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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts.
doch wirklich vorhanden sein. Der zu erreichende Erfolg durfte
dem äußern Hergang nicht geradezu Hohn sprechen, man mußte
das äußere Dekorum bis zu einem gewissen Grade wahren --
kurz wie bei jeder Comödie durfte auch bei dieser juristischen
die Illusion nicht gänzlich fehlen. Der Einfluß, den die Juris-
prudenz dieser Rücksicht zugestand, tritt in manchen Spuren un-
verkennbar hervor. Ich werde einige derselben mittheilen. Zu-
nächst verstand es sich wohl von selbst, daß das Geschäft sich
nicht selbst als Scheingeschäft bezeichnen durfte. Bei der sponsio
praejudicialis
685) sollte die Summe nicht wirklich ausgezahlt
werden. Allein gesagt werden durfte dies nicht -- Stipulation
und Urtheil lauteten auf Verpflichtung zur Zahlung. Zur meh-
rern Sicherheit aber hätte man ja die Summe auf einen Aß
oder Sesterz stellen können, wie es z. B. bei Scheinverkäufen
(venditiones nummo uno) üblich war. Allein auch dadurch wäre
der Scheincharakter des ganzen Geschäfts wieder zu sehr mar-
kirt worden; man griff eine höhere Summe, bei Centumviral-
gerichts-Sachen 125 Sesterzien, bei gewöhnlichen 25. 686)

Bei der coemptio und in jure cessio fiduciae causa sollte
der Empfänger die Person oder Sache nicht wirklich haben und
behalten, wie in andern Fällen, sondern sie je nach getroffener
Vereinbarung restituiren. Allein diese Vereinbarung hatte in

685) Um über irgend eine Frage z. B. ob Jemand der nächste Ver-
wandte, Eigenthümer sei, dies oder jenes gethan habe u. s. w. einen richter-
lichen Ausspruch zu erwirken, schloß man eine Stipulation ab, in der der
Eine dem Andern unter der Bedingung, daß die (zur richterlichen Unter-
suchung verstellte) Thatsache wahr sei, eine beliebige Summe versprach.
Diese Summe ward eingeklagt und dadurch der Richter gezwungen die Be-
dingung zu untersuchen und mittelbar, indem er den Beklagten verurtheilte
oder freisprach, über das Dasein oder Nichtdasein der Thatsache zu entschei-
den. Was man hier wollte, sagte man nicht und was man sagte, wollte
man nicht. Gaj. IV, 93. 94. Puchta Instit. II §. 168. Keller Civilproceß
§. 25, 26.
686) Gaj. IV, 93. 95. Die Fixirung bei den Centumviralgerichtssachen
hing mit der Sacramentssumme zusammen (Gaj. IV, 14).

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
doch wirklich vorhanden ſein. Der zu erreichende Erfolg durfte
dem äußern Hergang nicht geradezu Hohn ſprechen, man mußte
das äußere Dekorum bis zu einem gewiſſen Grade wahren —
kurz wie bei jeder Comödie durfte auch bei dieſer juriſtiſchen
die Illuſion nicht gänzlich fehlen. Der Einfluß, den die Juris-
prudenz dieſer Rückſicht zugeſtand, tritt in manchen Spuren un-
verkennbar hervor. Ich werde einige derſelben mittheilen. Zu-
nächſt verſtand es ſich wohl von ſelbſt, daß das Geſchäft ſich
nicht ſelbſt als Scheingeſchäft bezeichnen durfte. Bei der sponsio
praejudicialis
685) ſollte die Summe nicht wirklich ausgezahlt
werden. Allein geſagt werden durfte dies nicht — Stipulation
und Urtheil lauteten auf Verpflichtung zur Zahlung. Zur meh-
rern Sicherheit aber hätte man ja die Summe auf einen Aß
oder Seſterz ſtellen können, wie es z. B. bei Scheinverkäufen
(venditiones nummo uno) üblich war. Allein auch dadurch wäre
der Scheincharakter des ganzen Geſchäfts wieder zu ſehr mar-
kirt worden; man griff eine höhere Summe, bei Centumviral-
gerichts-Sachen 125 Seſterzien, bei gewöhnlichen 25. 686)

