. Indem man ſich aber einerſeits der Nothwendig-
keit fügte, ſuchte man doch andererſeits den Schein und die Er-
innerung der alten Einrichtung dadurch aufrecht zu erhalten,
daß man das Grundſtück durch eine von den Partheien geholte
Scholle vor Gericht repräſentiren ließ. Man ermöglichte da-
durch zugleich die Beibehaltung der auf die Anweſenheit des
Grundſtücks berechneten Vornahmen und Formeln. Die Arro-
gation geſchah in alter Zeit in den Curiatcomitien unter Mit-
wirkung der Pontifices durch einen förmlichen Volksbeſchluß.
Auch dieſe Einrichtung ward ſpäter unhaltbar, und wahrſchein-
lich kam ſie einfach dadurch ab, daß das Volk aus Mangel an
Intereſſe wegblieb. Bekanntlich wurden von da an die Arroga-
tionen lediglich durch die Pontifices vollzogen — denn daß die
Lictoren ihnen gegenüber kein ſelbſtändiges Entſcheidungsrecht
hatten, bedarf nicht der Bemerkung — allein da es einmal
eines Beſchluſſes der Curiatverſammlung bedurfte, ſo half man
ſich dadurch, daß man die 30 Curien durch 30 Lictoren vertreten
ließ. Der Sache nach war die alte Einrichtung aufgegeben,
aber bis zu einem gewiſſen Grade war doch der äußere Schein
derſelben gerettet. Andere Beiſpiele werden noch gelegentlich
nachfolgen (ſ. auch B. 1 S. 326 und oben S. 534).

Ich wende mich jetzt der Fortdauer von Formen zu, die
ihre Bedeutung verloren haben. Das ſo eben betrachtete
Verhältniß der repräſentativen Formen ſteht gewiſſermaßen in
der Mitte zwiſchen dieſem und dem erſten Fall; inſofern dieſel-
ben eine morphologiſch neue Form enthalten, neigen ſie ſich

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[540/0246] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. ſich unbeſchadet der Forderungen des Lebens mit dem an dem Aeußerlichen haftenden Sinn abfindet. So lange die römiſche Herrſchaft ſich auf ein kleines Stadt- gebiet beſchränkte, war es ausführbar, daß bei der Vindication eines Grundſtücks der Prätor ſich mit den Partheien an Ort und Stelle verfügte. Als jenes Gebiet in ſeiner Ausdehnung einen gewiſſen Punkt überſchritten, mußte man die Einrichtung fallen laſſen. Indem man ſich aber einerſeits der Nothwendig- keit fügte, ſuchte man doch andererſeits den Schein und die Er- innerung der alten Einrichtung dadurch aufrecht zu erhalten, daß man das Grundſtück durch eine von den Partheien geholte Scholle vor Gericht repräſentiren ließ. Man ermöglichte da- durch zugleich die Beibehaltung der auf die Anweſenheit des Grundſtücks berechneten Vornahmen und Formeln. Die Arro- gation geſchah in alter Zeit in den Curiatcomitien unter Mit- wirkung der Pontifices durch einen förmlichen Volksbeſchluß. Auch dieſe Einrichtung ward ſpäter unhaltbar, und wahrſchein- lich kam ſie einfach dadurch ab, daß das Volk aus Mangel an Intereſſe wegblieb. Bekanntlich wurden von da an die Arroga- tionen lediglich durch die Pontifices vollzogen — denn daß die Lictoren ihnen gegenüber kein ſelbſtändiges Entſcheidungsrecht hatten, bedarf nicht der Bemerkung — allein da es einmal eines Beſchluſſes der Curiatverſammlung bedurfte, ſo half man ſich dadurch, daß man die 30 Curien durch 30 Lictoren vertreten ließ. Der Sache nach war die alte Einrichtung aufgegeben, aber bis zu einem gewiſſen Grade war doch der äußere Schein derſelben gerettet. Andere Beiſpiele werden noch gelegentlich nachfolgen (ſ. auch B. 1 S. 326 und oben S. 534). Ich wende mich jetzt der Fortdauer von Formen zu, die ihre Bedeutung verloren haben. Das ſo eben betrachtete Verhältniß der repräſentativen Formen ſteht gewiſſermaßen in der Mitte zwiſchen dieſem und dem erſten Fall; inſofern dieſel- ben eine morphologiſch neue Form enthalten, neigen ſie ſich

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 540. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/246>, abgerufen am 24.11.2024.