Bei der coemptio und in jure cessio fiduciae causa ſollte
der Empfänger die Perſon oder Sache nicht wirklich haben und
behalten, wie in andern Fällen, ſondern ſie je nach getroffener
Vereinbarung reſtituiren. Allein dieſe Vereinbarung hatte in

685) Um über irgend eine Frage z. B. ob Jemand der nächſte Ver-
wandte, Eigenthümer ſei, dies oder jenes gethan habe u. ſ. w. einen richter-
lichen Ausſpruch zu erwirken, ſchloß man eine Stipulation ab, in der der
Eine dem Andern unter der Bedingung, daß die (zur richterlichen Unter-
ſuchung verſtellte) Thatſache wahr ſei, eine beliebige Summe verſprach.
Dieſe Summe ward eingeklagt und dadurch der Richter gezwungen die Be-
dingung zu unterſuchen und mittelbar, indem er den Beklagten verurtheilte
oder freiſprach, über das Daſein oder Nichtdaſein der Thatſache zu entſchei-
den. Was man hier wollte, ſagte man nicht und was man ſagte, wollte
man nicht. Gaj. IV, 93. 94. Puchta Inſtit. II §. 168. Keller Civilproceß
§. 25, 26.
686) Gaj. IV, 93. 95. Die Fixirung bei den Centumviralgerichtsſachen
hing mit der Sacramentsſumme zuſammen (Gaj. IV, 14).
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[556/0262] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. doch wirklich vorhanden ſein. Der zu erreichende Erfolg durfte dem äußern Hergang nicht geradezu Hohn ſprechen, man mußte das äußere Dekorum bis zu einem gewiſſen Grade wahren — kurz wie bei jeder Comödie durfte auch bei dieſer juriſtiſchen die Illuſion nicht gänzlich fehlen. Der Einfluß, den die Juris- prudenz dieſer Rückſicht zugeſtand, tritt in manchen Spuren un- verkennbar hervor. Ich werde einige derſelben mittheilen. Zu- nächſt verſtand es ſich wohl von ſelbſt, daß das Geſchäft ſich nicht ſelbſt als Scheingeſchäft bezeichnen durfte. Bei der sponsio praejudicialis 685) ſollte die Summe nicht wirklich ausgezahlt werden. Allein geſagt werden durfte dies nicht — Stipulation und Urtheil lauteten auf Verpflichtung zur Zahlung. Zur meh- rern Sicherheit aber hätte man ja die Summe auf einen Aß oder Seſterz ſtellen können, wie es z. B. bei Scheinverkäufen (venditiones nummo uno) üblich war. Allein auch dadurch wäre der Scheincharakter des ganzen Geſchäfts wieder zu ſehr mar- kirt worden; man griff eine höhere Summe, bei Centumviral- gerichts-Sachen 125 Seſterzien, bei gewöhnlichen 25. 686) Bei der coemptio und in jure cessio fiduciae causa ſollte der Empfänger die Perſon oder Sache nicht wirklich haben und behalten, wie in andern Fällen, ſondern ſie je nach getroffener Vereinbarung reſtituiren. Allein dieſe Vereinbarung hatte in 685) Um über irgend eine Frage z. B. ob Jemand der nächſte Ver- wandte, Eigenthümer ſei, dies oder jenes gethan habe u. ſ. w. einen richter- lichen Ausſpruch zu erwirken, ſchloß man eine Stipulation ab, in der der Eine dem Andern unter der Bedingung, daß die (zur richterlichen Unter- ſuchung verſtellte) Thatſache wahr ſei, eine beliebige Summe verſprach. Dieſe Summe ward eingeklagt und dadurch der Richter gezwungen die Be- dingung zu unterſuchen und mittelbar, indem er den Beklagten verurtheilte oder freiſprach, über das Daſein oder Nichtdaſein der Thatſache zu entſchei- den. Was man hier wollte, ſagte man nicht und was man ſagte, wollte man nicht. Gaj. IV, 93. 94. Puchta Inſtit. II §. 168. Keller Civilproceß §. 25, 26. 686) Gaj. IV, 93. 95. Die Fixirung bei den Centumviralgerichtsſachen hing mit der Sacramentsſumme zuſammen (Gaj. IV, 14).

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 556. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/262>, abgerufen am 24.11.2024.